pse_048.001 kann annähernd wissenschaftlich umschrieben, in ihrem pse_048.002 tiefsten Wesen aber nur in ganz bestimmter Haltung erlebt pse_048.003 werden. Der Wert wissenschaftlicher Annäherung ist aber pse_048.004 nicht zu verkennen: es ist die theoretische Klärung eines weiten pse_048.005 und bedeutenden Lebensgebietes, also ein völlig berechtigtes pse_048.006 wissenschaftliches Unternehmen. Denn es ist ein Zug des pse_048.007 Menschen, auch theoretisch die erfahrene Welt zu bewältigen. pse_048.008 Wichtiger aber scheint mir folgendes: es gehen so viele pse_048.009 Meinungen über Dichtung um, die weder auf tiefem dichterischem pse_048.010 Erleben noch auf klarer theoretischer Einsicht beruhen. pse_048.011 Sie stiften Verwirrung und können, wenn sie in pse_048.012 Kreise Verantwortlicher eindringen, wie es etwa Kritiker pse_048.013 sein sollen, zu gefährlichen Mißverständnissen, Trübungen pse_048.014 und Fälschungen führen. Klarheit ist hier nötig.
pse_048.015 Es ist am besten, von einem konkreten Beispiel einer pse_048.016 Wesensbestimmung der Dichtung auszugehen. "Dichterische pse_048.017 Gestaltung ist kein Umweg zu einem auch ohne sie erreichbaren pse_048.018 Ziel, sondern ist eine schlechthin einzigartige, eine pse_048.019 unersetzbare und unübersetzbare Weise der Seinserhellung" pse_048.020 (Pfeiffer). Abgesehen davon, daß diese unersetzbare Weise pse_048.021 gar nicht genannt, das Wesen also nur annähernd umschrieben pse_048.022 wird, erinnert diese Bestimmung an eine andere, nämlich von pse_048.023 Martin Heidegger: "Indem der Dichter das wesentliche Wort pse_048.024 spricht, wird durch diese Nennung das Seiende erst zu dem pse_048.025 ernannt, was es ist, und wird so bekannt als Seiendes. Dichtung pse_048.026 ist worthafte Stiftung des Seins." Da drängt sich eine pse_048.027 wichtige Frage auf: ist Dichtung immer so aufgefaßt worden? pse_048.028 Paßt diese Bestimmung auf einen großen Teil des Minnesangs pse_048.029 und der Barocklyrik? Wenn nicht, dann müßte man die pse_048.030 Umschreibung weiterspannen, so daß alle Auffassungen einbegriffen pse_048.031 werden. Aber es ist fraglich, ob das möglich ist, ob pse_048.032 wir uns eben nicht damit begnügen müssen, aus unserer Sicht pse_048.033 und Kenntnis Zugang zum Wesen zu suchen, so wie andere pse_048.034 Zeiten aus ihrer getan haben und tun werden. Wir müssen pse_048.035 eben auch damit rechnen, daß sich das Wesen der Dichtung je pse_048.036 in verschiedenen Erscheinungsweisen, gleichsam Brechungen, pse_048.037 gemäß verschiedenen geschichtlichen und individuellen pse_048.038 Lagen zeigt. Damit ist aber noch nichts gewonnen.
pse_048.001 kann annähernd wissenschaftlich umschrieben, in ihrem pse_048.002 tiefsten Wesen aber nur in ganz bestimmter Haltung erlebt pse_048.003 werden. Der Wert wissenschaftlicher Annäherung ist aber pse_048.004 nicht zu verkennen: es ist die theoretische Klärung eines weiten pse_048.005 und bedeutenden Lebensgebietes, also ein völlig berechtigtes pse_048.006 wissenschaftliches Unternehmen. Denn es ist ein Zug des pse_048.007 Menschen, auch theoretisch die erfahrene Welt zu bewältigen. pse_048.008 Wichtiger aber scheint mir folgendes: es gehen so viele pse_048.009 Meinungen über Dichtung um, die weder auf tiefem dichterischem pse_048.010 Erleben noch auf klarer theoretischer Einsicht beruhen. pse_048.011 Sie stiften Verwirrung und können, wenn sie in pse_048.012 Kreise Verantwortlicher eindringen, wie es etwa Kritiker pse_048.013 sein sollen, zu gefährlichen Mißverständnissen, Trübungen pse_048.014 und Fälschungen führen. Klarheit ist hier nötig.
