pse_215.001 rhetorischen Figuren werden nach formalen Merkmalen eingeteilt. pse_215.002 Aber damit ist nur die Form selbst näher bezeichnet, pse_215.003 die man verwenden kann, der Stilwert dagegen bleibt aus pse_215.004 solcher Benennung und Einteilung ausgeklammert. Das ist der pse_215.005 Nachteil solcher Figurensysteme.
pse_215.006
Was itzund Atem holt, muß mit der Luft entfliehn,pse_215.007 Was nach uns kommen wird, wird uns ins Grab nachziehn.
pse_215.008 (Aus einem Gryphius-Sonett)
pse_215.009
Man kann da zunächst die Figur des Parallelismus feststellen: pse_215.010 gleicher Satzbau durch zwei Sätze. Ferner eine Art Metonymie, pse_215.011 indem die Menschen umschrieben werden durch das, pse_215.012 was sie tun oder wie sie zeitlich zu uns stehen. Warum aber pse_215.013 gebraucht der Dichter diese Figuren? Der Parallelismus gibt pse_215.014 Eindringlichkeit besonders deshalb, weil sich mit ihm Antithetik pse_215.015 verbindet, die Eindringlichkeit des Satzbaus hebt die pse_215.016 Gegensätze mehr hervor, diese wieder den Satzbau. Statt pse_215.017 des Ausdrucks Menschen wird hier ein Vorgang gestaltet. pse_215.018 Die Verwendung der Figuren schafft gehobenen und eindringlichen pse_215.019 Stil. Zugleich muß die Stelle beachtet werden, pse_215.020 an der diese Verse stehen. Es sind die zwei ersten Verse einer pse_215.021 letzten Sonettstrophe: sie fassen zusammen, was vorausging, pse_215.022 so daß der parallele Satzbau erst recht in seiner Funktion der pse_215.023 Vereindringlichung deutlich wird. Und die beiden parallelen pse_215.024 Sätze sind wie eine letzte Vorbereitung zum letzten Vers, der pse_215.025 durch diesen doppelten Unterbau erst recht die Krönung des pse_215.026 ganzen Sonetts ist:
pse_215.027
Was sag ich? Wir vergehn wie Rauch von starken Winden.
pse_215.028
Der Dichter also "verwendet" Figuren zur Hebung der Sprachebene pse_215.029 in den künstlerischen Raum und zugleich, um dadurch, pse_215.030 daß er den Wert der Figuren wieder lebendig macht, in pse_215.031 dieser künstlerischen Gestaltung den tiefen Gehalt erleben zu pse_215.032 lassen.
pse_215.033 Vielfach haben sich nun bestimmte Figuren ausgebildet, pse_215.034 die nicht durch ihren Bau gekennzeichnet sind, sondern durch pse_215.035 ihren Inhalt. So bilden sich bestimmte Denkschemata, die pse_215.036 seit der Antike von den besten Dichtern bis ins 18. Jahrhundert
pse_215.001 rhetorischen Figuren werden nach formalen Merkmalen eingeteilt. pse_215.002 Aber damit ist nur die Form selbst näher bezeichnet, pse_215.003 die man verwenden kann, der Stilwert dagegen bleibt aus pse_215.004 solcher Benennung und Einteilung ausgeklammert. Das ist der pse_215.005 Nachteil solcher Figurensysteme.
pse_215.006
Was itzund Atem holt, muß mit der Luft entfliehn,pse_215.007 Was nach uns kommen wird, wird uns ins Grab nachziehn.
pse_215.008 (Aus einem Gryphius-Sonett)
pse_215.009
Man kann da zunächst die Figur des Parallelismus feststellen: pse_215.010 gleicher Satzbau durch zwei Sätze. Ferner eine Art Metonymie, pse_215.011 indem die Menschen umschrieben werden durch das, pse_215.012 was sie tun oder wie sie zeitlich zu uns stehen. Warum aber pse_215.013 gebraucht der Dichter diese Figuren? Der Parallelismus gibt pse_215.014 Eindringlichkeit besonders deshalb, weil sich mit ihm Antithetik pse_215.015 verbindet, die Eindringlichkeit des Satzbaus hebt die pse_215.016 Gegensätze mehr hervor, diese wieder den Satzbau. Statt pse_215.017 des Ausdrucks Menschen wird hier ein Vorgang gestaltet. pse_215.018 Die Verwendung der Figuren schafft gehobenen und eindringlichen pse_215.019 Stil. Zugleich muß die Stelle beachtet werden, pse_215.020 an der diese Verse stehen. Es sind die zwei ersten Verse einer pse_215.021 letzten Sonettstrophe: sie fassen zusammen, was vorausging, pse_215.022 so daß der parallele Satzbau erst recht in seiner Funktion der pse_215.023 Vereindringlichung deutlich wird. Und die beiden parallelen pse_215.024 Sätze sind wie eine letzte Vorbereitung zum letzten Vers, der pse_215.025 durch diesen doppelten Unterbau erst recht die Krönung des pse_215.026 ganzen Sonetts ist:
pse_215.027
Was sag ich? Wir vergehn wie Rauch von starken Winden.
pse_215.028
Der Dichter also »verwendet« Figuren zur Hebung der Sprachebene pse_215.029 in den künstlerischen Raum und zugleich, um dadurch, pse_215.030 daß er den Wert der Figuren wieder lebendig macht, in pse_215.031 dieser künstlerischen Gestaltung den tiefen Gehalt erleben zu pse_215.032 lassen.
pse_215.033 Vielfach haben sich nun bestimmte Figuren ausgebildet, pse_215.034 die nicht durch ihren Bau gekennzeichnet sind, sondern durch pse_215.035 ihren Inhalt. So bilden sich bestimmte Denkschemata, die pse_215.036 seit der Antike von den besten Dichtern bis ins 18. Jahrhundert
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rhetorischen Figuren werden nach formalen Merkmalen eingeteilt. pse_215.002
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Was itzund Atem holt, muß mit der Luft entfliehn, pse_215.007
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(Aus einem Gryphius-Sonett)
pse_215.009
Man kann da zunächst die Figur des Parallelismus feststellen: pse_215.010
gleicher Satzbau durch zwei Sätze. Ferner eine Art Metonymie, pse_215.011
indem die Menschen umschrieben werden durch das, pse_215.012
was sie tun oder wie sie zeitlich zu uns stehen. Warum aber pse_215.013
gebraucht der Dichter diese Figuren? Der Parallelismus gibt pse_215.014
Eindringlichkeit besonders deshalb, weil sich mit ihm Antithetik pse_215.015
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Gegensätze mehr hervor, diese wieder den Satzbau. Statt pse_215.017
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durch diesen doppelten Unterbau erst recht die Krönung des pse_215.026
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pse_215.027
Was sag ich? Wir vergehn wie Rauch von starken Winden.
pse_215.028
Der Dichter also »verwendet« Figuren zur Hebung der Sprachebene pse_215.029
in den künstlerischen Raum und zugleich, um dadurch, pse_215.030
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/231>, abgerufen am 24.11.2024.
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