pse_052.001 aus: die praktische, die theoretische und die ästhetische. Aus pse_052.002 dieser Erfassung steigt der Mensch dazu auf, in den gesamten pse_052.003 Erfahrungsstrom eine Ordnung zu bringen. Das ist die Weltordnungpse_052.004 im weitesten. Dieser hohen geistigen Leistung liegen pse_052.005 zwei Haltungen zugrunde, und danach können wir zwei pse_052.006 solcher umfassender und für die Menschheit im tiefsten lebenswichtiger pse_052.007 Ordnungssysteme unterscheiden. Die eine Grundhaltung pse_052.008 möchte ich die Frömmigkeit nennen. Es ist das Urgefühl pse_052.009 der Ehrfurcht vor dem Hohen und Geheimnisvollen, pse_052.010 das uns hinter aller Erfahrung aufzudämmern scheint. Daraus pse_052.011 wächst die Religion. Die andere Haltung geht gewiß auch pse_052.012 auf die Ehrfurcht zurück, aber hier verehrt der Mensch nicht pse_052.013 bloß, er dringt vor, er forscht: die philosophische Haltung. pse_052.014 Daraus wächst die Metaphysik. (Das ist keine geschichtliche pse_052.015 Konzeption, sondern der Versuch eines möglichst einfachen pse_052.016 Überblicks). Aus der Welterfassung unmittelbar entspringt pse_052.017 das Tätigsein des Menschen, er greift gestaltend in die Welt pse_052.018 ihm gegenüber ein: Weltgestaltung. Halt und Sicherheit bekommt pse_052.019 sie, wenn sie auf einer Weltordnung gegründet ist. pse_052.020 Während sich aus der Weltordnung für den Menschen ein pse_052.021 Welt- und Lebensbild gibt, arbeitet er als Gestaltender pse_052.022 Grundsätze des Handelns heraus, es entwickelt sich die Sittlichkeit, pse_052.023 es entsteht eine Welt- und Lebensanschauung, die pse_052.024 immer auf die Antriebe zum Handeln ausgerichtet sind.
pse_052.025 Welche Stellung hat nun die Kunst? Schematisch läßt sich pse_052.026 etwa sagen: Selbstverständlich baut sie auf der ästhetischen pse_052.027 Welterfassung auf. Und sie gehört zur Weltgestaltung. Sie pse_052.028 baut eben eine Welt aus dem ästhetischen Erleben heraus. pse_052.029 Aber diese Weltgestaltung im Kunstwerk ist als menschliches pse_052.030 Werk erst dann von Gewichtigkeit, läßt erst dann pse_052.031 Tieferes in der Gestalt erscheinen, wenn eine religiöse oder pse_052.032 metaphysische Weltordnung zugrunde liegt. Das heißt natürlich pse_052.033 nicht, daß der Künstler ein Religionsstifter oder Metaphysiker pse_052.034 sein muß. Aber er wird wie jeder tiefer veranlagte pse_052.035 Mensch in frommer oder forschender Haltung sich den pse_052.036 letzten Welträtseln gegenüber verhalten; sie sind ihm nicht pse_052.037 gleichgültig.
pse_052.038 Tatsächlich aber gibt es im wirklichen Leben allerhand Verquickungen.
pse_052.001 aus: die praktische, die theoretische und die ästhetische. Aus pse_052.002 dieser Erfassung steigt der Mensch dazu auf, in den gesamten pse_052.003 Erfahrungsstrom eine Ordnung zu bringen. Das ist die Weltordnungpse_052.004 im weitesten. Dieser hohen geistigen Leistung liegen pse_052.005 zwei Haltungen zugrunde, und danach können wir zwei pse_052.006 solcher umfassender und für die Menschheit im tiefsten lebenswichtiger pse_052.007 Ordnungssysteme unterscheiden. Die eine Grundhaltung pse_052.008 möchte ich die Frömmigkeit nennen. Es ist das Urgefühl pse_052.009 der Ehrfurcht vor dem Hohen und Geheimnisvollen, pse_052.010 das uns hinter aller Erfahrung aufzudämmern scheint. Daraus pse_052.011 wächst die Religion. Die andere Haltung geht gewiß auch pse_052.012 auf die Ehrfurcht zurück, aber hier verehrt der Mensch nicht pse_052.013 bloß, er dringt vor, er forscht: die philosophische Haltung. pse_052.014 Daraus wächst die Metaphysik. (Das ist keine geschichtliche pse_052.015 Konzeption, sondern der Versuch eines möglichst einfachen pse_052.016 Überblicks). Aus der Welterfassung unmittelbar entspringt pse_052.017 das Tätigsein des Menschen, er greift gestaltend in die Welt pse_052.018 ihm gegenüber ein: Weltgestaltung. Halt und Sicherheit bekommt pse_052.019 sie, wenn sie auf einer Weltordnung gegründet ist. pse_052.020 Während sich aus der Weltordnung für den Menschen ein pse_052.021 Welt- und Lebensbild gibt, arbeitet er als Gestaltender pse_052.022 Grundsätze des Handelns heraus, es entwickelt sich die Sittlichkeit, pse_052.023 es entsteht eine Welt- und Lebensanschauung, die pse_052.024 immer auf die Antriebe zum Handeln ausgerichtet sind.
