pse_276.001 der durchgehenden Bewegung; sie fallen besonders pse_276.002 im modernen Roman, aber auch im Aufbau neuerer pse_276.003 Dramen oft auf. Vor allem wird solche Unterbrechung erzeugt, pse_276.004 wenn Raumstörungen eintreten. Wenn also, wie im pse_276.005 Drama des Sturm und Drang oder auch sehr deutlich etwa pse_276.006 in Claudels "Seidenem Schuh" die Schauplätze stark und häufig pse_276.007 wechseln und dabei auch scheinbar der Faden der Handlung pse_276.008 völlig zerreißt. Auch bei starken Umschaltungen etwa pse_276.009 zeitlicher Art entsteht der Eindruck der Disparatheit. Nicht pse_276.010 bloß im modernen Roman mit der oft völligen Auflösung pse_276.011 des Zeitkontinuums, sondern schon in der Ballade finden wir pse_276.012 dieses Kunstprinzip. In C. F. Meyers Ballade "Die Füße im pse_276.013 Feuer" schiebt der Dichter die Vergangenheit der Hugenottenverfolgung pse_276.014 und die gegenwärtige Lage des Reiters ineinander. pse_276.015 Aber schon hier spüren wir die überwölbende Einheit: pse_276.016 das Geschehen ist ganz vom Standpunkt dieses Reiters pse_276.017 aus gestaltet. Wirksam ist der Widerspruch der Stimmungen pse_276.018 zwischen einzelnen Teilen. Man denke an die verschiedenen pse_276.019 Narrenszenen in Shakespeares Tragödien, die uns plötzlich pse_276.020 in eine andere Atmosphäre tauchen. Bekannt ist auch der pse_276.021 überraschende Schluß vieler lyrischer Gedichte Heines. Die pse_276.022 Zerstörung der im ganzen Gedicht fortlaufenden Stimmung pse_276.023 durch das Schlußbild schafft selbst den oft erschütternden pse_276.024 Eindruck der Zerrissenheit. Viel weiter führt dann der Widerspruch pse_276.025 zwischen Gehalt und Form. Im Lauf der Entwicklung pse_276.026 bilden sich gewisse notwendige Zusammenhänge zwischen pse_276.027 der Gestalt und den dargestellten Ideen: der hohe Ton pse_276.028 für die Inhalte der tragedie classique, der rüpelhafte Ton für pse_276.029 Burlesken usw. Nun kann gerade hier eine völlige Verdrehung pse_276.030 eintreten. Blumauer hat Vergils "Äneis" im Inhalt durchaus pse_276.031 belassen, aber das Ganze in einen bänkelsängerisch-trivialen pse_276.032 Ton gebracht. Damit wird uns die menschliche Begrenztheit pse_276.033 und Beschränktheit auch der Großen sehr aufdringlich nahegebracht. pse_276.034 Eine solche Umwandlung des Tones bei gleichbleibendem pse_276.035 Gehalt nennt man Travestie. Freilich wird gerade pse_276.036 hier deutlich, daß es in Wirklichkeit nicht bei demselben pse_276.037 Gehalt bleibt: das ganze Geschehen wird gedrückt, die Beleuchtung pse_276.038 ist völlig anders, es ist nicht mehr dasselbe. Wieder
pse_276.001 der durchgehenden Bewegung; sie fallen besonders pse_276.002 im modernen Roman, aber auch im Aufbau neuerer pse_276.003 Dramen oft auf. Vor allem wird solche Unterbrechung erzeugt, pse_276.004 wenn Raumstörungen eintreten. Wenn also, wie im pse_276.005 Drama des Sturm und Drang oder auch sehr deutlich etwa pse_276.006 in Claudels »Seidenem Schuh« die Schauplätze stark und häufig pse_276.007 wechseln und dabei auch scheinbar der Faden der Handlung pse_276.008 völlig zerreißt. Auch bei starken Umschaltungen etwa pse_276.009 zeitlicher Art entsteht der Eindruck der Disparatheit. Nicht pse_276.010 bloß im modernen Roman mit der oft völligen Auflösung pse_276.011 