pse_048.015 Es ist am besten, von einem konkreten Beispiel einer pse_048.016 Wesensbestimmung der Dichtung auszugehen. »Dichterische pse_048.017 Gestaltung ist kein Umweg zu einem auch ohne sie erreichbaren pse_048.018 Ziel, sondern ist eine schlechthin einzigartige, eine pse_048.019 unersetzbare und unübersetzbare Weise der Seinserhellung« pse_048.020 (Pfeiffer). Abgesehen davon, daß diese unersetzbare Weise pse_048.021 gar nicht genannt, das Wesen also nur annähernd umschrieben pse_048.022 wird, erinnert diese Bestimmung an eine andere, nämlich von pse_048.023 Martin Heidegger: »Indem der Dichter das wesentliche Wort pse_048.024 spricht, wird durch diese Nennung das Seiende erst zu dem pse_048.025 ernannt, was es ist, und wird so bekannt als Seiendes. Dichtung pse_048.026 ist worthafte Stiftung des Seins.« Da drängt sich eine pse_048.027 wichtige Frage auf: ist Dichtung immer so aufgefaßt worden? pse_048.028 Paßt diese Bestimmung auf einen großen Teil des Minnesangs pse_048.029 und der Barocklyrik? Wenn nicht, dann müßte man die pse_048.030 Umschreibung weiterspannen, so daß alle Auffassungen einbegriffen pse_048.031 werden. Aber es ist fraglich, ob das möglich ist, ob pse_048.032 wir uns eben nicht damit begnügen müssen, aus unserer Sicht pse_048.033 und Kenntnis Zugang zum Wesen zu suchen, so wie andere pse_048.034 Zeiten aus ihrer getan haben und tun werden. Wir müssen pse_048.035 eben auch damit rechnen, daß sich das Wesen der Dichtung je pse_048.036 in verschiedenen Erscheinungsweisen, gleichsam Brechungen, pse_048.037 gemäß verschiedenen geschichtlichen und individuellen pse_048.038 Lagen zeigt. Damit ist aber noch nichts gewonnen.
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tiefsten Wesen aber nur in ganz bestimmter Haltung erlebt pse_048.003
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nicht zu verkennen: es ist die theoretische Klärung eines weiten pse_048.005
und bedeutenden Lebensgebietes, also ein völlig berechtigtes pse_048.006
wissenschaftliches Unternehmen. Denn es ist ein Zug des pse_048.007
Menschen, auch theoretisch die erfahrene Welt zu bewältigen. pse_048.008
Wichtiger aber scheint mir folgendes: es gehen so viele pse_048.009
Meinungen über Dichtung um, die weder auf tiefem dichterischem pse_048.010
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Es ist am besten, von einem konkreten Beispiel einer pse_048.016
Wesensbestimmung der Dichtung auszugehen. »Dichterische pse_048.017
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gar nicht genannt, das Wesen also nur annähernd umschrieben pse_048.022
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Martin Heidegger: »Indem der Dichter das wesentliche Wort pse_048.024
spricht, wird durch diese Nennung das Seiende erst zu dem pse_048.025
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Paßt diese Bestimmung auf einen großen Teil des Minnesangs pse_048.029
und der Barocklyrik? Wenn nicht, dann müßte man die pse_048.030
Umschreibung weiterspannen, so daß alle Auffassungen einbegriffen pse_048.031
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eben auch damit rechnen, daß sich das Wesen der Dichtung je pse_048.036
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/64>, abgerufen am 26.11.2024.
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