Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

Bild:
<< vorherige Seite

Von Bajazid nach Kars. -- Kars.
jenseits nahezu unzugänglicher Pässe, indem sie bald der Schrecken
des einen, bald des andern Thales sind ... Auf unserem weiteren
Wege zwischen diesen Gebirgsmauern gelangen wir bald in das
Quellbecken des östlichen Eufrat. In den ausgedehnten Thal-
landschaften, in welchen meist üppige Weiden 1 die vielen Dörfer
umgeben, rieseln zahllose Bäche, die Abflüsse der Schneehöhen
und an diesen krystallenen Wässern ist gute Rast für sonst ruhe-
lose Nomaden. Auch ist nicht zu vergessen, daß mitten die
buntscheckige Niederlassung hindurch die Karawanenstraße führt,
auf der alljährlich einigemale zwischen Trapezunt und Tabris,
dem persischen Handelsemporium in Azerbeidschan reichbeladene
Karawanen verkehrten, für die lüsternen Bergvölker ein weiterer
Anlaß, diese Niederung als ein kleines Eldorado zu betrachten.

Wenn wir uns aus dem Centrum dieses Beckens genau
nach Norden wenden, so liegt jene obenerwähnte Gebirgsmauer
noch immer vor uns; aber zwischen den Schneewipfeln ist eine
Einsenkung bemerkbar, ein Paß, Namens Schachjol, das ist: der
"Königsweg", somit aller Wahrscheinlichkeit nach eine jener ur-
alten Communicationen, welche schon zur Zeit der assyrischen
Weltherrschaft ganz Vorder- und Mittelasien, vom Aegäischen
Meere bis zum Indus, vom Pontus bis zum Perser-Meere
durchzogen. Heute führt da hinauf kein Königsweg mehr, sondern
ein elender Saumweg, über gewaltige Felsblöcke, an schauerlichen
Abgründen vorüber, oder in pfadloser Waldesnacht2. Nur hin
und wieder übersetzt man Alpentriften, auf denen ein verdächtiges
Kurdenpiquet lagert. In solchem Falle trat in der, ohnedies
genug beschwerlichen Reise immer eine sehr unwillkommene Pause
ein. Die kleine Karawane hilt jäh in ihrem Ritte inne, die
Kurden schwangen sich in die Sättel und kreuzten ihre Lanzen in
regellosem Haufen. Nur wenn die Escortemannschaft sich in der
Ueberzahl befand, war es möglich, unbelästigt diese Alpentriften,
auf denen sich die Natur so wunderbar großartig, die Menschen
so elend verkommen präsentiren, zu kreuzen, sonst setzte es blutige
Köpfe ab, oder noch mehr, wovon schon die Gebeine von Menschen

1 Eli Smith, Miss. researches etc., 423.
2 Macintosh, a. a. O. (Bei Koch, 216--224.)

Von Bajazid nach Kars. — Kars.
jenſeits nahezu unzugänglicher Päſſe, indem ſie bald der Schrecken
des einen, bald des andern Thales ſind … Auf unſerem weiteren
Wege zwiſchen dieſen Gebirgsmauern gelangen wir bald in das
Quellbecken des öſtlichen Eufrat. In den ausgedehnten Thal-
landſchaften, in welchen meiſt üppige Weiden 1 die vielen Dörfer
umgeben, rieſeln zahlloſe Bäche, die Abflüſſe der Schneehöhen
und an dieſen kryſtallenen Wäſſern iſt gute Raſt für ſonſt ruhe-
loſe Nomaden. Auch iſt nicht zu vergeſſen, daß mitten die
buntſcheckige Niederlaſſung hindurch die Karawanenſtraße führt,
auf der alljährlich einigemale zwiſchen Trapezunt und Tabris,
dem perſiſchen Handelsemporium in Azerbeidſchan reichbeladene
Karawanen verkehrten, für die lüſternen Bergvölker ein weiterer
Anlaß, dieſe Niederung als ein kleines Eldorado zu betrachten.

