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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Die Araxes-Ebene. -- Zur Völkerstellung der Armenier.
ädert. Nur wenige Meilen südöstlich von Igdyr liegt am Nord-
fuße des Ararat ein Dörfchen im einsamen Thälchen, Agurie.
Ein kleines Gewässer bespült gewaltige Lavamassen, thalab be-
säumen es dichte Schilfwälder und höher die Ufer hinan fette
Weideplätze, der Lieblingsaufenthalt jener kurdisch-persisch-arme-
nischen Mischrace, die hier unter russischem Einflusse sich mälig
zur Lebensweise der Halb-Nomaden emporgeschwungen hat. Jenes
Dörfchen Agurie ist aber nach armenischer Tradition der Ort,
wo Altvater Noah nach seiner wunderbaren Rettung den Altar
zum Dankopfer errichtete1. Die riesigen Schneewipfel der beiden
Ararat im Rücken, vorn im äußersten Norden die herrlichen Ge-
birgsringe der Eriwanschen Randketten und dazwischen die weit-
läufige schimmernde Araxes-Ebene: die Situation ist zum mindesten
erhebend genug, um obiger Tradition Vorschub zu leisten.

Schon in Pakaran am Arpatschai hatten wir jenen classischen
Boden betreten, auf dem sich die legendenreiche Vor- und Ur-
geschichte Armeniens abspielt. Es ist daher an der Zeit, uns
mit dem Volke der Armenier selbst zu beschäftigen und dessen
ethnische Entwickelung in knapper Form darzustellen ... Die
Uranfänge der Armenier verdämmern in blassen Mythen, wie
die der meisten übrigen asiatischen Culturvölker. Aber während
sich die vorgeschichtliche Zeit der Assyrier und Iranier und jene
Turans in unermeßlichen, fabelhaften Zeiträumen bewegt, in
denen unsere Vorstellungen von greifbaren, räumlichen Verhält-
nissen in Nichts zerfließen2, wurzelt der armenische Stamm-

1 An der Stelle dieses Altars steht heute eine kleine, aus schwarzen
Lavablöcken erbaute Kirche, die mindestens 1000 Jahre alt sein dürfte, wie
allenthalben aus den umherliegenden Grabsteinen hervorgeht. Im Innern
befindet sich auf einem Pfeiler eine Inschrift Kakig I. (989 König von
Armenien), ein Sohn Aschad III., der dem Dorfe verschiedene Privilegien
sicherte, an die sich freilich die Zeitläufe nicht kehrten. Gleichwohl zeichnet
auch heute noch die Bewohner Aguries ein gewisser Stolz aus, den ihnen
die Heiligkeit der Stätte des einstigen Versöhnungsopfers einimpft. (Vgl.
Parrot, "Reise etc.", I, 219; Dubois, Voy., III.)
2 Die vor-zoroastrische Chronologie der Iranier gibt uns ein solches
System ungeheuerer Perioden. Jeder Fixstern regierte den Himmel tausend
Jahre allein und dann weitere 1000 Jahre mit einem anderen Fixsterne,
der gewissermaßen die Stelle eines Veziers vertrat. Nach 1000 Jahren
dankte er diesen ab und regierte mit einem zweiten, dann mit einem

Die Araxes-Ebene. — Zur Völkerſtellung der Armenier.
ädert. Nur wenige Meilen ſüdöſtlich von Igdyr liegt am Nord-
fuße des Ararat ein Dörfchen im einſamen Thälchen, Agurie.
Ein kleines Gewäſſer beſpült gewaltige Lavamaſſen, thalab be-
ſäumen es dichte Schilfwälder und höher die Ufer hinan fette
Weideplätze, der Lieblingsaufenthalt jener kurdiſch-perſiſch-arme-
niſchen Miſchrace, die hier unter ruſſiſchem Einfluſſe ſich mälig
zur Lebensweiſe der Halb-Nomaden emporgeſchwungen hat. Jenes
Dörfchen Agurie iſt aber nach armeniſcher Tradition der Ort,
wo Altvater Noah nach ſeiner wunderbaren Rettung den Altar
zum Dankopfer errichtete1. Die rieſigen Schneewipfel der beiden
Ararat im Rücken, vorn im äußerſten Norden die herrlichen Ge-
birgsringe der Eriwanſchen Randketten und dazwiſchen die weit-
läufige ſchimmernde Araxes-Ebene: die Situation iſt zum mindeſten
erhebend genug, um obiger Tradition Vorſchub zu leiſten.

