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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Klima. Vegetationsverhältnisse.
schwängert von den unzähligen Staubatomen, die er den Wüsten-
strecken um den großen Salzsee Tuz-Tschölü entführt. Aber
auch in anderer Hinsicht prägt sich dieser große Contrast aus;
so in dem Bilde der einzelnen Städte: dort sind es im Garten-
grün begrabene Asyle, bestehend aus luftigen, buntbemalten Holz-
häusern, die hohen Steinbauten mit weit ausladenden Altanen,
von Schlinggewächsen umrankt und in den Höfen plätschernde
Fontainen; hier unfreundliche, lehmgebaute, mit Ruinen unter-
mengte Behausungen, einst glanzreiche Emporien, jetzt verkommene
Provinzstädte ohne alle Bedeutung. Während im Gestadeland
die Locomotive die fruchtreichen Ebenen durchfurcht, ziehen auf
den Tafelländern noch immer die, an Tausend und mehr Last-
thiere zählenden Karawanen, auf denselben breit ausgetretenen
Pfaden, wie vor Jahrtausenden. Dort schimmern aus dem
Gartengrün die weißen Minarets der Ortschaften oder die Silber-
fäden zahlreicher befruchtender Bäche; hier ist die weite dunstige
Ebene nur von den Heerden turkmenischer Hirten unterbrochen
und, wo eine Quelle rieselt, erheben sich die Kegelzelte der noma-
disirenden Juruken. Das Gestadegebiet besitzt aber neben seinen
Naturreichthümern auch eine zum großen Theile rege, thätige
Bevölkerung; Industrie-Zweige entwickeln sich so gut es unter
der ottomanischen Mißwirthschaft möglich ist und der europäische
Handel pulst bis in die entlegenste Hütte des west-anatolischen
Teppichwebers hinein1. Solche Cultur-Kundgebungen sind dem
Binnenlande fremd, denn bis wohin das kurdische Raubwesen

1 An diesen einheimischen Strebungen ist die Regierung freilich ganz
unschuldig und wenn jemals ein europäisches Angebot erfolgte, z. B.
die Entsumpfung der mysischen Ebene, etwa gegen das Recht zehnjähriger
Benutzung, dann ward es einfach unter den Divan gelegt. (Zeitschr. für
allg. Erdk. XV.) Lieber hat man die Juruken, welche sich bemühen, alle
Wälder niederzubrennen, damit aus der Asche Futter für ihre Heerden
wachse. (Bei Braun, a. a. O., 381.) Hiebei ist freilich zu bemerken, daß
auch der einheimische Unternehmungsgeist nicht besser wegkommt und schon
die ersten Sitzungen der Stambuler Deputirten-Kammer brachten eine
Menge von Thatsachen ans Tageslicht, die eclatant bewiesen, daß man
im Schooße der Ministerien und des hochweisen Staatsrathes niemals
ernstlich Willens war, die betreffenden Concessionäre und Petenten --
trotz der von diesen aufgewandten Summen zu Bestechungen etc. -- an ihr
Ziel gelangen zu lassen.

Klima. Vegetationsverhältniſſe.
ſchwängert von den unzähligen Staubatomen, die er den Wüſten-
ſtrecken um den großen Salzſee Tuz-Tſchölü entführt. Aber
auch in anderer Hinſicht prägt ſich dieſer große Contraſt aus;
ſo in dem Bilde der einzelnen Städte: dort ſind es im Garten-
grün begrabene Aſyle, beſtehend aus luftigen, buntbemalten Holz-
häuſern, die hohen Steinbauten mit weit ausladenden Altanen,
von Schlinggewächſen umrankt und in den Höfen plätſchernde
Fontainen; hier unfreundliche, lehmgebaute, mit Ruinen unter-
mengte Behauſungen, einſt glanzreiche Emporien, jetzt verkommene
Provinzſtädte ohne alle Bedeutung. Während im Geſtadeland
die Locomotive die fruchtreichen Ebenen durchfurcht, ziehen auf
den Tafelländern noch immer die, an Tauſend und mehr Laſt-
thiere zählenden Karawanen, auf denſelben breit ausgetretenen
Pfaden, wie vor Jahrtauſenden. Dort ſchimmern aus dem
Gartengrün die weißen Minarets der Ortſchaften oder die Silber-
fäden zahlreicher befruchtender Bäche; hier iſt die weite dunſtige
Ebene nur von den Heerden turkmeniſcher Hirten unterbrochen
und, wo eine Quelle rieſelt, erheben ſich die Kegelzelte der noma-
diſirenden Juruken. Das Geſtadegebiet beſitzt aber neben ſeinen
Naturreichthümern auch eine zum großen Theile rege, thätige
Bevölkerung; Induſtrie-Zweige entwickeln ſich ſo gut es unter
der ottomaniſchen Mißwirthſchaft möglich iſt und der europäiſche
Handel pulſt bis in die entlegenſte Hütte des weſt-anatoliſchen
Teppichwebers hinein1. Solche Cultur-Kundgebungen ſind dem
Binnenlande fremd, denn bis wohin das kurdiſche Raubweſen

