Alle kriegerische Thätigkeit findet in dem Acte der Vernichtung ihr höchstes Ziel. Der menschliche Körper ist zwar an und für sich fähig, auf die Körper außerhalb ihm zerstörend zu wirken; wenn aber zwei Parteien einander gegenübertreten, deren jede ihren Vortheil in dem Untergange des anderen sucht, ist es klar, daß jede von ihnen nach einer Steigerung ihrer vernichtenden Kraft strebt, welche sie dann in jenen Werkzeugen finden, die man kurzweg Waffen nennt. In früheren Zeiten suchten die Streitenden nach Gegenmitteln, um die Wirkung der feindlichen Waffen abzuschwächen oder gänzlich aufzuheben. Durch diesen Gegensatz entstanden die Bezeichnungen "Trutzwaffen" und "Schutzwaffen", ein Gegensatz, der heute, wo die Schußwaffen in Bezug auf ihre Tragweite und Treffsicherheit den höchsten Grad von Vollkommenheit erreicht haben, nicht mehr besteht. Seither haben auch die blanken Waffen, welche auf den Nahekampf berechnet sind, im Allgemeinen nur einen geringen Werth. Nur bei der Reiterei muß diesfalls eine Ausnahme gemacht werden. Das früher so gefürchtete Bajonnet als Stoßwaffe im Nahekampfe giebt in einem Kampfe der Jetztzeit selten den Ausschlag; es wird nur gelegentlich in Anwendung kommen und ist der Natur der Sache nach haupt- sächlich eine Angriffs- und Vertheidigungswaffe des einzelnen Kämpfers.
Zum Acte der Vernichtung gelangen die Heere durch die Bewegung. Sie müssen also auch dementsprechend mit Waffen ausgerüstet werden, welche die Bewegung des Gegners hindern, und wo es sich um Schußwaffen größeren Calibers handelt, müssen dieselben derart construirt sein, daß ihre Fortschaffung keine Schwierigkeiten macht. Die erste Gattung -- die Handfeuerwaffen-- werden mit einem hölzernen Schafte versehen, der dem Soldaten das Tragen der Waffe, das Bedienen derselben und ihren Gebrauch als Stoßwaffe erleichtert: die zweite Gattung -- die Ge- schütze -- werden in Gestelle (Lafetten) eingelegt, welche je nach dem Zwecke des Geschützes verschiedene Einrichtungen erhalten, aber alle darin übereinstimmen, daß sie der Mannschaft, welche zur Bedienung desselben bestimmt ist, das Abfeuern
Erſter Abſchnitt.
Das Geſchützweſen.
Alle kriegeriſche Thätigkeit findet in dem Acte der Vernichtung ihr höchſtes Ziel. Der menſchliche Körper iſt zwar an und für ſich fähig, auf die Körper außerhalb ihm zerſtörend zu wirken; wenn aber zwei Parteien einander gegenübertreten, deren jede ihren Vortheil in dem Untergange des anderen ſucht, iſt es klar, daß jede von ihnen nach einer Steigerung ihrer vernichtenden Kraft ſtrebt, welche ſie dann in jenen Werkzeugen finden, die man kurzweg Waffen nennt. In früheren Zeiten ſuchten die Streitenden nach Gegenmitteln, um die Wirkung der feindlichen Waffen abzuſchwächen oder gänzlich aufzuheben. Durch dieſen Gegenſatz entſtanden die Bezeichnungen »Trutzwaffen« und »Schutzwaffen«, ein Gegenſatz, der heute, wo die Schußwaffen in Bezug auf ihre Tragweite und Treffſicherheit den höchſten Grad von Vollkommenheit erreicht haben, nicht mehr beſteht. Seither haben auch die blanken Waffen, welche auf den Nahekampf berechnet ſind, im Allgemeinen nur einen geringen Werth. Nur bei der Reiterei muß diesfalls eine Ausnahme gemacht werden. Das früher ſo gefürchtete Bajonnet als Stoßwaffe im Nahekampfe giebt in einem Kampfe der Jetztzeit ſelten den Ausſchlag; es wird nur gelegentlich in Anwendung kommen und iſt der Natur der Sache nach haupt- ſächlich eine Angriffs- und Vertheidigungswaffe des einzelnen Kämpfers.
