pse_025.001 Flecken im sprachlichen Weltbild. Daraus ergeben sich die pse_025.002 vielen Unübersetzbarkeiten. Das grönländische "nunatak" pse_025.003 bezeichnet einen aus dem Inlandeis herausragenden Berg. Vor pse_025.004 allem geistige und seelische Gehalte können in der einen pse_025.005 Sprache geprägt werden, in der anderen fehlen, d. h. dieser pse_025.006 Bereich wird eben ganz anders erfaßt und gegliedert. Unübersetzbar pse_025.007 sind: griech. eudaimonia, logos (in einem großen Wörterbuch pse_025.008 werden für dieses Wort u. a. folgende deutsche dem pse_025.009 Schüler vorgelegt: Wort, Beredsamkeit, Lehrsatz, Rechenschaft, pse_025.010 Verhältnis, Vernunft); lat. pietas, virtus; frz. esprit, glorie, pse_025.011 elan; engl. spleen, cant, bluff; dt. Heimat, Stimmung, Gemüt. pse_025.012 Diese paar Beispiele zeigen, wie schon in diesen verhältnismäßig pse_025.013 einfachen Bereichen und nahverwandten Sprachen pse_025.014 Unterschiede bestehen: nicht bloß in der Sprache, sondern pse_025.015 eben durch sie in der Welterfassung und im Weltbild.
pse_025.016 Der Mensch kann der Reizüberflutung durch die Welt um pse_025.017 ihn nur Herr werden, wenn er sie geistig bewältigt und sie pse_025.018 sich damit zur Verfügung stellt. Die Welt geistig zu erfassen pse_025.019 ist dem Menschen aber ausschließlich in der Sprache möglich. pse_025.020 Sprache ist also das typisch menschliche Organ der Welterfassung.
pse_025.021
pse_025.022 Ursprünglich ist diese Welterfassung (geistige Bewältigung pse_025.023 der Erfahrungen) ein sehr umfassender Akt, d. h. es sind dabei pse_025.024 alle Seelenkräfte beteiligt, das Erkennen und Beurteilen ist da pse_025.025 zugleich ein gefühlsmäßiges Stellungnehmen, das Innere des pse_025.026 Menschen ist in seiner Fülle beteiligt. Wo ist diese Ursprünglichkeit pse_025.027 zu finden? Jederzeit beobachtbar ist sie im Kind. Wir pse_025.028 wissen, daß etwa im Wörtchen "heiß", das ein kleines Kind pse_025.029 spricht, nicht nur ein Merkmal festgehalten wird, also eine pse_025.030 bloße Aussage vorliegt, sondern daß damit das Kind auch pse_025.031 gefühlsmäßig Stellung nimmt: Ablehnung, Furcht, Spannung pse_025.032 usw. Aber auch sonst treffen wir Lagen im Menschenleben, pse_025.033 wo diese volle Erfassung der einströmenden Welt durch die pse_025.034 Sprache noch da ist. Im Affekt, beim Ausdruck höchster pse_025.035 Freude, in furchtbarer Not, kurz auch in dem, was Jaspers als pse_025.036 Grenzsituationen bezeichnet, ist in der sprachlichen Formung pse_025.037 mit der gegebenen Situation in ihrer ganzen Fülle, die also pse_025.038 hier der Gegenstand der augenblicklichen Welterfassung ist,
pse_025.001 Flecken im sprachlichen Weltbild. Daraus ergeben sich die pse_025.002 vielen Unübersetzbarkeiten. Das grönländische »nunatak« pse_025.003 bezeichnet einen aus dem Inlandeis herausragenden Berg. Vor pse_025.004 allem geistige und seelische Gehalte können in der einen pse_025.005 Sprache geprägt werden, in der anderen fehlen, d. h. dieser pse_025.006 Bereich wird eben ganz anders erfaßt und gegliedert. Unübersetzbar pse_025.007 sind: griech. eudaimonia, logos (in einem großen Wörterbuch pse_025.008 werden für dieses Wort u. a. folgende deutsche dem pse_025.009 Schüler vorgelegt: Wort, Beredsamkeit, Lehrsatz, Rechenschaft, pse_025.010 Verhältnis, Vernunft); lat. pietas, virtus; frz. esprit, glorie, pse_025.011 élan; engl. spleen, cant, bluff; dt. Heimat, Stimmung, Gemüt. pse_025.012 Diese paar Beispiele zeigen, wie schon in diesen verhältnismäßig pse_025.013 einfachen Bereichen und nahverwandten Sprachen pse_025.014 Unterschiede bestehen: nicht bloß in der Sprache, sondern pse_025.015 eben durch sie in der Welterfassung und im Weltbild.
pse_025.016 Der Mensch kann der Reizüberflutung durch die Welt um pse_025.017 ihn nur Herr werden, wenn er sie geistig bewältigt und sie pse_025.018 sich damit zur Verfügung stellt. Die Welt geistig zu erfassen pse_025.019 ist dem Menschen aber ausschließlich in der Sprache möglich. pse_025.020 Sprache ist also das typisch menschliche Organ der Welterfassung.