1 An dieſen einheimiſchen Strebungen iſt die Regierung freilich ganz
unſchuldig und wenn jemals ein europäiſches Angebot erfolgte, z. B.
die Entſumpfung der myſiſchen Ebene, etwa gegen das Recht zehnjähriger
Benutzung, dann ward es einfach unter den Divan gelegt. (Zeitſchr. für
allg. Erdk. XV.) Lieber hat man die Juruken, welche ſich bemühen, alle
Wälder niederzubrennen, damit aus der Aſche Futter für ihre Heerden
wachſe. (Bei Braun, a. a. O., 381.) Hiebei iſt freilich zu bemerken, daß
auch der einheimiſche Unternehmungsgeiſt nicht beſſer wegkommt und ſchon
die erſten Sitzungen der Stambuler Deputirten-Kammer brachten eine
Menge von Thatſachen ans Tageslicht, die eclatant bewieſen, daß man
im Schooße der Miniſterien und des hochweiſen Staatsrathes niemals
ernſtlich Willens war, die betreffenden Conceſſionäre und Petenten —
trotz der von dieſen aufgewandten Summen zu Beſtechungen ꝛc. — an ihr
Ziel gelangen zu laſſen.
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[215/0247] Klima. Vegetationsverhältniſſe. ſchwängert von den unzähligen Staubatomen, die er den Wüſten- ſtrecken um den großen Salzſee Tuz-Tſchölü entführt. Aber auch in anderer Hinſicht prägt ſich dieſer große Contraſt aus; ſo in dem Bilde der einzelnen Städte: dort ſind es im Garten- grün begrabene Aſyle, beſtehend aus luftigen, buntbemalten Holz- häuſern, die hohen Steinbauten mit weit ausladenden Altanen, von Schlinggewächſen umrankt und in den Höfen plätſchernde Fontainen; hier unfreundliche, lehmgebaute, mit Ruinen unter- mengte Behauſungen, einſt glanzreiche Emporien, jetzt verkommene Provinzſtädte ohne alle Bedeutung. Während im Geſtadeland die Locomotive die fruchtreichen Ebenen durchfurcht, ziehen auf den Tafelländern noch immer die, an Tauſend und mehr Laſt- thiere zählenden Karawanen, auf denſelben breit ausgetretenen Pfaden, wie vor Jahrtauſenden. Dort ſchimmern aus dem Gartengrün die weißen Minarets der Ortſchaften oder die Silber- fäden zahlreicher befruchtender Bäche; hier iſt die weite dunſtige Ebene nur von den Heerden turkmeniſcher Hirten unterbrochen und, wo eine Quelle rieſelt, erheben ſich die Kegelzelte der noma- diſirenden Juruken. Das Geſtadegebiet beſitzt aber neben ſeinen Naturreichthümern auch eine zum großen Theile rege, thätige Bevölkerung; Induſtrie-Zweige entwickeln ſich ſo gut es unter der ottomaniſchen Mißwirthſchaft möglich iſt und der europäiſche Handel pulſt bis in die entlegenſte Hütte des weſt-anatoliſchen Teppichwebers hinein 1. Solche Cultur-Kundgebungen ſind dem Binnenlande fremd, denn bis wohin das kurdiſche Raubweſen 1 An dieſen einheimiſchen Strebungen iſt die Regierung freilich ganz unſchuldig und wenn jemals ein europäiſches Angebot erfolgte, z. B. die Entſumpfung der myſiſchen Ebene, etwa gegen das Recht zehnjähriger Benutzung, dann ward es einfach unter den Divan gelegt. (Zeitſchr. für allg. Erdk. XV.) Lieber hat man die Juruken, welche ſich bemühen, alle Wälder niederzubrennen, damit aus der Aſche Futter für ihre Heerden wachſe. (Bei Braun, a. a. O., 381.) Hiebei iſt freilich zu bemerken, daß auch der einheimiſche Unternehmungsgeiſt nicht beſſer wegkommt und ſchon die erſten Sitzungen der Stambuler Deputirten-Kammer brachten eine Menge von Thatſachen ans Tageslicht, die eclatant bewieſen, daß man im Schooße der Miniſterien und des hochweiſen Staatsrathes niemals ernſtlich Willens war, die betreffenden Conceſſionäre und Petenten — trotz der von dieſen aufgewandten Summen zu Beſtechungen ꝛc. — an ihr Ziel gelangen zu laſſen.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/247>, abgerufen am 27.04.2024.