Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Hoch-Armenien. Geschichtsforschung. Im Allgemeinen blühte das armenischeGeistesleben nur kurze Zeit, wenige Jahrhunderte, was wohl zunächst auf die kurze politische Selbstständigkeit des Landes zurückzuführen sein dürfte; die andersgläubigen Nachbarreiche, welche meist zu unumschränkter Macht gelangt waren, hatten eben keinerlei Interesse an einer Culturarbeit, die vorherrschend aus dem religiösen Leben der Armenier emanirte, wodurch besonders die blinde Verfolgungswuth der Sassaniden in verderblichem Grade herausgefordert wurde. Mit dem Bekehrerwerk Gregors nahm auch die geistige Thätigkeit im Lande ihren Anfang. König Tiridates (286--342), dessen römische Antecedentien einen ge- wissen Grad von Bildungsdrang voraussetzen lassen mußten, war auch thatsächlich der Ausgangspunkt geistigen Lebens, indem er zunächst dem an seinen Hof berufenen Griechen Agathangelus den Auftrag gab, jene Annalen der armenischen Geschichte zu schreiben, welche den Zeitraum vom ersten Einfalle Ardeschir Babakhans, des Sassaniden, bis zum Uebertritte des armenischen Volkes, also bis zum Höhepunkte der Herrschaft Tiridates um- faßte1. Dieses Werk blieb geraume Zeit die Quelle aller fol- genden Anläufe zu neuen derartigen historischen Arbeiten. Da erst etwa hundert Jahre später Mesrop das armenische Alphabet construirte2 so ward Agathangelus' Werk offenbar zuerst in griechischer Sprache, und erst später in armenischer Sprache abge- faßt, mit Benutzung der damals in Armenien üblichen persischen Schriftzeichen. Mit der Begründung einer eigenen Schrift war der nationalen Literatur aber erst so recht Bahn gebrochen. Schon ein Schüler Mesrops, Gorioun, verfaßte eine armenische Geschichte, während jener dem bisherigen Uebelstande, daß sämmt- liche Gebete und Kirchenschriften nicht nur in einer, dem Volke unleserlichen Schrift, sondern häufig sogar in fremden Sprachen (meist dem Syrischen) abgefaßt waren, durch Verfassung von Original-Arbeiten vorbeugte. Es war ein hohes Glück, für die literarischen Denkmäler Armeniens, ja für sein ganzes origi- nelles Geistesleben, daß Mesrop in dieser Richtung bahnbrechend auftrat, denn im andern Falle wäre jeder Beleg für die geistige 1 Manuscripte in griechischer und armenischer Sprache in Paris. 2 Vgl. Neumann, "Versuch einer armenischen Literatur", 8.
Hoch-Armenien. Geſchichtsforſchung. Im Allgemeinen blühte das armeniſcheGeiſtesleben nur kurze Zeit, wenige Jahrhunderte, was wohl zunächſt auf die kurze politiſche Selbſtſtändigkeit des Landes zurückzuführen ſein dürfte; die andersgläubigen Nachbarreiche, welche meiſt zu unumſchränkter Macht gelangt waren, hatten eben keinerlei Intereſſe an einer Culturarbeit, die vorherrſchend aus dem religiöſen Leben der Armenier emanirte, wodurch beſonders die blinde Verfolgungswuth der Saſſaniden in verderblichem Grade herausgefordert wurde. Mit dem Bekehrerwerk Gregors nahm auch die geiſtige Thätigkeit im Lande ihren Anfang. König Tiridates (286—342), deſſen römiſche Antecedentien einen ge- wiſſen Grad von Bildungsdrang vorausſetzen laſſen mußten, war auch thatſächlich der Ausgangspunkt geiſtigen Lebens, indem er zunächſt dem an ſeinen Hof berufenen Griechen Agathangelus den Auftrag gab, jene Annalen der armeniſchen Geſchichte zu ſchreiben, welche den Zeitraum vom erſten Einfalle Ardeſchir Babakhans, des Saſſaniden, bis zum Uebertritte des armeniſchen Volkes, alſo bis zum Höhepunkte der Herrſchaft Tiridates um- faßte1. Dieſes Werk blieb geraume Zeit die Quelle aller fol- genden Anläufe zu neuen derartigen hiſtoriſchen Arbeiten. Da erſt etwa hundert Jahre ſpäter Mesrop das armeniſche Alphabet conſtruirte2 ſo ward Agathangelus’ Werk offenbar zuerſt in griechiſcher Sprache, und erſt ſpäter in armeniſcher Sprache abge- faßt, mit Benutzung der damals in Armenien üblichen perſiſchen Schriftzeichen. Mit der Begründung einer eigenen Schrift war der nationalen Literatur aber erſt ſo recht Bahn gebrochen. Schon ein Schüler Mesrops, Gorioun, verfaßte eine armeniſche Geſchichte, während jener dem bisherigen Uebelſtande, daß ſämmt- liche Gebete und Kirchenſchriften nicht nur in einer, dem Volke unleſerlichen Schrift, ſondern häufig ſogar in fremden Sprachen (meiſt dem Syriſchen) abgefaßt waren, durch Verfaſſung von Original-Arbeiten vorbeugte. Es war ein hohes Glück, für die literariſchen Denkmäler Armeniens, ja für ſein ganzes origi- nelles Geiſtesleben, daß Mesrop in dieſer Richtung bahnbrechend auftrat, denn im andern Falle wäre jeder Beleg für die geiſtige 1 Manuſcripte in griechiſcher und armeniſcher Sprache in Paris. 2 Vgl. Neumann, „Verſuch einer armeniſchen Literatur“, 8.