des Zeitkontinuums, sondern schon in der Ballade finden wir pse_276.012 dieses Kunstprinzip. In C. F. Meyers Ballade »Die Füße im pse_276.013 Feuer« schiebt der Dichter die Vergangenheit der Hugenottenverfolgung pse_276.014 und die gegenwärtige Lage des Reiters ineinander. pse_276.015 Aber schon hier spüren wir die überwölbende Einheit: pse_276.016 das Geschehen ist ganz vom Standpunkt dieses Reiters pse_276.017 aus gestaltet. Wirksam ist der Widerspruch der Stimmungen pse_276.018 zwischen einzelnen Teilen. Man denke an die verschiedenen pse_276.019 Narrenszenen in Shakespeares Tragödien, die uns plötzlich pse_276.020 in eine andere Atmosphäre tauchen. Bekannt ist auch der pse_276.021 überraschende Schluß vieler lyrischer Gedichte Heines. Die pse_276.022 Zerstörung der im ganzen Gedicht fortlaufenden Stimmung pse_276.023 durch das Schlußbild schafft selbst den oft erschütternden pse_276.024 Eindruck der Zerrissenheit. Viel weiter führt dann der Widerspruch pse_276.025 zwischen Gehalt und Form. Im Lauf der Entwicklung pse_276.026 bilden sich gewisse notwendige Zusammenhänge zwischen pse_276.027 der Gestalt und den dargestellten Ideen: der hohe Ton pse_276.028 für die Inhalte der tragédie classique, der rüpelhafte Ton für pse_276.029 Burlesken usw. Nun kann gerade hier eine völlige Verdrehung pse_276.030 eintreten. Blumauer hat Vergils »Äneis« im Inhalt durchaus pse_276.031 belassen, aber das Ganze in einen bänkelsängerisch-trivialen pse_276.032 Ton gebracht. Damit wird uns die menschliche Begrenztheit pse_276.033 und Beschränktheit auch der Großen sehr aufdringlich nahegebracht. pse_276.034 Eine solche Umwandlung des Tones bei gleichbleibendem pse_276.035 Gehalt nennt man Travestie. Freilich wird gerade pse_276.036 hier deutlich, daß es in Wirklichkeit nicht bei demselben pse_276.037 Gehalt bleibt: das ganze Geschehen wird gedrückt, die Beleuchtung pse_276.038 ist völlig anders, es ist nicht mehr dasselbe. Wieder
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Dramen oft auf. Vor allem wird solche Unterbrechung erzeugt, pse_276.004
wenn Raumstörungen eintreten. Wenn also, wie im pse_276.005
Drama des Sturm und Drang oder auch sehr deutlich etwa pse_276.006
in Claudels »Seidenem Schuh« die Schauplätze stark und häufig pse_276.007
wechseln und dabei auch scheinbar der Faden der Handlung pse_276.008
völlig zerreißt. Auch bei starken Umschaltungen etwa pse_276.009
zeitlicher Art entsteht der Eindruck der Disparatheit. Nicht pse_276.010
bloß im modernen Roman mit der oft völligen Auflösung pse_276.011
des Zeitkontinuums, sondern schon in der Ballade finden wir pse_276.012
dieses Kunstprinzip. In C. F. Meyers Ballade »Die Füße im pse_276.013
Feuer« schiebt der Dichter die Vergangenheit der Hugenottenverfolgung pse_276.014
und die gegenwärtige Lage des Reiters ineinander. pse_276.015
Aber schon hier spüren wir die überwölbende Einheit: pse_276.016
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Narrenszenen in Shakespeares Tragödien, die uns plötzlich pse_276.020
in eine andere Atmosphäre tauchen. Bekannt ist auch der pse_276.021
überraschende Schluß vieler lyrischer Gedichte Heines. Die pse_276.022
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/292>, abgerufen am 22.11.2024.
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