pse_536.001 Epos ist eine geschlossene Totalität ohne Anfang und Ende, pse_536.002 man steht in einem umfassenden Kosmos, von ihm völlig umfangen. pse_536.003 Der Kosmos ist vom Mythos vorausgeschöpft und pse_536.004 wird im Sinne des Mythos vom Epos künstlerisch ausgestaltet. pse_536.005 Der Roman macht die Welt lebendig, wie sie sich in der Entfaltung pse_536.006 der Geschichte, durch die ständige Anreicherung und pse_536.007 innere Ausgliederung und unsere menschlichen Reaktionen pse_536.008 darauf ausgebildet hat. Die Welt unserer Zeit droht immer pse_536.009 mehr die Übersichtlichkeit und den Zusammenhang zu verlieren, pse_536.010 neue rätsel- und grauenhafte, aber auch überwältigende pse_536.011 Seiten und Bereiche enthüllen sich uns und differenzieren pse_536.012 auch unser Inneres in der Auseinandersetzung mit dieser pse_536.013 Wirklichkeitsfülle immer reicher aus. Nur größte schöpferische pse_536.014 Kraft vermag unsere Welt als Ganzheit zu sehen und zu pse_536.015 gestalten, ohne sie zu verharmlosen und zu verärmlichen. pse_536.016 "Die Epopöe gestaltet eine von sich aus geschlossene Lebenstotalität, pse_536.017 der Roman sucht gestaltend die verborgene Totalität pse_536.018 des Lebens aufzudecken und aufzubauen ... So objektiviert pse_536.019 sich die formbestimmende Grundgesinnung des Romans pse_536.020 als Psychologie des Romanhelden: sie sind Suchende" (Lukacs). pse_536.021 Zugleich muß überdacht werden, daß die dichterische Weltgestaltung pse_536.022 gerade in unserer Zeit, wo Wandel und dauernde pse_536.023 Umbildung zum Wesen der Welt gehören, auch das Fließen pse_536.024 des Lebens in den Roman hineinformen, Bewegung und pse_536.025 dauerndes Anderswerden in künstlerische Gestalt bändigen soll.
pse_536.026 Diese Wandlungen führen auch zu einer ganz anderen Art pse_536.027 des Welterlebens; der Mensch steht im Epos anders zur Welt pse_536.028 als im Roman. Im Epos ist sie gegeben, der Mensch ist in sie pse_536.029 hineingestellt und findet dieses Umhülltsein als selbstverständlich. pse_536.030 Zugleich erlebt er die Welt als Totalität und als Harmonie. pse_536.031 Sie ist von vornherein da, und er übernimmt sie so in pse_536.032 seinen Geist. Der Mensch des Romans steht der ihn umgebenden pse_536.033 Wirklichkeit und der Wirklichkeit seines eigenen Inneren pse_536.034 kritisch gegenüber. Sie erscheint ihm zunächst als ein Chaos, pse_536.035 ein Labyrinth, er ist von der Fülle und Disparatheit des ihm pse_536.036 Entgegentretenden zunächst erdrückt und beängstigt. Und pse_536.037 nun geht er auf die Suche nach der Ganzheit und Einheit pse_536.038 dieser Vielheit. Ein geistiger Abenteurerweg. Diese Auseinandersetzung
pse_536.001 Epos ist eine geschlossene Totalität ohne Anfang und Ende, pse_536.002 man steht in einem umfassenden Kosmos, von ihm völlig umfangen. pse_536.003 Der Kosmos ist vom Mythos vorausgeschöpft und pse_536.004 wird im Sinne des Mythos vom Epos künstlerisch ausgestaltet. pse_536.005 Der Roman macht die Welt lebendig, wie sie sich in der Entfaltung pse_536.006 der Geschichte, durch die ständige Anreicherung und pse_536.007 innere Ausgliederung und unsere menschlichen Reaktionen pse_536.008 darauf ausgebildet hat. Die Welt unserer Zeit droht immer pse_536.009 mehr die Übersichtlichkeit und den Zusammenhang zu verlieren, pse_536.010 neue rätsel- und grauenhafte, aber auch überwältigende pse_536.011 Seiten und Bereiche enthüllen sich uns und differenzieren pse_536.012 auch unser Inneres in der Auseinandersetzung mit dieser pse_536.013 Wirklichkeitsfülle immer reicher aus. Nur größte schöpferische pse_536.014 Kraft vermag unsere Welt als Ganzheit zu sehen und zu pse_536.015 gestalten, ohne sie zu verharmlosen und zu verärmlichen. pse_536.016 »Die Epopöe gestaltet eine von sich aus geschlossene Lebenstotalität, pse_536.017 der Roman sucht gestaltend die verborgene Totalität pse_536.018 des Lebens aufzudecken und aufzubauen ... So objektiviert pse_536.019 sich die formbestimmende Grundgesinnung des Romans pse_536.020 als Psychologie des Romanhelden: sie sind Suchende« (Lukàcs). pse_536.021 Zugleich muß überdacht werden, daß die dichterische Weltgestaltung pse_536.022 gerade in unserer Zeit, wo Wandel und dauernde pse_536.023 Umbildung zum Wesen der Welt gehören, auch das Fließen pse_536.024 des Lebens in den Roman hineinformen, Bewegung und pse_536.025 dauerndes Anderswerden in künstlerische Gestalt bändigen soll.
pse_536.026 Diese Wandlungen führen auch zu einer ganz anderen Art pse_536.027 des Welterlebens; der Mensch steht im Epos anders zur Welt pse_536.028 als im Roman. Im Epos ist sie gegeben, der Mensch ist in sie pse_536.029 hineingestellt und findet dieses Umhülltsein als selbstverständlich. pse_536.030 Zugleich erlebt er die Welt als Totalität und als Harmonie. pse_536.031 Sie ist von vornherein da, und er übernimmt sie so in pse_536.032 seinen Geist. Der Mensch des Romans steht der ihn umgebenden pse_536.033 Wirklichkeit und der Wirklichkeit seines eigenen Inneren pse_536.034 kritisch gegenüber. Sie erscheint ihm zunächst als ein Chaos, pse_536.035 ein Labyrinth, er ist von der Fülle und Disparatheit des ihm pse_536.036 Entgegentretenden zunächst erdrückt und beängstigt. Und pse_536.037 nun geht er auf die Suche nach der Ganzheit und Einheit pse_536.038 dieser Vielheit. Ein geistiger Abenteurerweg. Diese Auseinandersetzung
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Epos ist eine geschlossene Totalität ohne Anfang und Ende, pse_536.002
man steht in einem umfassenden Kosmos, von ihm völlig umfangen. pse_536.003
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wird im Sinne des Mythos vom Epos künstlerisch ausgestaltet. pse_536.005
Der Roman macht die Welt lebendig, wie sie sich in der Entfaltung pse_536.006
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als Psychologie des Romanhelden: sie sind Suchende« (Lukàcs). pse_536.021
Zugleich muß überdacht werden, daß die dichterische Weltgestaltung pse_536.022
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Diese Wandlungen führen auch zu einer ganz anderen Art pse_536.027
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als im Roman. Im Epos ist sie gegeben, der Mensch ist in sie pse_536.029
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seinen Geist. Der Mensch des Romans steht der ihn umgebenden pse_536.033
Wirklichkeit und der Wirklichkeit seines eigenen Inneren pse_536.034
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ein Labyrinth, er ist von der Fülle und Disparatheit des ihm pse_536.036
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 536. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/552>, abgerufen am 22.11.2024.
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