Zum Acte der Vernichtung gelangen die Heere durch die Bewegung. Sie müſſen alſo auch dementſprechend mit Waffen ausgerüſtet werden, welche die Bewegung des Gegners hindern, und wo es ſich um Schußwaffen größeren Calibers handelt, müſſen dieſelben derart conſtruirt ſein, daß ihre Fortſchaffung keine Schwierigkeiten macht. Die erſte Gattung — die Handfeuerwaffen— werden mit einem hölzernen Schafte verſehen, der dem Soldaten das Tragen der Waffe, das Bedienen derſelben und ihren Gebrauch als Stoßwaffe erleichtert: die zweite Gattung — die Ge- ſchütze — werden in Geſtelle (Lafetten) eingelegt, welche je nach dem Zwecke des Geſchützes verſchiedene Einrichtungen erhalten, aber alle darin übereinſtimmen, daß ſie der Mannſchaft, welche zur Bedienung desſelben beſtimmt iſt, das Abfeuern
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0757"n="683"/><lb/><divn="3"><milestonerendition="#hr"unit="section"/><head><hirendition="#b">Erſter Abſchnitt.</hi></head></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">Das Geſchützweſen.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">A</hi>lle kriegeriſche Thätigkeit findet in dem Acte der Vernichtung ihr höchſtes<lb/><hirendition="#et">Ziel. Der menſchliche Körper iſt zwar an und für ſich fähig, auf die<lb/>
Körper außerhalb ihm zerſtörend zu wirken; wenn aber zwei Parteien</hi><lb/>
einander gegenübertreten, deren jede ihren Vortheil in dem Untergange des anderen<lb/>ſucht, iſt es klar, daß jede von ihnen nach einer Steigerung ihrer vernichtenden<lb/>
Kraft ſtrebt, welche ſie dann in jenen Werkzeugen finden, die man kurzweg <hirendition="#g">Waffen</hi><lb/>
nennt. In früheren Zeiten ſuchten die Streitenden nach Gegenmitteln, um die<lb/>
Wirkung der feindlichen Waffen abzuſchwächen oder gänzlich aufzuheben. Durch<lb/>
dieſen Gegenſatz entſtanden die Bezeichnungen »Trutzwaffen« und »Schutzwaffen«,<lb/>
ein Gegenſatz, der heute, wo die Schußwaffen in Bezug auf ihre Tragweite und<lb/>
Treffſicherheit den höchſten Grad von Vollkommenheit erreicht haben, nicht mehr<lb/>
beſteht. Seither haben auch die blanken Waffen, welche auf den Nahekampf berechnet<lb/>ſind, im Allgemeinen nur einen geringen Werth. Nur bei der Reiterei muß diesfalls<lb/>
eine Ausnahme gemacht werden. Das früher ſo gefürchtete Bajonnet als Stoßwaffe<lb/>
im Nahekampfe giebt in einem Kampfe der Jetztzeit ſelten den Ausſchlag; es wird<lb/>
nur gelegentlich in Anwendung kommen und iſt der Natur der Sache nach haupt-<lb/>ſächlich eine Angriffs- und Vertheidigungswaffe des einzelnen Kämpfers.</p><lb/><p>Zum Acte der Vernichtung gelangen die Heere durch die Bewegung. Sie müſſen<lb/>
alſo auch dementſprechend mit Waffen ausgerüſtet werden, welche die Bewegung des<lb/>
Gegners hindern, und wo es ſich um Schußwaffen größeren Calibers handelt, müſſen<lb/>
dieſelben derart conſtruirt ſein, daß ihre Fortſchaffung keine Schwierigkeiten macht.<lb/>
Die erſte Gattung —<hirendition="#g">die Handfeuerwaffen</hi>— werden mit einem hölzernen<lb/>
Schafte verſehen, der dem Soldaten das Tragen der Waffe, das Bedienen derſelben<lb/>
und ihren Gebrauch als Stoßwaffe erleichtert: die zweite Gattung —<hirendition="#g">die Ge-<lb/>ſchütze</hi>— werden in Geſtelle (Lafetten) eingelegt, welche je nach dem Zwecke des<lb/>
Geſchützes verſchiedene Einrichtungen erhalten, aber alle darin übereinſtimmen, daß<lb/>ſie der Mannſchaft, welche zur Bedienung desſelben beſtimmt iſt, das Abfeuern<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[683/0757]
Erſter Abſchnitt.
