pse_074.001 Zeichen für eine bestimmte Verbindung von Wasserstoff und pse_074.002 Sauerstoff. Eine bestimmte Frauengestalt auf einem Gebäude pse_074.003 ist das Zeichen für die Gerechtigkeit. Wenn man nun all pse_074.004 diese Zeichen auch als Symbole bezeichnet, entsteht für die pse_074.005 Betrachtung der Kunst eine Unzukömmlichkeit. Denn ohne pse_074.006 Zweifel sind das Symbol der Glaskugel in Raabes "Hungerpastor", pse_074.007 die symbolische Bedeutung der Novelle "Die pse_074.008 wunderlichen Nachbarskinder" in Goethes "Wahlverwandtschaften", pse_074.009 die Symbole von Lampe und Meer in Grillparzers pse_074.010 "Des Meeres und der Liebe Wellen" mehr als bloße Zeichen: pse_074.011 sie sind durch ihr Dasein nicht bloß Hinweis auf ein anderes, pse_074.012 das eigentlich gemeint ist, sondern haben auch Selbstwert pse_074.013 und wirken viel voller als ein mageres Zeichen, sie sind auch pse_074.014 gemüthaft. Wir wollen das Wort Symbol als ein umfassenderes pse_074.015 und tieferes Wort vom rationalen und konventionellen pse_074.016 Zeichen deutlich abtrennen. Symbole in der Kunst sind mehr pse_074.017 als Zeichen. Damit ist aber auch klar, daß auch Allegorie und pse_074.018 Symbol nicht dasselbe sind. Eine blinde Frauengestalt mit pse_074.019 einer Waage auf einem Gerichtsgebäude bedeutet die Gerechtigkeit. pse_074.020 Diese Gestalt hat nur insofern Sinn, als man sie pse_074.021 für ein Zeichen der Gerechtigkeit ansieht. Der Knabe Lenker pse_074.022 in Faust II kann auch als Allegorie für die Dichtung angesehen pse_074.023 werden, aber er wirkt auch dichterisch ohne diesen pse_074.024 Bezug. Die Gleichstellung von Zeichen und Symbol nimmt pse_074.025 keine Rücksicht auf die Fülle, Tiefe und Selbstbedeutsamkeit pse_074.026 des Symbols. Die Gleichstellung von Allegorie und Symbol pse_074.027 tut dasselbe, im Bereich der Kunst.
pse_074.028 Damit berühren wir die Frage, welche Bedeutung die pse_074.029 Symbolik im Bereich der Kunst hat. Goethe sagt in den pse_074.030 "Maximen und Reflexionen", Symbolik sei es, wenn das pse_074.031 Besondere das Allgemeine offenbare; A. W. Schlegel in den pse_074.032 Berliner Vorlesungen, wenn ein Äußeres, Sinnliches etwas pse_074.033 Inneres, Übersinnliches offenbare. Von hier, besonders von pse_074.034 Goethe ausgehend, hat man grundsätzlich jede Dichtung als pse_074.035 symbolisch angesehen und sie so umschrieben: "Dichtung ist pse_074.036 die Darstellung, Vergegenwärtigung des allgemeinen Menschenwesens pse_074.037 und Menschengeschicks als individuelle Existenz pse_074.038 und individuelles Geschick, oder Vergegenwärtigung
pse_074.001 Zeichen für eine bestimmte Verbindung von Wasserstoff und pse_074.002 Sauerstoff. Eine bestimmte Frauengestalt auf einem Gebäude pse_074.003 ist das Zeichen für die Gerechtigkeit. Wenn man nun all pse_074.004 diese Zeichen auch als Symbole bezeichnet, entsteht für die pse_074.005 Betrachtung der Kunst eine Unzukömmlichkeit. Denn ohne pse_074.006 Zweifel sind das Symbol der Glaskugel in Raabes »Hungerpastor«, pse_074.007 die symbolische Bedeutung der Novelle »Die pse_074.008 wunderlichen Nachbarskinder« in Goethes »Wahlverwandtschaften«, pse_074.009 die Symbole von Lampe und Meer in Grillparzers pse_074.010 »Des Meeres und der Liebe Wellen« mehr als bloße Zeichen: pse_074.011 sie sind durch ihr Dasein nicht bloß Hinweis auf ein anderes, pse_074.012 das eigentlich gemeint ist, sondern haben auch Selbstwert pse_074.013 und wirken viel voller als ein mageres Zeichen, sie sind auch pse_074.014 gemüthaft. Wir wollen das Wort Symbol als ein umfassenderes pse_074.015 und tieferes Wort vom rationalen und konventionellen pse_074.016 Zeichen deutlich abtrennen. Symbole in der Kunst sind mehr pse_074.017 als Zeichen. Damit ist aber auch klar, daß auch Allegorie und pse_074.018 Symbol nicht dasselbe sind. Eine blinde Frauengestalt mit pse_074.019 einer Waage auf einem Gerichtsgebäude bedeutet die Gerechtigkeit. pse_074.020 Diese Gestalt hat nur insofern Sinn, als man sie pse_074.021 für ein Zeichen der Gerechtigkeit ansieht. Der Knabe Lenker pse_074.022 in Faust II kann auch als Allegorie für die Dichtung angesehen pse_074.023 werden, aber er wirkt auch dichterisch ohne diesen pse_074.024 Bezug. Die Gleichstellung von Zeichen und Symbol nimmt pse_074.025 keine Rücksicht auf die Fülle, Tiefe und Selbstbedeutsamkeit pse_074.026 des Symbols. Die Gleichstellung von Allegorie und Symbol pse_074.027 tut dasselbe, im Bereich der Kunst.
pse_074.028 Damit berühren wir die Frage, welche Bedeutung die pse_074.029 Symbolik im Bereich der Kunst hat. Goethe sagt in den pse_074.030 »Maximen und Reflexionen«, Symbolik sei es, wenn das pse_074.031 Besondere das Allgemeine offenbare; A. W. Schlegel in den pse_074.032 Berliner Vorlesungen, wenn ein Äußeres, Sinnliches etwas pse_074.033 Inneres, Übersinnliches offenbare. Von hier, besonders von pse_074.034 Goethe ausgehend, hat man grundsätzlich jede Dichtung als pse_074.035 symbolisch angesehen und sie so umschrieben: »Dichtung ist pse_074.036 die Darstellung, Vergegenwärtigung des allgemeinen Menschenwesens pse_074.037 und Menschengeschicks als individuelle Existenz pse_074.038 und individuelles Geschick, oder Vergegenwärtigung
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die symbolische Bedeutung der Novelle »Die pse_074.008
wunderlichen Nachbarskinder« in Goethes »Wahlverwandtschaften«, pse_074.009
die Symbole von Lampe und Meer in Grillparzers pse_074.010
»Des Meeres und der Liebe Wellen« mehr als bloße Zeichen: pse_074.011
sie sind durch ihr Dasein nicht bloß Hinweis auf ein anderes, pse_074.012
das eigentlich gemeint ist, sondern haben auch Selbstwert pse_074.013
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einer Waage auf einem Gerichtsgebäude bedeutet die Gerechtigkeit. pse_074.020
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Symbolik im Bereich der Kunst hat. Goethe sagt in den pse_074.030
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/90>, abgerufen am 23.11.2024.
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