pse_598.001 Widerspruch zwischen Sprechen und Tun, als Gegensätzlichkeit pse_598.002 der Gesprächspartner, als Enthüllung von Gespanntheiten pse_598.003 im Lauf der Gesprächsentwicklung, als Widerspruch zwischen pse_598.004 Sein und Schein, Trug und Wahrheit. Dialoge können aber pse_598.005 auch verdecken: das ist dann der Fall, wenn etwa nur Gebärden pse_598.006 Tieferes andeuten, die Sprache aber im konventionellen pse_598.007 Ablauf gerade dieses Tiefere verhüllt, zugleich aber damit ahnbar pse_598.008 macht. Meisterhaft ist es Kleist im 4. Aufzug des "Homburg" pse_598.009 gelungen; was sich im Prinzen beim Lesen und Beantworten pse_598.010 des Kurfürstenbriefes abspielt, ist aus dem Gespräch pse_598.011 mit Natalie kaum zu erspüren, wohl aber aus dem Inneren des pse_598.012 Prinzen, wie es sich in der Haltung ahnen läßt. Endlich können pse_598.013 Gespräche mehr andeuten und verschweben, wie meisterhaft pse_598.014 in den Lustspielen Hofmannsthals. Auch in diesen beiden pse_598.015 letzten Arten des Dialogs enthüllt sich Dramatik, denn auch pse_598.016 hier tun sich Spaltungen und Spannungen tiefster Art auf: pse_598.017 zwischen Äußerem und Innerem, zwischen Reden und Tun, pse_598.018 zwischen einzelnen Gestalten. Während Berichte und Schilderungen pse_598.019 in der Epik sich ganz in das Erzählen einfügen, sind pse_598.020 sie im Drama von anderer Art, sie fügen sich dem Dramatischen pse_598.021 ein: es sind meist Ichberichte, von stärkster Bewegtheit pse_598.022 und Anteilnahme des Sprechenden, vor allem aber wird im pse_598.023 Drama die erregte oder lähmende Aufmerksamkeit der Zuhörer pse_598.024 auf der Bühne mitgestaltet, ja diese Wirkung auf den pse_598.025 Hörer ist sogar das dramatisch Entscheidende. Genau dasselbe pse_598.026 gilt für die Schilderungen, etwa die bekannten Mauerschauen. pse_598.027 Auch größere Reden fügen sich ins Dramatische einer Dichtung pse_598.028 ein. Die Hörer wirken anreizend oder hemmend, oder pse_598.029 es können durch Reden große Wendungen in der Handlung pse_598.030 erzeugt werden. Meisterhaft in dieser Hinsicht ist die große pse_598.031 Rede des Antonius in Shakespeares "Julius Cäsar". Es kommt pse_598.032 also auch in den Reden immer auf den Kontakt mit den Hörern pse_598.033 an, im Zusammenspiel beider ruht das Dramatische.