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Hoch-Armenien.
Geſchichtsforſchung. Im Allgemeinen blühte das armeniſche
Geiſtesleben nur kurze Zeit, wenige Jahrhunderte, was wohl
zunächſt auf die kurze politiſche Selbſtſtändigkeit des Landes
zurückzuführen ſein dürfte; die andersgläubigen Nachbarreiche,
welche meiſt zu unumſchränkter Macht gelangt waren, hatten eben
keinerlei Intereſſe an einer Culturarbeit, die vorherrſchend aus
dem religiöſen Leben der Armenier emanirte, wodurch beſonders
die blinde Verfolgungswuth der Saſſaniden in verderblichem
Grade herausgefordert wurde. Mit dem Bekehrerwerk Gregors
nahm auch die geiſtige Thätigkeit im Lande ihren Anfang. König
Tiridates (286—342), deſſen römiſche Antecedentien einen ge-
wiſſen Grad von Bildungsdrang vorausſetzen laſſen mußten, war
auch thatſächlich der Ausgangspunkt geiſtigen Lebens, indem er
zunächſt dem an ſeinen Hof berufenen Griechen Agathangelus
den Auftrag gab, jene Annalen der armeniſchen Geſchichte zu
ſchreiben, welche den Zeitraum vom erſten Einfalle Ardeſchir
Babakhans, des Saſſaniden, bis zum Uebertritte des armeniſchen
Volkes, alſo bis zum Höhepunkte der Herrſchaft Tiridates um-
faßte 1. Dieſes Werk blieb geraume Zeit die Quelle aller fol-
genden Anläufe zu neuen derartigen hiſtoriſchen Arbeiten. Da
erſt etwa hundert Jahre ſpäter Mesrop das armeniſche Alphabet
conſtruirte 2 ſo ward Agathangelus’ Werk offenbar zuerſt in
griechiſcher Sprache, und erſt ſpäter in armeniſcher Sprache abge-
faßt, mit Benutzung der damals in Armenien üblichen perſiſchen
Schriftzeichen. Mit der Begründung einer eigenen Schrift war
der nationalen Literatur aber erſt ſo recht Bahn gebrochen.
Schon ein Schüler Mesrops, Gorioun, verfaßte eine armeniſche
Geſchichte, während jener dem bisherigen Uebelſtande, daß ſämmt-
liche Gebete und Kirchenſchriften nicht nur in einer, dem Volke
unleſerlichen Schrift, ſondern häufig ſogar in fremden Sprachen
(meiſt dem Syriſchen) abgefaßt waren, durch Verfaſſung von
Original-Arbeiten vorbeugte. Es war ein hohes Glück, für
die literariſchen Denkmäler Armeniens, ja für ſein ganzes origi-
nelles Geiſtesleben, daß Mesrop in dieſer Richtung bahnbrechend
auftrat, denn im andern Falle wäre jeder Beleg für die geiſtige
1 Manuſcripte in griechiſcher und armeniſcher Sprache in Paris.
2 Vgl. Neumann, „Verſuch einer armeniſchen Literatur“, 8.
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