pse_209.001 sinnlich gegebenen Gegenstandes, auch in den bildenden pse_209.002 Künsten, voll ersetzen. Es wäre immer nur ärmlicher Ersatz. pse_209.003 Das Beispiel aus Stifter ist lehrreich: gewiß sind hier manche pse_209.004 Worte, die sofort eine anschauliche Vorstellung wecken. pse_209.005 Aber man malt sich das Bild nicht aus, sondern läßt die sprachliche pse_209.006 Gestaltung auf sich wirken: die Fülle des Wortgehalts, pse_209.007 die weit über die bloße Zeichenhaftigkeit des Wortes, den pse_209.008 Hinweis auf ein Außersprachliches hinausgeht und die unmittelbar pse_209.009 aus dem Inneren im sprachschöpferischen Vorgang pse_209.010 herausquillt und auf das Innere zurückwirkt, das Zusammenwirken pse_209.011 der Wortgehalte in der Aufeinanderfolge, aber auch pse_209.012 im Zusammenklingen, indem die Werte des einen noch pse_209.013 nachklingen im Schwingen des anderen; das alles aber auch pse_209.014 in der Lautung lebendig (Wucht und Wölbung, milchiger pse_209.015 Lichtstreifen), im Rhythmus des Satzablaufs, im vollen Klang. pse_209.016 Das geht über Anschaulichkeit hinaus; die Worte und die pse_209.017 ganze Sprachgestaltung geben keinen Ersatz für eine außersprachliche pse_209.018 Wirklichkeit, sondern schaffen eine neue Welt, pse_209.019 gewiß nur erfaßbar aus Bezügen zur außersprachlichen Wirklichkeit, pse_209.020 aber weit darüber hinaus durch die Aufschließung pse_209.021 eines Menscheninneren im Erfassen und durch Erschließen pse_209.022 eines Tieferen, das uns gerade im Gefühlsschwingen aufgeht. pse_209.023 So wird hier die Größe und zugleich Einheit der Gesamtschöpfung pse_209.024 spürbar von der Sternenwelt bis zum Vogelruf. pse_209.025 Also aus der Sprachgestaltung in gehaltlicher und lautungsmäßiger pse_209.026 Hinsicht wird die Tiefe der Welt erschlossen -- eine pse_209.027 ästhetische Leistung im hohen Sinn des Wortes. So wird uns pse_209.028 das sprachliche Bild in seinem Wesen nochmals deutlich: in pse_209.029 der Eindringlichkeit des Erfassens und in der Grenzöffnung pse_209.030 des Ichs und der unmittelbaren Erfahrungswelt.
pse_209.031 So ergeben sich Folgerungen: schon das Wort ist ein pse_209.032 sprachliches Bild. Das sprachliche Bild wird lebendig nicht pse_209.033 bloß im Gehalt des sprachlich Geformten, sondern auch im pse_209.034 Lautlichen. Verse aus Novalis:
pse_209.035
Wenn alle untreu werden,pse_209.036 So bleib ich dir doch treu,pse_209.037 Daß Dankbarkeit auf Erdenpse_209.038 Nicht ausgestorben sei.
pse_209.001 sinnlich gegebenen Gegenstandes, auch in den bildenden pse_209.002 Künsten, voll ersetzen. Es wäre immer nur ärmlicher Ersatz. pse_209.003 Das Beispiel aus Stifter ist lehrreich: gewiß sind hier manche pse_209.004 Worte, die sofort eine anschauliche Vorstellung wecken. pse_209.005 Aber man malt sich das Bild nicht aus, sondern läßt die sprachliche pse_209.006 Gestaltung auf sich wirken: die Fülle des Wortgehalts, pse_209.007 die weit über die bloße Zeichenhaftigkeit des Wortes, den pse_209.008 Hinweis auf ein Außersprachliches hinausgeht und die unmittelbar pse_209.009 aus dem Inneren im sprachschöpferischen Vorgang pse_209.010 herausquillt und auf das Innere zurückwirkt, das Zusammenwirken pse_209.011 der Wortgehalte in der Aufeinanderfolge, aber auch pse_209.012 im Zusammenklingen, indem die Werte des einen noch pse_209.013 nachklingen im Schwingen des anderen; das alles aber auch pse_209.014 in der Lautung lebendig (Wucht und Wölbung, milchiger pse_209.015 Lichtstreifen), im Rhythmus des Satzablaufs, im vollen Klang. pse_209.016 Das geht über Anschaulichkeit hinaus; die Worte und die pse_209.017 ganze Sprachgestaltung geben keinen Ersatz für eine außersprachliche pse_209.018 Wirklichkeit, sondern schaffen eine neue Welt, pse_209.019 gewiß nur erfaßbar aus Bezügen zur außersprachlichen Wirklichkeit, pse_209.020 aber weit darüber hinaus durch die Aufschließung pse_209.021 eines Menscheninneren im Erfassen und durch Erschließen pse_209.022 eines Tieferen, das uns gerade im Gefühlsschwingen aufgeht. pse_209.023 So wird hier die Größe und zugleich Einheit der Gesamtschöpfung pse_209.024 spürbar von der Sternenwelt bis zum Vogelruf. pse_209.025 Also aus der Sprachgestaltung in gehaltlicher und lautungsmäßiger pse_209.026 Hinsicht wird die Tiefe der Welt erschlossen — eine pse_209.027 ästhetische Leistung im hohen Sinn des Wortes. So wird uns pse_209.028 das sprachliche Bild in seinem Wesen nochmals deutlich: in pse_209.029 der Eindringlichkeit des Erfassens und in der Grenzöffnung pse_209.030 des Ichs und der unmittelbaren Erfahrungswelt.
pse_209.031 So ergeben sich Folgerungen: schon das Wort ist ein pse_209.032 sprachliches Bild. Das sprachliche Bild wird lebendig nicht pse_209.033 bloß im Gehalt des sprachlich Geformten, sondern auch im pse_209.034 Lautlichen. Verse aus Novalis:
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Wenn alle untreu werden,pse_209.036 So bleib ich dir doch treu,pse_209.037 Daß Dankbarkeit auf Erdenpse_209.038 Nicht ausgestorben sei.
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Das Beispiel aus Stifter ist lehrreich: gewiß sind hier manche pse_209.004
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Gestaltung auf sich wirken: die Fülle des Wortgehalts, pse_209.007
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Hinweis auf ein Außersprachliches hinausgeht und die unmittelbar pse_209.009
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herausquillt und auf das Innere zurückwirkt, das Zusammenwirken pse_209.011
der Wortgehalte in der Aufeinanderfolge, aber auch pse_209.012
im Zusammenklingen, indem die Werte des einen noch pse_209.013
nachklingen im Schwingen des anderen; das alles aber auch pse_209.014
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aber weit darüber hinaus durch die Aufschließung pse_209.021
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eines Tieferen, das uns gerade im Gefühlsschwingen aufgeht. pse_209.023
So wird hier die Größe und zugleich Einheit der Gesamtschöpfung pse_209.024
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ästhetische Leistung im hohen Sinn des Wortes. So wird uns pse_209.028
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So ergeben sich Folgerungen: schon das Wort ist ein pse_209.032
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/225>, abgerufen am 25.11.2024.
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