pse_598.034 Die Stilkraft des Ausrufs entwächst dem unmittelbaren Ausdruck pse_598.035 des Seelischen. Im Drama wird also dadurch vor allem pse_598.036 eine der dargestellten Persönlichkeiten innerlich nahegebracht. pse_598.037 Die besondere Form des Ausrufs im Drama ist der Monolog, pse_598.038 denn er ist immer unmittelbare Aussage eines individuell
pse_598.001 Widerspruch zwischen Sprechen und Tun, als Gegensätzlichkeit pse_598.002 der Gesprächspartner, als Enthüllung von Gespanntheiten pse_598.003 im Lauf der Gesprächsentwicklung, als Widerspruch zwischen pse_598.004 Sein und Schein, Trug und Wahrheit. Dialoge können aber pse_598.005 auch verdecken: das ist dann der Fall, wenn etwa nur Gebärden pse_598.006 Tieferes andeuten, die Sprache aber im konventionellen pse_598.007 Ablauf gerade dieses Tiefere verhüllt, zugleich aber damit ahnbar pse_598.008 macht. Meisterhaft ist es Kleist im 4. Aufzug des »Homburg« pse_598.009 gelungen; was sich im Prinzen beim Lesen und Beantworten pse_598.010 des Kurfürstenbriefes abspielt, ist aus dem Gespräch pse_598.011 mit Natalie kaum zu erspüren, wohl aber aus dem Inneren des pse_598.012 Prinzen, wie es sich in der Haltung ahnen läßt. Endlich können pse_598.013 Gespräche mehr andeuten und verschweben, wie meisterhaft pse_598.014 in den Lustspielen Hofmannsthals. Auch in diesen beiden pse_598.015 letzten Arten des Dialogs enthüllt sich Dramatik, denn auch pse_598.016 hier tun sich Spaltungen und Spannungen tiefster Art auf: pse_598.017 zwischen Äußerem und Innerem, zwischen Reden und Tun, pse_598.018 zwischen einzelnen Gestalten. Während Berichte und Schilderungen pse_598.019 in der Epik sich ganz in das Erzählen einfügen, sind pse_598.020 sie im Drama von anderer Art, sie fügen sich dem Dramatischen pse_598.021 ein: es sind meist Ichberichte, von stärkster Bewegtheit pse_598.022 und Anteilnahme des Sprechenden, vor allem aber wird im pse_598.023 Drama die erregte oder lähmende Aufmerksamkeit der Zuhörer pse_598.024 auf der Bühne mitgestaltet, ja diese Wirkung auf den pse_598.025 Hörer ist sogar das dramatisch Entscheidende. Genau dasselbe pse_598.026 gilt für die Schilderungen, etwa die bekannten Mauerschauen. pse_598.027 Auch größere Reden fügen sich ins Dramatische einer Dichtung pse_598.028 ein. Die Hörer wirken anreizend oder hemmend, oder pse_598.029 es können durch Reden große Wendungen in der Handlung pse_598.030 erzeugt werden. Meisterhaft in dieser Hinsicht ist die große pse_598.031 Rede des Antonius in Shakespeares »Julius Cäsar«. Es kommt pse_598.032 also auch in den Reden immer auf den Kontakt mit den Hörern pse_598.033 an, im Zusammenspiel beider ruht das Dramatische.
pse_598.034 Die Stilkraft des Ausrufs entwächst dem unmittelbaren Ausdruck pse_598.035 des Seelischen. Im Drama wird also dadurch vor allem pse_598.036 eine der dargestellten Persönlichkeiten innerlich nahegebracht. pse_598.037 Die besondere Form des Ausrufs im Drama ist der Monolog, pse_598.038 denn er ist immer unmittelbare Aussage eines individuell
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im Lauf der Gesprächsentwicklung, als Widerspruch zwischen pse_598.004
Sein und Schein, Trug und Wahrheit. Dialoge können aber pse_598.005
auch verdecken: das ist dann der Fall, wenn etwa nur Gebärden pse_598.006
Tieferes andeuten, die Sprache aber im konventionellen pse_598.007
Ablauf gerade dieses Tiefere verhüllt, zugleich aber damit ahnbar pse_598.008
macht. Meisterhaft ist es Kleist im 4. Aufzug des »Homburg« pse_598.009
gelungen; was sich im Prinzen beim Lesen und Beantworten pse_598.010
des Kurfürstenbriefes abspielt, ist aus dem Gespräch pse_598.011
mit Natalie kaum zu erspüren, wohl aber aus dem Inneren des pse_598.012
Prinzen, wie es sich in der Haltung ahnen läßt. Endlich können pse_598.013
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Rede des Antonius in Shakespeares »Julius Cäsar«. Es kommt pse_598.032
also auch in den Reden immer auf den Kontakt mit den Hörern pse_598.033
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Die Stilkraft des Ausrufs entwächst dem unmittelbaren Ausdruck pse_598.035
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/614>, abgerufen am 22.11.2024.
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