Das Geſchützweſen.
Alle kriegeriſche Thätigkeit findet in dem Acte der Vernichtung ihr höchſtes
Ziel. Der menſchliche Körper iſt zwar an und für ſich fähig, auf die
Körper außerhalb ihm zerſtörend zu wirken; wenn aber zwei Parteien
einander gegenübertreten, deren jede ihren Vortheil in dem Untergange des anderen
ſucht, iſt es klar, daß jede von ihnen nach einer Steigerung ihrer vernichtenden
Kraft ſtrebt, welche ſie dann in jenen Werkzeugen finden, die man kurzweg Waffen
nennt. In früheren Zeiten ſuchten die Streitenden nach Gegenmitteln, um die
Wirkung der feindlichen Waffen abzuſchwächen oder gänzlich aufzuheben. Durch
dieſen Gegenſatz entſtanden die Bezeichnungen »Trutzwaffen« und »Schutzwaffen«,
ein Gegenſatz, der heute, wo die Schußwaffen in Bezug auf ihre Tragweite und
Treffſicherheit den höchſten Grad von Vollkommenheit erreicht haben, nicht mehr
beſteht. Seither haben auch die blanken Waffen, welche auf den Nahekampf berechnet
ſind, im Allgemeinen nur einen geringen Werth. Nur bei der Reiterei muß diesfalls
eine Ausnahme gemacht werden. Das früher ſo gefürchtete Bajonnet als Stoßwaffe
im Nahekampfe giebt in einem Kampfe der Jetztzeit ſelten den Ausſchlag; es wird
nur gelegentlich in Anwendung kommen und iſt der Natur der Sache nach haupt-
ſächlich eine Angriffs- und Vertheidigungswaffe des einzelnen Kämpfers.
Zum Acte der Vernichtung gelangen die Heere durch die Bewegung. Sie müſſen
alſo auch dementſprechend mit Waffen ausgerüſtet werden, welche die Bewegung des
Gegners hindern, und wo es ſich um Schußwaffen größeren Calibers handelt, müſſen
dieſelben derart conſtruirt ſein, daß ihre Fortſchaffung keine Schwierigkeiten macht.
Die erſte Gattung — die Handfeuerwaffen— werden mit einem hölzernen
Schafte verſehen, der dem Soldaten das Tragen der Waffe, das Bedienen derſelben
und ihren Gebrauch als Stoßwaffe erleichtert: die zweite Gattung — die Ge-
ſchütze — werden in Geſtelle (Lafetten) eingelegt, welche je nach dem Zwecke des
Geſchützes verſchiedene Einrichtungen erhalten, aber alle darin übereinſtimmen, daß
ſie der Mannſchaft, welche zur Bedienung desſelben beſtimmt iſt, das Abfeuern
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Im Reiche der Cyklopen: eine populäre Darstellung der Stahl- und Eisentechnik. Wien u. a., 1900, S. 683. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_cyklopen_1900/757>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.