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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Der russisch-türkische Krieg in Armenien.
hier nicht die Rede sein, will man sich etwa nicht an das bekannte
Sprichwort halten, daß alle Wege nach Rom -- folglich auch
nach Calcutta -- führen. Es ist ganz unbegründet von einer
Beherrschung des Eufratthales zu sprechen, sobald Rußland sich
nur im Besitze des ganz unbedeutenden Oberlaufes dieses Flusses
befindet. Es wäre etwas ganz Aehnliches, wenn man annehmen
wollte, daß Württemberg, oder Süddeutschland, oder Deutschland
überhaupt, im Besitze des Oberlaufes der Donau, eine absolute
Herrschaft über den Strom ausübe. Alles in Allem, der russische
Besitz der Grenzprovinz in Armenien kann noch lange nicht
maßgebend für eine Bedrohung des Ueberlandweges nach Indien
sein. Ganz Persien und Afghanistan, in gewissem Sinne auch
Kurdistan, liegen dazwischen, und erst demjenigen werden sich
die Pforten nach dem Pendschab öffnen, der Herr des Iranischen
Hochlandes sein wird ...

Gehen wir nun zu den letzten kriegerischen Ereignissen in
Armenien selbst über. Es kann hier nicht die Absicht vorliegen,
eine erschöpfende Geschichte des russisch-türkischen Feldzuges auf
dem asiatischen Kriegsschauplatze zu liefern, aber eine chrono-
logische Aneinanderreihung der entscheidenden und hauptsächlichen
Momente in dieser Action würde gleichwohl sich in den Rahmen
dieser Schrift einfügen lassen ... Gleichzeitig mit den ersten
Colonnen der europäischen Armee, rückten nach erfolgter Kriegs-
erklärung (24. April 1877) auch in Armenien die russischen Ab-
theilungen über die Grenze. Die Armee hierselbst, unter Com-
mando des General-Lieutenants Loris-Melikoff gestellt, wurde
auf etwa 115,000 Mann Infanterie, 26,000 Pferde und 370
Geschütze, darunter 64 schwere Belagerungsgeschütze, berechnet und
bestand aus dem Hauptcorps oder dem "Detachement von
Alexandrapol", aus dem rechten Flügel oder dem "Detachement
von Ardaghan" und schließlich aus dem linken Flügel, oder dem
"Detachement von Eriwan". Ein besondern Corps, das sich süd-
wärts des Rion echelonnirt hatte, sollte gegen Batum vordringen,
um nach geglückter Action wahrscheinlich durch das Thal des
Tschuruk mit den übrigen Colonnen gegen Erzerum vorzurücken.
Die strategische und geographische Situation lag so, daß, bei
Annahme eines allseitigen Gelingens der Operationen, alle De-
tachements in Erzerum, der armenischen Capitale, eintreffen

Der ruſſiſch-türkiſche Krieg in Armenien.
hier nicht die Rede ſein, will man ſich etwa nicht an das bekannte
Sprichwort halten, daß alle Wege nach Rom — folglich auch
nach Calcutta — führen. Es iſt ganz unbegründet von einer
Beherrſchung des Eufratthales zu ſprechen, ſobald Rußland ſich
nur im Beſitze des ganz unbedeutenden Oberlaufes dieſes Fluſſes
befindet. Es wäre etwas ganz Aehnliches, wenn man annehmen
wollte, daß Württemberg, oder Süddeutſchland, oder Deutſchland
überhaupt, im Beſitze des Oberlaufes der Donau, eine abſolute
Herrſchaft über den Strom ausübe. Alles in Allem, der ruſſiſche
Beſitz der Grenzprovinz in Armenien kann noch lange nicht
maßgebend für eine Bedrohung des Ueberlandweges nach Indien
ſein. Ganz Perſien und Afghaniſtan, in gewiſſem Sinne auch
Kurdiſtan, liegen dazwiſchen, und erſt demjenigen werden ſich
die Pforten nach dem Pendſchab öffnen, der Herr des Iraniſchen
Hochlandes ſein wird …

