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Scriver, Christian: Das Verlohrne und wiedergefundene Schäfflein. Magdeburg, 1672.

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Stadt gekant/ der sich der Unzucht/ dem Gesöff und andern
Sünden ergeben/ Endlich aber von seinem erregten Ge-
wissen/ und der Göttlichen Gerechtigkeit dermassen ver-
folget worden/ daß er weder Tag noch Nacht Ruhe ge-
habt/ Er war flüchtig und unstet/ wie Cain. (1. Buch Mos.
IV. 14.) ob ihn wol kein Mensch jagte oder verfolgte: Er
lieff von einem Ort zum andern/ von einer Stadt zur an-
dern/ wie ein Hirsch/ dem Hunde und Jäger nachsätzen/
Einsmahl kam er zu mir/ nach dem ich auß der Kirchen
nach abgelegter Predigt/ kaum zu Hause kommen/ in kläg-
licher gestalt/ Er keichte alß einer der sich fast aus dem O-
dem gelauffen/ die Schweiß Tropffen stunden ihm wie
Erbsen groß unter seinem Gesicht/ und flossen mildiglich
herunter/ Er sahe elend auß/ war blaß und ungestalt/ und
alß ich ihn bat herein zu kommen/ und versuchte Jhm tröst-
lich zuzusprechen/ hatte er keine Stetigkeit mich zu hören/
sondern bat nur/ Jch möchte bey der Obrigkeit helffen/ daß
ihm sein Recht gethan/ und seiner Angst abgeholffen wür-
de/ und also eilete er wider davon. Hiebey erinnerte ich mich
des schicklichen und artigen Sinnbilds/ welches ein Bele-
sener Mann anführet/ darinnen ein Pferd im vollem Lauf
fürgestellet wird/ von vielen Wespen oder Breinsen ver-
folget/ mit der Beyschrifft: Frustra curris! Es ist umb-
sonst daß du so läuffst. (Camerar. hor. subciss. Cent. 2.
c.
36.) Das böse und von GOttes Zorn erregte Gewissen
damit abzubilden. Gewiß dieser elende Mann ward von
seinen Sünden/ in allem seinem Lauffen/ dennoch geäng-
stet und gejaget/ und konte seinem erregtem Gewissen nicht
entlauffen/ Jch habe aber nachher ihn nicht weiter gesehen/
und weiß nicht/ Ob er endlich Ruhe für seine Seele in der
Gnade GOttes bey Christo JEsu gefunden hat.

§. 6. Hier-
D iij

Stadt gekant/ der ſich der Unzucht/ dem Geſoͤff und andeꝛn
Suͤnden ergeben/ Endlich aber von ſeinem erregten Ge-
wiſſen/ und der Goͤttlichen Gerechtigkeit dermaſſen ver-
folget worden/ daß er weder Tag noch Nacht Ruhe ge-
habt/ Er war fluͤchtig und unſtet/ wie Cain. (1. Buch Moſ.
IV. 14.) ob ihn wol kein Menſch jagte oder verfolgte: Er
lieff von einem Ort zum andern/ von einer Stadt zur an-
dern/ wie ein Hirſch/ dem Hunde und Jaͤger nachſaͤtzen/
Einsmahl kam er zu mir/ nach dem ich auß der Kirchen
nach abgelegter Predigt/ kaum zu Hauſe kommen/ in klaͤg-
licher geſtalt/ Er keichte alß einer der ſich faſt aus dem O-
dem gelauffen/ die Schweiß Tropffen ſtunden ihm wie
Erbſen groß unter ſeinem Geſicht/ und floſſen mildiglich
herunter/ Er ſahe elend auß/ war blaß und ungeſtalt/ und
alß ich ihn bat herein zu kommen/ und verſuchte Jhm troͤſt-
lich zuzuſprechen/ hatte er keine Stetigkeit mich zu hoͤren/
ſondern bat nur/ Jch moͤchte bey der Obrigkeit helffen/ daß
ihm ſein Recht gethan/ und ſeiner Angſt abgeholffen wuͤr-
de/ und alſo eilete er wideꝛ davon. Hiebey erinnerte ich mich
des ſchicklichen und artigen Sinnbilds/ welches ein Bele-
ſener Mann anfuͤhret/ darinnen ein Pferd im vollem Lauf
fuͤrgeſtellet wird/ von vielen Weſpen oder Breinſen ver-
folget/ mit der Beyſchrifft: Fruſtrà curris! Es iſt umb-
ſonſt daß du ſo laͤuffſt. (Camerar. hor. ſubciſſ. Cent. 2.
c.
36.) Das boͤſe und von GOttes Zorn erregte Gewiſſen
damit abzubilden. Gewiß dieſer elende Mann ward von
ſeinen Suͤnden/ in allem ſeinem Lauffen/ dennoch geaͤng-
ſtet und gejaget/ und konte ſeinem erregtem Gewiſſen nicht
entlauffen/ Jch habe aber nachher ihn nicht weiter geſehen/
und weiß nicht/ Ob er endlich Ruhe fuͤr ſeine Seele in der
Gnade GOttes bey Chriſto JEſu gefunden hat.

