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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Die Ruinen von Ani.
blöcke auflagern. Das erste, was der Wanderer erblickt, ist die
empordräuende Stadtumwallung, welche über die tiefe Kluft des
Arpatschai ins Land lugt. Dort erheben sich, noch in ihren
Ruinen imposante Thorthürme1, von deren Zinnen einst der
Ausblick über die Culturflächen der westlichen Alagiös-Ab-
dachungen wohl noch ein lohnender gewesen sein mochte, bis die
mongolischen Horden das Land mit Feuer und Schwert ver-
wüsteten und der rohe Tschamar-Khan in die bagratidischen
Paläste drang, um in ihnen ein grausiges Blutbad anzurichten.
Von jenen Palästen erhebt sich einer, noch allenthalben in seinen
hauptsächlichsten Constructionsgliedern erhalten, ganz im Westen
der Stadt, auf dominirender Felskante, die in einen natürlichen
Felsgraben abtaucht2. Anis Ruinen erheben sich nämlich auf
einer felsigen Halbinsel, mit der Längenachse nach Nord-Süd, im
Osten durch den Arpatschai, im Westen durch ein trockenes Felsen-
thal begrenzt. Nur im Norden war die Stadt von Natur aus
ungeschützt (wie Constantinopel im Westen) und dort hatte man
eine gewaltige doppelte Wallmauer mit flankirenden Rundthürmen
gezogen, um sich eines jeden Landangriffes zu erwehren.

Wie Ani's Ruinen sich heute dem Beobachter darbieten, so
waren sie es schon vor fünf Jahrhunderten. Sie gleichen mehr einer
verlassenen, denn einer vollständig zerstörten Stadt, und während
ringsum auf dem öden Plateau die Bewohner in elenden Erd-
löchern hausen, ist anderseits der Anblick der einstigen armenischen
Prachtbauten auch heute noch geeignet, Bewunderung für ein
Geschlecht hervorzurufen, das nicht nur vom Zauber der ältesten
menschlichen Traditionen umwoben ist, sondern auch sonst im
Verlaufe der Jahrhunderte einen Wall gegen asiatische Barbarei

1 Als Hamilton (1836) die Ruinen untersuchte, war das westliche der
beiden Thore durch herabgestürzte Steinmassen derart verrammelt, daß es
nicht passirt werden konnte. Mit Durchschreitung des Ostthores passirte
man gleichzeitig die Doppelmauer der Umwallung, von denen an der
inneren zahlreiche armenische Inscriptionen angebracht waren. Ein Fran-
zose (Bore) will diese während eines siebentägigen Aufenthaltes zwar ent-
ziffert und der Academie des Inscriptions übersendet haben, doch sind
dieselben in Verlust gerathen. Die Wahrheit dieser Thatsache wurde im
Uebrigen von Gelehrten vielfach bezweifelt.
2 W. Hamilton, "Account of the ruins of the City of Ani", a. a. O.
Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 2

Die Ruinen von Ani.
blöcke auflagern. Das erſte, was der Wanderer erblickt, iſt die
empordräuende Stadtumwallung, welche über die tiefe Kluft des
Arpatſchai ins Land lugt. Dort erheben ſich, noch in ihren
Ruinen impoſante Thorthürme1, von deren Zinnen einſt der
Ausblick über die Culturflächen der weſtlichen Alagiös-Ab-
dachungen wohl noch ein lohnender geweſen ſein mochte, bis die
mongoliſchen Horden das Land mit Feuer und Schwert ver-
wüſteten und der rohe Tſchamar-Khan in die bagratidiſchen
Paläſte drang, um in ihnen ein grauſiges Blutbad anzurichten.
Von jenen Paläſten erhebt ſich einer, noch allenthalben in ſeinen
hauptſächlichſten Conſtructionsgliedern erhalten, ganz im Weſten
der Stadt, auf dominirender Felskante, die in einen natürlichen
Felsgraben abtaucht2. Anis Ruinen erheben ſich nämlich auf
einer felſigen Halbinſel, mit der Längenachſe nach Nord-Süd, im
Oſten durch den Arpatſchai, im Weſten durch ein trockenes Felſen-
thal begrenzt. Nur im Norden war die Stadt von Natur aus
ungeſchützt (wie Conſtantinopel im Weſten) und dort hatte man
eine gewaltige doppelte Wallmauer mit flankirenden Rundthürmen
gezogen, um ſich eines jeden Landangriffes zu erwehren.