Gehen wir nun zu den letzten kriegeriſchen Ereigniſſen in
Armenien ſelbſt über. Es kann hier nicht die Abſicht vorliegen,
eine erſchöpfende Geſchichte des ruſſiſch-türkiſchen Feldzuges auf
dem aſiatiſchen Kriegsſchauplatze zu liefern, aber eine chrono-
logiſche Aneinanderreihung der entſcheidenden und hauptſächlichen
Momente in dieſer Action würde gleichwohl ſich in den Rahmen
dieſer Schrift einfügen laſſen … Gleichzeitig mit den erſten
Colonnen der europäiſchen Armee, rückten nach erfolgter Kriegs-
erklärung (24. April 1877) auch in Armenien die ruſſiſchen Ab-
theilungen über die Grenze. Die Armee hierſelbſt, unter Com-
mando des General-Lieutenants Loris-Melikoff geſtellt, wurde
auf etwa 115,000 Mann Infanterie, 26,000 Pferde und 370
Geſchütze, darunter 64 ſchwere Belagerungsgeſchütze, berechnet und
beſtand aus dem Hauptcorps oder dem „Detachement von
Alexandrapol“, aus dem rechten Flügel oder dem „Detachement
von Ardaghan“ und ſchließlich aus dem linken Flügel, oder dem
„Detachement von Eriwan“. Ein beſondern Corps, das ſich ſüd-
wärts des Rion echelonnirt hatte, ſollte gegen Batum vordringen,
um nach geglückter Action wahrſcheinlich durch das Thal des
Tſchuruk mit den übrigen Colonnen gegen Erzerum vorzurücken.
Die ſtrategiſche und geographiſche Situation lag ſo, daß, bei
Annahme eines allſeitigen Gelingens der Operationen, alle De-
tachements in Erzerum, der armeniſchen Capitale, eintreffen

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[XXI/0025] Der ruſſiſch-türkiſche Krieg in Armenien. hier nicht die Rede ſein, will man ſich etwa nicht an das bekannte Sprichwort halten, daß alle Wege nach Rom — folglich auch nach Calcutta — führen. Es iſt ganz unbegründet von einer Beherrſchung des Eufratthales zu ſprechen, ſobald Rußland ſich nur im Beſitze des ganz unbedeutenden Oberlaufes dieſes Fluſſes befindet. Es wäre etwas ganz Aehnliches, wenn man annehmen wollte, daß Württemberg, oder Süddeutſchland, oder Deutſchland überhaupt, im Beſitze des Oberlaufes der Donau, eine abſolute Herrſchaft über den Strom ausübe. Alles in Allem, der ruſſiſche Beſitz der Grenzprovinz in Armenien kann noch lange nicht maßgebend für eine Bedrohung des Ueberlandweges nach Indien ſein. Ganz Perſien und Afghaniſtan, in gewiſſem Sinne auch Kurdiſtan, liegen dazwiſchen, und erſt demjenigen werden ſich die Pforten nach dem Pendſchab öffnen, der Herr des Iraniſchen Hochlandes ſein wird … Gehen wir nun zu den letzten kriegeriſchen Ereigniſſen in Armenien ſelbſt über. Es kann hier nicht die Abſicht vorliegen, eine erſchöpfende Geſchichte des ruſſiſch-türkiſchen Feldzuges auf dem aſiatiſchen Kriegsſchauplatze zu liefern, aber eine chrono- logiſche Aneinanderreihung der entſcheidenden und hauptſächlichen Momente in dieſer Action würde gleichwohl ſich in den Rahmen dieſer Schrift einfügen laſſen … Gleichzeitig mit den erſten Colonnen der europäiſchen Armee, rückten nach erfolgter Kriegs- erklärung (24. April 1877) auch in Armenien die ruſſiſchen Ab- theilungen über die Grenze. Die Armee hierſelbſt, unter Com- mando des General-Lieutenants Loris-Melikoff geſtellt, wurde auf etwa 115,000 Mann Infanterie, 26,000 Pferde und 370 Geſchütze, darunter 64 ſchwere Belagerungsgeſchütze, berechnet und beſtand aus dem Hauptcorps oder dem „Detachement von Alexandrapol“, aus dem rechten Flügel oder dem „Detachement von Ardaghan“ und ſchließlich aus dem linken Flügel, oder dem „Detachement von Eriwan“. Ein beſondern Corps, das ſich ſüd- wärts des Rion echelonnirt hatte, ſollte gegen Batum vordringen, um nach geglückter Action wahrſcheinlich durch das Thal des Tſchuruk mit den übrigen Colonnen gegen Erzerum vorzurücken. Die ſtrategiſche und geographiſche Situation lag ſo, daß, bei Annahme eines allſeitigen Gelingens der Operationen, alle De- tachements in Erzerum, der armeniſchen Capitale, eintreffen

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. XXI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/25>, abgerufen am 24.11.2024.