Wenn wir uns aus dem Centrum dieſes Beckens genau
nach Norden wenden, ſo liegt jene obenerwähnte Gebirgsmauer
noch immer vor uns; aber zwiſchen den Schneewipfeln iſt eine
Einſenkung bemerkbar, ein Paß, Namens Schachjol, das iſt: der
„Königsweg“, ſomit aller Wahrſcheinlichkeit nach eine jener ur-
alten Communicationen, welche ſchon zur Zeit der aſſyriſchen
Weltherrſchaft ganz Vorder- und Mittelaſien, vom Aegäiſchen
Meere bis zum Indus, vom Pontus bis zum Perſer-Meere
durchzogen. Heute führt da hinauf kein Königsweg mehr, ſondern
ein elender Saumweg, über gewaltige Felsblöcke, an ſchauerlichen
Abgründen vorüber, oder in pfadloſer Waldesnacht2. Nur hin
und wieder überſetzt man Alpentriften, auf denen ein verdächtiges
Kurdenpiquet lagert. In ſolchem Falle trat in der, ohnedies
genug beſchwerlichen Reiſe immer eine ſehr unwillkommene Pauſe
ein. Die kleine Karawane hilt jäh in ihrem Ritte inne, die
Kurden ſchwangen ſich in die Sättel und kreuzten ihre Lanzen in
regelloſem Haufen. Nur wenn die Escortemannſchaft ſich in der
Ueberzahl befand, war es möglich, unbeläſtigt dieſe Alpentriften,
auf denen ſich die Natur ſo wunderbar großartig, die Menſchen
ſo elend verkommen präſentiren, zu kreuzen, ſonſt ſetzte es blutige
Köpfe ab, oder noch mehr, wovon ſchon die Gebeine von Menſchen