Wie Ani’s Ruinen ſich heute dem Beobachter darbieten, ſo
waren ſie es ſchon vor fünf Jahrhunderten. Sie gleichen mehr einer
verlaſſenen, denn einer vollſtändig zerſtörten Stadt, und während
ringsum auf dem öden Plateau die Bewohner in elenden Erd-
löchern hauſen, iſt anderſeits der Anblick der einſtigen armeniſchen
Prachtbauten auch heute noch geeignet, Bewunderung für ein
Geſchlecht hervorzurufen, das nicht nur vom Zauber der älteſten
menſchlichen Traditionen umwoben iſt, ſondern auch ſonſt im
Verlaufe der Jahrhunderte einen Wall gegen aſiatiſche Barbarei

1 Als Hamilton (1836) die Ruinen unterſuchte, war das weſtliche der
beiden Thore durch herabgeſtürzte Steinmaſſen derart verrammelt, daß es
nicht paſſirt werden konnte. Mit Durchſchreitung des Oſtthores paſſirte
man gleichzeitig die Doppelmauer der Umwallung, von denen an der
inneren zahlreiche armeniſche Inſcriptionen angebracht waren. Ein Fran-
zoſe (Boré) will dieſe während eines ſiebentägigen Aufenthaltes zwar ent-
ziffert und der Academie des Inscriptions überſendet haben, doch ſind
dieſelben in Verluſt gerathen. Die Wahrheit dieſer Thatſache wurde im
Uebrigen von Gelehrten vielfach bezweifelt.
2 W. Hamilton, „Account of the ruins of the City of Ani“, a. a. O.
Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 2
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[17/0049] Die Ruinen von Ani. blöcke auflagern. Das erſte, was der Wanderer erblickt, iſt die empordräuende Stadtumwallung, welche über die tiefe Kluft des Arpatſchai ins Land lugt. Dort erheben ſich, noch in ihren Ruinen impoſante Thorthürme 1, von deren Zinnen einſt der Ausblick über die Culturflächen der weſtlichen Alagiös-Ab- dachungen wohl noch ein lohnender geweſen ſein mochte, bis die mongoliſchen Horden das Land mit Feuer und Schwert ver- wüſteten und der rohe Tſchamar-Khan in die bagratidiſchen Paläſte drang, um in ihnen ein grauſiges Blutbad anzurichten. Von jenen Paläſten erhebt ſich einer, noch allenthalben in ſeinen hauptſächlichſten Conſtructionsgliedern erhalten, ganz im Weſten der Stadt, auf dominirender Felskante, die in einen natürlichen Felsgraben abtaucht 2. Anis Ruinen erheben ſich nämlich auf einer felſigen Halbinſel, mit der Längenachſe nach Nord-Süd, im Oſten durch den Arpatſchai, im Weſten durch ein trockenes Felſen- thal begrenzt. Nur im Norden war die Stadt von Natur aus ungeſchützt (wie Conſtantinopel im Weſten) und dort hatte man eine gewaltige doppelte Wallmauer mit flankirenden Rundthürmen gezogen, um ſich eines jeden Landangriffes zu erwehren. Wie Ani’s Ruinen ſich heute dem Beobachter darbieten, ſo waren ſie es ſchon vor fünf Jahrhunderten. Sie gleichen mehr einer verlaſſenen, denn einer vollſtändig zerſtörten Stadt, und während ringsum auf dem öden Plateau die Bewohner in elenden Erd- löchern hauſen, iſt anderſeits der Anblick der einſtigen armeniſchen Prachtbauten auch heute noch geeignet, Bewunderung für ein Geſchlecht hervorzurufen, das nicht nur vom Zauber der älteſten menſchlichen Traditionen umwoben iſt, ſondern auch ſonſt im Verlaufe der Jahrhunderte einen Wall gegen aſiatiſche Barbarei 1 Als Hamilton (1836) die Ruinen unterſuchte, war das weſtliche der beiden Thore durch herabgeſtürzte Steinmaſſen derart verrammelt, daß es nicht paſſirt werden konnte. Mit Durchſchreitung des Oſtthores paſſirte man gleichzeitig die Doppelmauer der Umwallung, von denen an der inneren zahlreiche armeniſche Inſcriptionen angebracht waren. Ein Fran- zoſe (Boré) will dieſe während eines ſiebentägigen Aufenthaltes zwar ent- ziffert und der Academie des Inscriptions überſendet haben, doch ſind dieſelben in Verluſt gerathen. Die Wahrheit dieſer Thatſache wurde im Uebrigen von Gelehrten vielfach bezweifelt. 2 W. Hamilton, „Account of the ruins of the City of Ani“, a. a. O. Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 2

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/49>, abgerufen am 25.11.2024.