pse_052.025 Welche Stellung hat nun die Kunst? Schematisch läßt sich pse_052.026 etwa sagen: Selbstverständlich baut sie auf der ästhetischen pse_052.027 Welterfassung auf. Und sie gehört zur Weltgestaltung. Sie pse_052.028 baut eben eine Welt aus dem ästhetischen Erleben heraus. pse_052.029 Aber diese Weltgestaltung im Kunstwerk ist als menschliches pse_052.030 Werk erst dann von Gewichtigkeit, läßt erst dann pse_052.031 Tieferes in der Gestalt erscheinen, wenn eine religiöse oder pse_052.032 metaphysische Weltordnung zugrunde liegt. Das heißt natürlich pse_052.033 nicht, daß der Künstler ein Religionsstifter oder Metaphysiker pse_052.034 sein muß. Aber er wird wie jeder tiefer veranlagte pse_052.035 Mensch in frommer oder forschender Haltung sich den pse_052.036 letzten Welträtseln gegenüber verhalten; sie sind ihm nicht pse_052.037 gleichgültig.
pse_052.038 Tatsächlich aber gibt es im wirklichen Leben allerhand Verquickungen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0068"n="52"/><lbn="pse_052.001"/>
aus: die praktische, die theoretische und die ästhetische. Aus <lbn="pse_052.002"/>
dieser Erfassung steigt der Mensch dazu auf, in den gesamten <lbn="pse_052.003"/>
Erfahrungsstrom eine Ordnung zu bringen. Das ist die <hirendition="#i">Weltordnung</hi><lbn="pse_052.004"/>
im weitesten. Dieser hohen geistigen Leistung liegen <lbn="pse_052.005"/>
zwei Haltungen zugrunde, und danach können wir zwei <lbn="pse_052.006"/>
solcher umfassender und für die Menschheit im tiefsten lebenswichtiger <lbn="pse_052.007"/>
Ordnungssysteme unterscheiden. Die eine Grundhaltung <lbn="pse_052.008"/>
möchte ich die Frömmigkeit nennen. Es ist das Urgefühl <lbn="pse_052.009"/>
der Ehrfurcht vor dem Hohen und Geheimnisvollen, <lbn="pse_052.010"/>
das uns hinter aller Erfahrung aufzudämmern scheint. Daraus <lbn="pse_052.011"/>
wächst die Religion. Die andere Haltung geht gewiß auch <lbn="pse_052.012"/>
auf die Ehrfurcht zurück, aber hier verehrt der Mensch nicht <lbn="pse_052.013"/>
bloß, er dringt vor, er forscht: die philosophische Haltung. <lbn="pse_052.014"/>
Daraus wächst die Metaphysik. (Das ist keine geschichtliche <lbn="pse_052.015"/>
Konzeption, sondern der Versuch eines möglichst einfachen <lbn="pse_052.016"/>
Überblicks). Aus der Welterfassung unmittelbar entspringt <lbn="pse_052.017"/>
das Tätigsein des Menschen, er greift gestaltend in die Welt <lbn="pse_052.018"/>
ihm gegenüber ein: <hirendition="#i">Weltgestaltung.</hi> Halt und Sicherheit bekommt <lbn="pse_052.019"/>
sie, wenn sie auf einer Weltordnung gegründet ist. <lbn="pse_052.020"/>
Während sich aus der Weltordnung für den Menschen ein <lbn="pse_052.021"/>
Welt- und Lebensbild gibt, arbeitet er als Gestaltender <lbn="pse_052.022"/>
Grundsätze des Handelns heraus, es entwickelt sich die Sittlichkeit, <lbn="pse_052.023"/>
es entsteht eine Welt- und Lebensanschauung, die <lbn="pse_052.024"/>
immer auf die Antriebe zum Handeln ausgerichtet sind.</p><p><lbn="pse_052.025"/>
Welche Stellung hat nun die <hirendition="#i">Kunst?</hi> Schematisch läßt sich <lbn="pse_052.026"/>
etwa sagen: Selbstverständlich baut sie auf der ästhetischen <lbn="pse_052.027"/>
Welterfassung auf. Und sie gehört zur Weltgestaltung. Sie <lbn="pse_052.028"/>
baut eben eine Welt aus dem ästhetischen Erleben heraus. <lbn="pse_052.029"/>
Aber diese Weltgestaltung im Kunstwerk ist als menschliches <lbn="pse_052.030"/>
Werk erst dann von Gewichtigkeit, läßt erst dann <lbn="pse_052.031"/>
Tieferes in der Gestalt erscheinen, wenn eine religiöse oder <lbn="pse_052.032"/>
metaphysische Weltordnung zugrunde liegt. Das heißt natürlich <lbn="pse_052.033"/>
nicht, daß der Künstler ein Religionsstifter oder Metaphysiker <lbn="pse_052.034"/>
sein muß. Aber er wird wie jeder tiefer veranlagte <lbn="pse_052.035"/>
Mensch in frommer oder forschender Haltung sich den <lbn="pse_052.036"/>
letzten Welträtseln gegenüber verhalten; sie sind ihm nicht <lbn="pse_052.037"/>
gleichgültig.</p><p><lbn="pse_052.038"/>
Tatsächlich aber gibt es im wirklichen Leben allerhand Verquickungen.