1 Eli Smith, Miss. researches etc., 423.
2 Macintoſh, a. a. O. (Bei Koch, 216—224.)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0041" n="9"/><fw place="top" type="header">Von Bajazid nach Kars. &#x2014; Kars.</fw><lb/>
jen&#x017F;eits nahezu unzugänglicher Pä&#x017F;&#x017F;e, indem &#x017F;ie bald der Schrecken<lb/>
des einen, bald des andern Thales &#x017F;ind &#x2026; Auf un&#x017F;erem weiteren<lb/>
Wege zwi&#x017F;chen die&#x017F;en Gebirgsmauern gelangen wir bald in das<lb/>
Quellbecken des ö&#x017F;tlichen Eufrat. In den ausgedehnten Thal-<lb/>
land&#x017F;chaften, in welchen mei&#x017F;t üppige Weiden <note place="foot" n="1"><hi rendition="#aq">Eli Smith, Miss. researches etc.,</hi> 423.</note> die vielen Dörfer<lb/>
umgeben, rie&#x017F;eln zahllo&#x017F;e Bäche, die Abflü&#x017F;&#x017F;e der Schneehöhen<lb/>
und an die&#x017F;en kry&#x017F;tallenen Wä&#x017F;&#x017F;ern i&#x017F;t gute Ra&#x017F;t für &#x017F;on&#x017F;t ruhe-<lb/>
lo&#x017F;e Nomaden. Auch i&#x017F;t nicht zu verge&#x017F;&#x017F;en, daß mitten die<lb/>
bunt&#x017F;checkige Niederla&#x017F;&#x017F;ung hindurch die Karawanen&#x017F;traße führt,<lb/>
auf der alljährlich einigemale zwi&#x017F;chen Trapezunt und Tabris,<lb/>
dem per&#x017F;i&#x017F;chen Handelsemporium in Azerbeid&#x017F;chan reichbeladene<lb/>
Karawanen verkehrten, für die lü&#x017F;ternen Bergvölker ein weiterer<lb/>
Anlaß, die&#x017F;e Niederung als ein kleines Eldorado zu betrachten.</p><lb/>
        <p>Wenn wir uns aus dem Centrum die&#x017F;es Beckens genau<lb/>
nach Norden wenden, &#x017F;o liegt jene obenerwähnte Gebirgsmauer<lb/>
noch immer vor uns; aber zwi&#x017F;chen den Schneewipfeln i&#x017F;t eine<lb/>
Ein&#x017F;enkung bemerkbar, ein Paß, Namens Schachjol, das i&#x017F;t: der<lb/>
&#x201E;Königsweg&#x201C;, &#x017F;omit aller Wahr&#x017F;cheinlichkeit nach eine jener ur-<lb/>
alten Communicationen, welche &#x017F;chon zur Zeit der a&#x017F;&#x017F;yri&#x017F;chen<lb/>
Weltherr&#x017F;chaft ganz Vorder- und Mittela&#x017F;ien, vom Aegäi&#x017F;chen<lb/>
Meere bis zum Indus, vom Pontus bis zum Per&#x017F;er-Meere<lb/>
durchzogen. Heute führt da hinauf kein Königsweg mehr, &#x017F;ondern<lb/>
ein elender Saumweg, über gewaltige Felsblöcke, an &#x017F;chauerlichen<lb/>
Abgründen vorüber, oder in pfadlo&#x017F;er Waldesnacht<note place="foot" n="2">Macinto&#x017F;h, a. a. O. (Bei Koch, 216&#x2014;224.)</note>. Nur hin<lb/>
und wieder über&#x017F;etzt man Alpentriften, auf denen ein verdächtiges<lb/>
Kurdenpiquet lagert. In &#x017F;olchem Falle trat in der, ohnedies<lb/>
genug be&#x017F;chwerlichen Rei&#x017F;e immer eine &#x017F;ehr unwillkommene Pau&#x017F;e<lb/>
ein. Die kleine Karawane hilt jäh in ihrem Ritte inne, die<lb/>
Kurden &#x017F;chwangen &#x017F;ich in die Sättel und kreuzten ihre Lanzen in<lb/>
regello&#x017F;em Haufen. Nur wenn die Escortemann&#x017F;chaft &#x017F;ich in der<lb/>
Ueberzahl befand, war es möglich, unbelä&#x017F;tigt die&#x017F;e Alpentriften,<lb/>
auf denen &#x017F;ich die Natur &#x017F;o wunderbar großartig, die Men&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;o elend verkommen prä&#x017F;entiren, zu kreuzen, &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;etzte es blutige<lb/>
Köpfe ab, oder noch mehr, wovon &#x017F;chon die Gebeine von Men&#x017F;chen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0041] Von Bajazid nach Kars. — Kars. jenſeits nahezu unzugänglicher Päſſe, indem ſie bald der Schrecken des einen, bald des andern Thales ſind … Auf unſerem weiteren Wege zwiſchen dieſen Gebirgsmauern gelangen wir bald in das Quellbecken des öſtlichen Eufrat. In den ausgedehnten Thal- landſchaften, in welchen meiſt üppige Weiden 1 die vielen Dörfer umgeben, rieſeln zahlloſe Bäche, die Abflüſſe der Schneehöhen und an dieſen kryſtallenen Wäſſern iſt gute Raſt für ſonſt ruhe- loſe Nomaden. Auch iſt nicht zu vergeſſen, daß mitten die buntſcheckige Niederlaſſung hindurch die Karawanenſtraße führt, auf der alljährlich einigemale zwiſchen Trapezunt und Tabris, dem perſiſchen Handelsemporium in Azerbeidſchan reichbeladene Karawanen verkehrten, für die lüſternen Bergvölker ein weiterer Anlaß, dieſe Niederung als ein kleines Eldorado zu betrachten. Wenn wir uns aus dem Centrum dieſes Beckens genau nach Norden wenden, ſo liegt jene obenerwähnte Gebirgsmauer noch immer vor uns; aber zwiſchen den Schneewipfeln iſt eine Einſenkung bemerkbar, ein Paß, Namens Schachjol, das iſt: der „Königsweg“, ſomit aller Wahrſcheinlichkeit nach eine jener ur- alten Communicationen, welche ſchon zur Zeit der aſſyriſchen Weltherrſchaft ganz Vorder- und Mittelaſien, vom Aegäiſchen Meere bis zum Indus, vom Pontus bis zum Perſer-Meere durchzogen. Heute führt da hinauf kein Königsweg mehr, ſondern ein elender Saumweg, über gewaltige Felsblöcke, an ſchauerlichen Abgründen vorüber, oder in pfadloſer Waldesnacht 2. Nur hin und wieder überſetzt man Alpentriften, auf denen ein verdächtiges Kurdenpiquet lagert. In ſolchem Falle trat in der, ohnedies genug beſchwerlichen Reiſe immer eine ſehr unwillkommene Pauſe ein. Die kleine Karawane hilt jäh in ihrem Ritte inne, die Kurden ſchwangen ſich in die Sättel und kreuzten ihre Lanzen in regelloſem Haufen. Nur wenn die Escortemannſchaft ſich in der Ueberzahl befand, war es möglich, unbeläſtigt dieſe Alpentriften, auf denen ſich die Natur ſo wunderbar großartig, die Menſchen ſo elend verkommen präſentiren, zu kreuzen, ſonſt ſetzte es blutige Köpfe ab, oder noch mehr, wovon ſchon die Gebeine von Menſchen 1 Eli Smith, Miss. researches etc., 423. 2 Macintoſh, a. a. O. (Bei Koch, 216—224.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/41
Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/41>, abgerufen am 22.11.2024.