pse_061.004 Da wir hier nicht in die philosophischen Fragen um das pse_061.005 Wesen des Seins und der Wirklichkeit (Ontologie) eindringen pse_061.006 wollen, seien bloß einige einfache Feststellungen gemacht. pse_061.007 All das, was wir Menschen daseiend annehmen unabhängig pse_061.008 von uns und ohne von uns wahrgenommen zu werden, ist pse_061.009 Realität. Das aber, was uns erscheint, was wir auffassen, was pse_061.010 also für uns da ist und somit auf uns wirkt, ist Wirklichkeit. pse_061.011 Aber die Trennung ist trotzdem schwierig: denn auch die pse_061.012 Realität kann, wenn wahrgenommen, zur Wirklichkeit werden, pse_061.013 und Irreales, Eingebildetes, Wahngebilde wirken auf pse_061.014 uns ein, wären also Wirklichkeit, ohne Realität zu sein. Um pse_061.015 diesen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, wollen wir pse_061.016 eine andere, für unsere Zwecke vollkommen ausreichende pse_061.017 Scheidung vornehmen. Alles, was unabhängig von unserer pse_061.018 geistig- sprachlichen Erfassung, ohne also geistig von uns aufgenommen pse_061.019 und geordnet zu werden, da ist, ist für uns außersprachliche pse_061.020 Wirklichkeit.
pse_061.021 Wir haben schon gesehen, daß der Mensch alles, was ihm pse_061.022 begegnet, nach dem Grad der Wichtigkeit, die es für ihn pse_061.023 gewinnt, auch bewältigt, erfaßt und ordnet, daß er diesem pse_061.024 Geordneten eine Prägung verleiht, die es ihm ermöglicht, pse_061.025 es immer zur Verfügung zu haben. Diese Welterfassung geschieht pse_061.026 durch die Sprache. In den Farbworten entsteht für pse_061.027 uns die Ordnung der Farben, und diese Ordnung bleibt pse_061.028 durch die Farbworte zu unserer dauernden Verfügung; pse_061.029 ebenso ist es mit den Tieren, den Pflanzen, mit den Formen pse_061.030 der Berge usw. Vor allem aber alle inneren Vorgänge (Gefühle, pse_061.031 Strebungen) und die Leistungen des Menschen, seine pse_061.032 Werkzeuge usw. erhalten ihre Ordnung und geistige Verfügbarkeit pse_061.033 durch die Sprache. Der gesamte Bestand einer bestimmten
pse_061.001
Ipse_061.002 DICHTUNG UND WIRKLICHKEIT
pse_061.003
Außersprachliche und sprachliche Wirklichkeit
pse_061.004 Da wir hier nicht in die philosophischen Fragen um das pse_061.005 Wesen des Seins und der Wirklichkeit (Ontologie) eindringen pse_061.006 wollen, seien bloß einige einfache Feststellungen gemacht. pse_061.007 All das, was wir Menschen daseiend annehmen unabhängig pse_061.008 von uns und ohne von uns wahrgenommen zu werden, ist pse_061.009 Realität. Das aber, was uns erscheint, was wir auffassen, was pse_061.010 also für uns da ist und somit auf uns wirkt, ist Wirklichkeit. pse_061.011 Aber die Trennung ist trotzdem schwierig: denn auch die pse_061.012 Realität kann, wenn wahrgenommen, zur Wirklichkeit werden, pse_061.013 und Irreales, Eingebildetes, Wahngebilde wirken auf pse_061.014 uns ein, wären also Wirklichkeit, ohne Realität zu sein. Um pse_061.015 diesen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, wollen wir pse_061.016 eine andere, für unsere Zwecke vollkommen ausreichende pse_061.017 Scheidung vornehmen. Alles, was unabhängig von unserer pse_061.018 geistig- sprachlichen Erfassung, ohne also geistig von uns aufgenommen pse_061.019 und geordnet zu werden, da ist, ist für uns außersprachliche pse_061.020 Wirklichkeit.
pse_061.021 Wir haben schon gesehen, daß der Mensch alles, was ihm pse_061.022 begegnet, nach dem Grad der Wichtigkeit, die es für ihn pse_061.023 gewinnt, auch bewältigt, erfaßt und ordnet, daß er diesem pse_061.024 Geordneten eine Prägung verleiht, die es ihm ermöglicht, pse_061.025 es immer zur Verfügung zu haben. Diese Welterfassung geschieht pse_061.026 durch die Sprache. In den Farbworten entsteht für pse_061.027 uns die Ordnung der Farben, und diese Ordnung bleibt pse_061.028 durch die Farbworte zu unserer dauernden Verfügung; pse_061.029 ebenso ist es mit den Tieren, den Pflanzen, mit den Formen pse_061.030 der Berge usw. Vor allem aber alle inneren Vorgänge (Gefühle, pse_061.031 Strebungen) und die Leistungen des Menschen, seine pse_061.032 Werkzeuge usw. erhalten ihre Ordnung und geistige Verfügbarkeit pse_061.033 durch die Sprache. Der gesamte Bestand einer bestimmten
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Da wir hier nicht in die philosophischen Fragen um das pse_061.005
Wesen des Seins und der Wirklichkeit (Ontologie) eindringen pse_061.006
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All das, was wir Menschen daseiend annehmen unabhängig pse_061.008
von uns und ohne von uns wahrgenommen zu werden, ist pse_061.009
Realität. Das aber, was uns erscheint, was wir auffassen, was pse_061.010
also für uns da ist und somit auf uns wirkt, ist Wirklichkeit. pse_061.011
Aber die Trennung ist trotzdem schwierig: denn auch die pse_061.012
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diesen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, wollen wir pse_061.016
eine andere, für unsere Zwecke vollkommen ausreichende pse_061.017
Scheidung vornehmen. Alles, was unabhängig von unserer pse_061.018
geistig- sprachlichen Erfassung, ohne also geistig von uns aufgenommen pse_061.019
und geordnet zu werden, da ist, ist für uns außersprachliche pse_061.020
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Wir haben schon gesehen, daß der Mensch alles, was ihm pse_061.022
begegnet, nach dem Grad der Wichtigkeit, die es für ihn pse_061.023
gewinnt, auch bewältigt, erfaßt und ordnet, daß er diesem pse_061.024
Geordneten eine Prägung verleiht, die es ihm ermöglicht, pse_061.025
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durch die Sprache. In den Farbworten entsteht für pse_061.027
uns die Ordnung der Farben, und diese Ordnung bleibt pse_061.028
durch die Farbworte zu unserer dauernden Verfügung; pse_061.029
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Strebungen) und die Leistungen des Menschen, seine pse_061.032
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. E61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/77>, abgerufen am 25.11.2024.
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