</p></div></div></body></text></TEI>
[52/0068]
pse_052.001
aus: die praktische, die theoretische und die ästhetische. Aus pse_052.002
dieser Erfassung steigt der Mensch dazu auf, in den gesamten pse_052.003
Erfahrungsstrom eine Ordnung zu bringen. Das ist die Weltordnung pse_052.004
im weitesten. Dieser hohen geistigen Leistung liegen pse_052.005
zwei Haltungen zugrunde, und danach können wir zwei pse_052.006
solcher umfassender und für die Menschheit im tiefsten lebenswichtiger pse_052.007
Ordnungssysteme unterscheiden. Die eine Grundhaltung pse_052.008
möchte ich die Frömmigkeit nennen. Es ist das Urgefühl pse_052.009
der Ehrfurcht vor dem Hohen und Geheimnisvollen, pse_052.010
das uns hinter aller Erfahrung aufzudämmern scheint. Daraus pse_052.011
wächst die Religion. Die andere Haltung geht gewiß auch pse_052.012
auf die Ehrfurcht zurück, aber hier verehrt der Mensch nicht pse_052.013
bloß, er dringt vor, er forscht: die philosophische Haltung. pse_052.014
Daraus wächst die Metaphysik. (Das ist keine geschichtliche pse_052.015
Konzeption, sondern der Versuch eines möglichst einfachen pse_052.016
Überblicks). Aus der Welterfassung unmittelbar entspringt pse_052.017
das Tätigsein des Menschen, er greift gestaltend in die Welt pse_052.018
ihm gegenüber ein: Weltgestaltung. Halt und Sicherheit bekommt pse_052.019
sie, wenn sie auf einer Weltordnung gegründet ist. pse_052.020
Während sich aus der Weltordnung für den Menschen ein pse_052.021
Welt- und Lebensbild gibt, arbeitet er als Gestaltender pse_052.022
Grundsätze des Handelns heraus, es entwickelt sich die Sittlichkeit, pse_052.023
es entsteht eine Welt- und Lebensanschauung, die pse_052.024
immer auf die Antriebe zum Handeln ausgerichtet sind.
pse_052.025
Welche Stellung hat nun die Kunst? Schematisch läßt sich pse_052.026
etwa sagen: Selbstverständlich baut sie auf der ästhetischen pse_052.027
Welterfassung auf. Und sie gehört zur Weltgestaltung. Sie pse_052.028
baut eben eine Welt aus dem ästhetischen Erleben heraus. pse_052.029
Aber diese Weltgestaltung im Kunstwerk ist als menschliches pse_052.030
Werk erst dann von Gewichtigkeit, läßt erst dann pse_052.031
Tieferes in der Gestalt erscheinen, wenn eine religiöse oder pse_052.032
metaphysische Weltordnung zugrunde liegt. Das heißt natürlich pse_052.033
nicht, daß der Künstler ein Religionsstifter oder Metaphysiker pse_052.034
sein muß. Aber er wird wie jeder tiefer veranlagte pse_052.035
Mensch in frommer oder forschender Haltung sich den pse_052.036
letzten Welträtseln gegenüber verhalten; sie sind ihm nicht pse_052.037
gleichgültig.
pse_052.038
Tatsächlich aber gibt es im wirklichen Leben allerhand Verquickungen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/68>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.