pse_569.001 der Dramatik. Wir erkennen sie schon im dramatischen pse_569.002 Menschen. Er erlebt eben die Welt als Widerspruch der verschiedensten pse_569.003 Tiefe und Dimension und springt in solche Gespaltenheit pse_569.004 gleichsam hinein. Daraus ergibt sich, daß in solcher pse_569.005 Welt gewaltige Energien miteinander ringen. Das kann für pse_569.006 den Bau die Folge haben, daß Sich-Festbohren in eine Situation pse_569.007 und Vorwärtsdrängen schon Spannungen des Ablaufs mit pse_569.008 sich bringen. Der dramatische Mensch zeigt sich im Rahmen pse_569.009 der dramatischen Dichtung in dreierlei Form: als Figur des pse_569.010 Dramas, als der Dichter, der eben die Welt als gespaltenen pse_569.011 erlebt und gestaltet, und als Zuschauer, der in diese Spannungen pse_569.012 hineingerissen wird. Die Welt wird im Drama als pse_569.013 Geflecht von Polaritäten gesehen, und der Dramatiker hat pse_569.014 den Mut, diese Tatsache bis ins letzte durchzuverfolgen und pse_569.015 durchzugestalten. Man spürt, solcher Polarität kann nichts entrinnen, pse_569.016 es ist unser Schicksal. So werden wir ständig zu Entscheidungen pse_569.017 aufgerufen, die aber immer wieder fraglich pse_569.018 werden. Hiervon muß deutlich die Haltung der sogenannten pse_569.019 Ambivalenz unterschieden werden. Ambivalenz ist Unentschiedenheit, pse_569.020 Unsicherheit, ewiges Sowohl-Als auch, ist der pse_569.021 mittelalterliche "zwivel", der dem Menschen so gefährlich pse_569.022 ist. Wertunsicherheit und endlich Gleichgültigkeit ist die pse_569.023 Folge. Aber der Mensch, der in der Weltpolarität steht, muß pse_569.024 nicht unsicher sein; er nimmt die Polarität auf sich als Antrieb pse_569.025 dauernder Entscheidungen, er hat so die Haltung des Entweder-Oder. pse_569.026 Freilich kann der dramatische Dichter auch pse_569.027 ambivalente Charaktere gestalten. Nicht bloß auf die Menschen pse_569.028 kommt es an, sondern auf das Weltbild. Dabei werden pse_569.029 die widersprüchlichen Züge in der dramatisch-dichterischen pse_569.030 Welterfassung gesteigert, und so jeder einzelne Zug und das pse_569.031 Ganze zum Symbol des widersprüchlichen Lebens und der pse_569.032 Gespaltenheit der Welt. Eine solche Widersprüchlichkeit pse_569.033 kann sich schon in einer konkreten Situation ergeben, wie pse_569.034 etwa in Goethes "Iphigenie" im vierten Aufzug, wo die pse_569.035 Heldin zwischen den beiden gleich furchtbaren Möglichkeiten pse_569.036 steht: zu lügen und damit ihr inneres reines Wesen zu pse_569.037 verlieren oder die Wahrheit zu sagen und damit den Bruder pse_569.038 zu morden; und in dieser Lage hat sie eine Entscheidung zu
pse_569.001 der Dramatik. Wir erkennen sie schon im dramatischen pse_569.002 Menschen. Er erlebt eben die Welt als Widerspruch der verschiedensten pse_569.003 Tiefe und Dimension und springt in solche Gespaltenheit pse_569.004 gleichsam hinein. Daraus ergibt sich, daß in solcher pse_569.005 Welt gewaltige Energien miteinander ringen. Das kann für pse_569.006 den Bau die Folge haben, daß Sich-Festbohren in eine Situation pse_569.007 und Vorwärtsdrängen schon Spannungen des Ablaufs mit pse_569.008 sich bringen. Der dramatische Mensch zeigt sich im Rahmen pse_569.009 der dramatischen Dichtung in dreierlei Form: als Figur des pse_569.010 Dramas, als der Dichter, der eben die Welt als gespaltenen pse_569.011 erlebt und gestaltet, und als Zuschauer, der in diese Spannungen pse_569.012 hineingerissen wird. Die