pse_614.001 oder sie geradezu sind. Als wirkliche Feiern wurden ja die pse_614.002 Aufführungen in der Antike erlebt, aber auch die Barockfestaufführungen pse_614.003 an einem Hof oder die Schulaufführungen der pse_614.004 Orden waren Feiern. Ähnliches gilt von Tellaufführungen pse_614.005 in der Schweiz. Auch mit Bayreuth hat Wagner solche Absichten pse_614.006 verfolgt. Die Vielzahl der modernen Festspiele hängt pse_614.007 irgendwie mit dem Drang der Menschen, durch Kunst aus pse_614.008 dem Alltag gehoben zu werden, und mit dem oft auch ungenauen pse_614.009 Wissen, daß Kunst aus dem Alltag wirklich zu erheben pse_614.010 vermag, zusammen. Daß alle diese Veranstaltungen pse_614.011 auch andere Antriebe haben, ist die andere Seite und führt pse_614.012 wieder in die Geschichtlichkeit der Kunst hinüber. In Festaufführungen pse_614.013 hebt schon der Rahmen der Veranstaltung aus pse_614.014 dem Alltag hinaus, die Zuschauer sind in höherer Gestimmtheit pse_614.015 und damit auch innerlich bereiter, das Verwesentlichende pse_614.016 des Dramas zu erfassen. Für die Wirkung eines aufgeführten pse_614.017 Dramas ist aber auch die ständische Gliederung der Zuschauer pse_614.018 wichtig. Bei den alten Griechen waren aus der Menge nur pse_614.019 die Staatsführer und die Priester herausgehoben. Damit schon pse_614.020 wurde das Überalltägliche betont. In den Barockaufführungen pse_614.021 war der Platz des Fürsten in der Mitte zwischen Bühne pse_614.022 und Zuschauern, er verband in seiner Person beide Welten. pse_614.023 Die Adligen nahmen an möglichst sichtbaren Orten Platz: pse_614.024 so stellte eine solche Aufführung den Gesellschaftsaufbau im pse_614.025 kleinen dar. Die ständische Sonderung zeigt sich noch in der pse_614.026 Logenordnung der neueren Theater; man beachte, daß man pse_614.027 auch von "Rängen" spricht. Die Einrichtung, die Herrscherlogen pse_614.028 nach hinten zu verlegen, schafft eine merkwürdige pse_614.029 Spannung: das Publikum ist nun eingespannt zwischen zwei pse_614.030 Polen. Bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts war die Kunst pse_614.031 des Theaters in eine Gesellschaftsfeier eingebaut. Das Kunstwerk pse_614.032 empfing von der gesellschaftlichen Repräsentation pse_614.033 Wirkungsantrieb. Mit dem späten 19. Jahrhundert geht diese pse_614.034 gesellschaftliche Ordnung langsam in eine ungegliederte pse_614.035 Zuschauermenge über, die erst durch die Wirkung der Aufführung pse_614.036 zu einer höheren Gemeinschaft werden soll.
pse_614.037 Die Wirkung auf diese versammelte Gemeinschaft geht pse_614.038 von folgenden Kräften des Dramas aus. Zunächst und vor
pse_614.001 oder sie geradezu sind. Als wirkliche Feiern wurden ja die pse_614.002 Aufführungen in der Antike erlebt, aber auch die Barockfestaufführungen pse_614.003 an einem Hof oder die Schulaufführungen der pse_614.004 Orden waren Feiern. Ähnliches gilt von Tellaufführungen pse_614.005 in der Schweiz. Auch mit Bayreuth hat Wagner solche Absichten pse_614.006 verfolgt. Die Vielzahl der modernen Festspiele hängt pse_614.007 irgendwie mit dem Drang der Menschen, durch Kunst aus pse_614.008 dem Alltag gehoben zu werden, und mit dem oft auch ungenauen pse_614.009 Wissen, daß Kunst aus dem Alltag wirklich zu erheben pse_614.010 vermag, zusammen. Daß alle diese Veranstaltungen pse_614.011 auch andere Antriebe haben, ist die andere Seite und führt pse_614.012 wieder in die Geschichtlichkeit der Kunst hinüber. In Festaufführungen pse_614.013 hebt schon der Rahmen der Veranstaltung aus pse_614.014 dem Alltag hinaus, die Zuschauer sind in höherer Gestimmtheit pse_614.015 und damit auch innerlich bereiter, das Verwesentlichende pse_614.016 des Dramas zu erfassen. Für die Wirkung eines aufgeführten pse_614.017 Dramas ist aber auch die ständische Gliederung der Zuschauer pse_614.018 wichtig. Bei den alten Griechen waren aus der Menge nur pse_614.019 die Staatsführer und die Priester herausgehoben. Damit schon pse_614.020 wurde das Überalltägliche betont. In den Barockaufführungen pse_614.021 war der Platz des Fürsten in der Mitte zwischen Bühne pse_614.022 und Zuschauern, er verband in seiner Person beide Welten. pse_614.023 Die Adligen nahmen an möglichst sichtbaren Orten Platz: pse_614.024 so stellte eine solche Aufführung den Gesellschaftsaufbau im pse_614.025 kleinen dar. Die ständische Sonderung zeigt sich noch in der pse_614.026 Logenordnung der neueren Theater; man beachte, daß man pse_614.027 auch von »Rängen« spricht. Die Einrichtung, die Herrscherlogen pse_614.028 nach hinten zu verlegen, schafft eine merkwürdige pse_614.029 Spannung: das Publikum ist nun eingespannt zwischen zwei pse_614.030 Polen. Bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts war die Kunst pse_614.031 des Theaters in eine Gesellschaftsfeier eingebaut. Das Kunstwerk pse_614.032 empfing von der gesellschaftlichen Repräsentation pse_614.033 Wirkungsantrieb. Mit dem späten 19. Jahrhundert geht diese pse_614.034 gesellschaftliche Ordnung langsam in eine ungegliederte pse_614.035 Zuschauermenge über, die erst durch die Wirkung der Aufführung pse_614.036 zu einer höheren Gemeinschaft werden soll.
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auch andere Antriebe haben, ist die andere Seite und führt pse_614.012
wieder in die Geschichtlichkeit der Kunst hinüber. In Festaufführungen pse_614.013
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dem Alltag hinaus, die Zuschauer sind in höherer Gestimmtheit pse_614.015
und damit auch innerlich bereiter, das Verwesentlichende pse_614.016
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die Staatsführer und die Priester herausgehoben. Damit schon pse_614.020
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und Zuschauern, er verband in seiner Person beide Welten. pse_614.023
Die Adligen nahmen an möglichst sichtbaren Orten Platz: pse_614.024
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nach hinten zu verlegen, schafft eine merkwürdige pse_614.029
Spannung: das Publikum ist nun eingespannt zwischen zwei pse_614.030
Polen. Bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts war die Kunst pse_614.031
des Theaters in eine Gesellschaftsfeier eingebaut. Das Kunstwerk pse_614.032
empfing von der gesellschaftlichen Repräsentation pse_614.033
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 614. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/630>, abgerufen am 22.11.2024.
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