§. 6. Hier-
D iij
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[0051] Stadt gekant/ der ſich der Unzucht/ dem Geſoͤff und andeꝛn Suͤnden ergeben/ Endlich aber von ſeinem erregten Ge- wiſſen/ und der Goͤttlichen Gerechtigkeit dermaſſen ver- folget worden/ daß er weder Tag noch Nacht Ruhe ge- habt/ Er war fluͤchtig und unſtet/ wie Cain. (1. Buch Moſ. IV. 14.) ob ihn wol kein Menſch jagte oder verfolgte: Er lieff von einem Ort zum andern/ von einer Stadt zur an- dern/ wie ein Hirſch/ dem Hunde und Jaͤger nachſaͤtzen/ Einsmahl kam er zu mir/ nach dem ich auß der Kirchen nach abgelegter Predigt/ kaum zu Hauſe kommen/ in klaͤg- licher geſtalt/ Er keichte alß einer der ſich faſt aus dem O- dem gelauffen/ die Schweiß Tropffen ſtunden ihm wie Erbſen groß unter ſeinem Geſicht/ und floſſen mildiglich herunter/ Er ſahe elend auß/ war blaß und ungeſtalt/ und alß ich ihn bat herein zu kommen/ und verſuchte Jhm troͤſt- lich zuzuſprechen/ hatte er keine Stetigkeit mich zu hoͤren/ ſondern bat nur/ Jch moͤchte bey der Obrigkeit helffen/ daß ihm ſein Recht gethan/ und ſeiner Angſt abgeholffen wuͤr- de/ und alſo eilete er wideꝛ davon. Hiebey erinnerte ich mich des ſchicklichen und artigen Sinnbilds/ welches ein Bele- ſener Mann anfuͤhret/ darinnen ein Pferd im vollem Lauf fuͤrgeſtellet wird/ von vielen Weſpen oder Breinſen ver- folget/ mit der Beyſchrifft: Fruſtrà curris! Es iſt umb- ſonſt daß du ſo laͤuffſt. (Camerar. hor. ſubciſſ. Cent. 2. c. 36.) Das boͤſe und von GOttes Zorn erregte Gewiſſen damit abzubilden. Gewiß dieſer elende Mann ward von ſeinen Suͤnden/ in allem ſeinem Lauffen/ dennoch geaͤng- ſtet und gejaget/ und konte ſeinem erregtem Gewiſſen nicht entlauffen/ Jch habe aber nachher ihn nicht weiter geſehen/ und weiß nicht/ Ob er endlich Ruhe fuͤr ſeine Seele in der Gnade GOttes bey Chriſto JEſu gefunden hat. §. 6. Hier- D iij

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Zitationshilfe: Scriver, Christian: Das Verlohrne und wiedergefundene Schäfflein. Magdeburg, 1672, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scriver_schaefflein_1672/51>, abgerufen am 03.05.2024.