Welt wird im Drama als pse_569.013 Geflecht von Polaritäten gesehen, und der Dramatiker hat pse_569.014 den Mut, diese Tatsache bis ins letzte durchzuverfolgen und pse_569.015 durchzugestalten. Man spürt, solcher Polarität kann nichts entrinnen, pse_569.016 es ist unser Schicksal. So werden wir ständig zu Entscheidungen pse_569.017 aufgerufen, die aber immer wieder fraglich pse_569.018 werden. Hiervon muß deutlich die Haltung der sogenannten pse_569.019 Ambivalenz unterschieden werden. Ambivalenz ist Unentschiedenheit, pse_569.020 Unsicherheit, ewiges Sowohl-Als auch, ist der pse_569.021 mittelalterliche »zwivel«, der dem Menschen so gefährlich pse_569.022 ist. Wertunsicherheit und endlich Gleichgültigkeit ist die pse_569.023 Folge. Aber der Mensch, der in der Weltpolarität steht, muß pse_569.024 nicht unsicher sein; er nimmt die Polarität auf sich als Antrieb pse_569.025 dauernder Entscheidungen, er hat so die Haltung des Entweder-Oder. pse_569.026 Freilich kann der dramatische Dichter auch pse_569.027 ambivalente Charaktere gestalten. Nicht bloß auf die Menschen pse_569.028 kommt es an, sondern auf das Weltbild. Dabei werden pse_569.029 die widersprüchlichen Züge in der dramatisch-dichterischen pse_569.030 Welterfassung gesteigert, und so jeder einzelne Zug und das pse_569.031 Ganze zum Symbol des widersprüchlichen Lebens und der pse_569.032 Gespaltenheit der Welt. Eine solche Widersprüchlichkeit pse_569.033 kann sich schon in einer konkreten Situation ergeben, wie pse_569.034 etwa in Goethes »Iphigenie« im vierten Aufzug, wo die pse_569.035 Heldin zwischen den beiden gleich furchtbaren Möglichkeiten pse_569.036 steht: zu lügen und damit ihr inneres reines Wesen zu pse_569.037 verlieren oder die Wahrheit zu sagen und damit den Bruder pse_569.038 zu morden; und in dieser Lage hat sie eine Entscheidung zu
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gleichsam hinein. Daraus ergibt sich, daß in solcher pse_569.005
Welt gewaltige Energien miteinander ringen. Das kann für pse_569.006
den Bau die Folge haben, daß Sich-Festbohren in eine Situation pse_569.007
und Vorwärtsdrängen schon Spannungen des Ablaufs mit pse_569.008
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Dramas, als der Dichter, der eben die Welt als gespaltenen pse_569.011
erlebt und gestaltet, und als Zuschauer, der in diese Spannungen pse_569.012
hineingerissen wird. Die Welt wird im Drama als pse_569.013
Geflecht von Polaritäten gesehen, und der Dramatiker hat pse_569.014
den Mut, diese Tatsache bis ins letzte durchzuverfolgen und pse_569.015
durchzugestalten. Man spürt, solcher Polarität kann nichts entrinnen, pse_569.016
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Ambivalenz unterschieden werden. Ambivalenz ist Unentschiedenheit, pse_569.020
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Welterfassung gesteigert, und so jeder einzelne Zug und das pse_569.031
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Gespaltenheit der Welt. Eine solche Widersprüchlichkeit pse_569.033
kann sich schon in einer konkreten Situation ergeben, wie pse_569.034
etwa in Goethes »Iphigenie« im vierten Aufzug, wo die pse_569.035
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zu morden; und in dieser Lage hat sie eine Entscheidung zu
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 569. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/585>, abgerufen am 22.11.2024.
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