Schon in Pakaran am Arpatſchai hatten wir jenen claſſiſchen
Boden betreten, auf dem ſich die legendenreiche Vor- und Ur-
geſchichte Armeniens abſpielt. Es iſt daher an der Zeit, uns
mit dem Volke der Armenier ſelbſt zu beſchäftigen und deſſen
ethniſche Entwickelung in knapper Form darzuſtellen … Die
Uranfänge der Armenier verdämmern in blaſſen Mythen, wie
die der meiſten übrigen aſiatiſchen Culturvölker. Aber während
ſich die vorgeſchichtliche Zeit der Aſſyrier und Iranier und jene
Turans in unermeßlichen, fabelhaften Zeiträumen bewegt, in
denen unſere Vorſtellungen von greifbaren, räumlichen Verhält-
niſſen in Nichts zerfließen2, wurzelt der armeniſche Stamm-

1 An der Stelle dieſes Altars ſteht heute eine kleine, aus ſchwarzen
Lavablöcken erbaute Kirche, die mindeſtens 1000 Jahre alt ſein dürfte, wie
allenthalben aus den umherliegenden Grabſteinen hervorgeht. Im Innern
befindet ſich auf einem Pfeiler eine Inſchrift Kakig I. (989 König von
Armenien), ein Sohn Aſchad III., der dem Dorfe verſchiedene Privilegien
ſicherte, an die ſich freilich die Zeitläufe nicht kehrten. Gleichwohl zeichnet
auch heute noch die Bewohner Aguries ein gewiſſer Stolz aus, den ihnen
die Heiligkeit der Stätte des einſtigen Verſöhnungsopfers einimpft. (Vgl.
Parrot, „Reiſe ꝛc.“, I, 219; Dubois, Voy., III.)
2 Die vor-zoroaſtriſche Chronologie der Iranier gibt uns ein ſolches
Syſtem ungeheuerer Perioden. Jeder Fixſtern regierte den Himmel tauſend
Jahre allein und dann weitere 1000 Jahre mit einem anderen Fixſterne,
der gewiſſermaßen die Stelle eines Veziers vertrat. Nach 1000 Jahren
dankte er dieſen ab und regierte mit einem zweiten, dann mit einem
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[23/0055] Die Araxes-Ebene. — Zur Völkerſtellung der Armenier. ädert. Nur wenige Meilen ſüdöſtlich von Igdyr liegt am Nord- fuße des Ararat ein Dörfchen im einſamen Thälchen, Agurie. Ein kleines Gewäſſer beſpült gewaltige Lavamaſſen, thalab be- ſäumen es dichte Schilfwälder und höher die Ufer hinan fette Weideplätze, der Lieblingsaufenthalt jener kurdiſch-perſiſch-arme- niſchen Miſchrace, die hier unter ruſſiſchem Einfluſſe ſich mälig zur Lebensweiſe der Halb-Nomaden emporgeſchwungen hat. Jenes Dörfchen Agurie iſt aber nach armeniſcher Tradition der Ort, wo Altvater Noah nach ſeiner wunderbaren Rettung den Altar zum Dankopfer errichtete 1. Die rieſigen Schneewipfel der beiden Ararat im Rücken, vorn im äußerſten Norden die herrlichen Ge- birgsringe der Eriwanſchen Randketten und dazwiſchen die weit- läufige ſchimmernde Araxes-Ebene: die Situation iſt zum mindeſten erhebend genug, um obiger Tradition Vorſchub zu leiſten. Schon in Pakaran am Arpatſchai hatten wir jenen claſſiſchen Boden betreten, auf dem ſich die legendenreiche Vor- und Ur- geſchichte Armeniens abſpielt. Es iſt daher an der Zeit, uns mit dem Volke der Armenier ſelbſt zu beſchäftigen und deſſen ethniſche Entwickelung in knapper Form darzuſtellen … Die Uranfänge der Armenier verdämmern in blaſſen Mythen, wie die der meiſten übrigen aſiatiſchen Culturvölker. Aber während ſich die vorgeſchichtliche Zeit der Aſſyrier und Iranier und jene Turans in unermeßlichen, fabelhaften Zeiträumen bewegt, in denen unſere Vorſtellungen von greifbaren, räumlichen Verhält- niſſen in Nichts zerfließen 2, wurzelt der armeniſche Stamm- 1 An der Stelle dieſes Altars ſteht heute eine kleine, aus ſchwarzen Lavablöcken erbaute Kirche, die mindeſtens 1000 Jahre alt ſein dürfte, wie allenthalben aus den umherliegenden Grabſteinen hervorgeht. Im Innern befindet ſich auf einem Pfeiler eine Inſchrift Kakig I. (989 König von Armenien), ein Sohn Aſchad III., der dem Dorfe verſchiedene Privilegien ſicherte, an die ſich freilich die Zeitläufe nicht kehrten. Gleichwohl zeichnet auch heute noch die Bewohner Aguries ein gewiſſer Stolz aus, den ihnen die Heiligkeit der Stätte des einſtigen Verſöhnungsopfers einimpft. (Vgl. Parrot, „Reiſe ꝛc.“, I, 219; Dubois, Voy., III.) 2 Die vor-zoroaſtriſche Chronologie der Iranier gibt uns ein ſolches Syſtem ungeheuerer Perioden. Jeder Fixſtern regierte den Himmel tauſend Jahre allein und dann weitere 1000 Jahre mit einem anderen Fixſterne, der gewiſſermaßen die Stelle eines Veziers vertrat. Nach 1000 Jahren dankte er dieſen ab und regierte mit einem zweiten, dann mit einem

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/55>, abgerufen am 23.11.2024.