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pse_025.022 Ursprünglich ist diese Welterfassung (geistige Bewältigung pse_025.023 der Erfahrungen) ein sehr umfassender Akt, d. h. es sind dabei pse_025.024 alle Seelenkräfte beteiligt, das Erkennen und Beurteilen ist da pse_025.025 zugleich ein gefühlsmäßiges Stellungnehmen, das Innere des pse_025.026 Menschen ist in seiner Fülle beteiligt. Wo ist diese Ursprünglichkeit pse_025.027 zu finden? Jederzeit beobachtbar ist sie im Kind. Wir pse_025.028 wissen, daß etwa im Wörtchen »heiß«, das ein kleines Kind pse_025.029 spricht, nicht nur ein Merkmal festgehalten wird, also eine pse_025.030 bloße Aussage vorliegt, sondern daß damit das Kind auch pse_025.031 gefühlsmäßig Stellung nimmt: Ablehnung, Furcht, Spannung pse_025.032 usw. Aber auch sonst treffen wir Lagen im Menschenleben, pse_025.033 wo diese volle Erfassung der einströmenden Welt durch die pse_025.034 Sprache noch da ist. Im Affekt, beim Ausdruck höchster pse_025.035 Freude, in furchtbarer Not, kurz auch in dem, was Jaspers als pse_025.036 Grenzsituationen bezeichnet, ist in der sprachlichen Formung pse_025.037 mit der gegebenen Situation in ihrer ganzen Fülle, die also pse_025.038 hier der Gegenstand der augenblicklichen Welterfassung ist,
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Flecken im sprachlichen Weltbild. Daraus ergeben sich die pse_025.002
vielen Unübersetzbarkeiten. Das grönländische »nunatak« pse_025.003
bezeichnet einen aus dem Inlandeis herausragenden Berg. Vor pse_025.004
allem geistige und seelische Gehalte können in der einen pse_025.005
Sprache geprägt werden, in der anderen fehlen, d. h. dieser pse_025.006
Bereich wird eben ganz anders erfaßt und gegliedert. Unübersetzbar pse_025.007
sind: griech. eudaimonia, logos (in einem großen Wörterbuch pse_025.008
werden für dieses Wort u. a. folgende deutsche dem pse_025.009
Schüler vorgelegt: Wort, Beredsamkeit, Lehrsatz, Rechenschaft, pse_025.010
Verhältnis, Vernunft); lat. pietas, virtus; frz. esprit, glorie, pse_025.011
élan; engl. spleen, cant, bluff; dt. Heimat, Stimmung, Gemüt. pse_025.012
Diese paar Beispiele zeigen, wie schon in diesen verhältnismäßig pse_025.013
einfachen Bereichen und nahverwandten Sprachen pse_025.014
Unterschiede bestehen: nicht bloß in der Sprache, sondern pse_025.015
eben durch sie in der Welterfassung und im Weltbild.
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Der Mensch kann der Reizüberflutung durch die Welt um pse_025.017
ihn nur Herr werden, wenn er sie geistig bewältigt und sie pse_025.018
sich damit zur Verfügung stellt. Die Welt geistig zu erfassen pse_025.019
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pse_025.021
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Ursprünglich ist diese Welterfassung (geistige Bewältigung pse_025.023
der Erfahrungen) ein sehr umfassender Akt, d. h. es sind dabei pse_025.024
alle Seelenkräfte beteiligt, das Erkennen und Beurteilen ist da pse_025.025
zugleich ein gefühlsmäßiges Stellungnehmen, das Innere des pse_025.026
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zu finden? Jederzeit beobachtbar ist sie im Kind. Wir pse_025.028
wissen, daß etwa im Wörtchen »heiß«, das ein kleines Kind pse_025.029
spricht, nicht nur ein Merkmal festgehalten wird, also eine pse_025.030
bloße Aussage vorliegt, sondern daß damit das Kind auch pse_025.031
gefühlsmäßig Stellung nimmt: Ablehnung, Furcht, Spannung pse_025.032
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/41>, abgerufen am 24.11.2024.
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