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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Die Bodenplastik Anatoliens.
nischen Gebirgsstock bei Brussa mit dem Hinterlande Huda-
wendkjar und die bei den Halbinseln Kodja-Ili und Bigha ge-
meint wissen. Demgemäß ist diese Region ein Bergland mit
kleinen Küstenebenen, durchzogen vom Susurlu und seinem Neben-
flusse Adyrnas, vom Gök-Su im Osten, Kodja-Tschai (Granikus)
und Menderez (Skamander) im Westen. Der Keschisch-Dagh
(Olymp)1 erreicht nicht ganz 6300 Fuß, weiter südlich steigen
jedoch die Gebirge terrassenartig an, bedeckt mit Urwäldern
(Aha-Dagh); südwestlich von Kutahija findet dieses Gebiet am
7200 Fuß hohen Ak-Dagh seine natürliche Begrenzung. Hier,
sowie am benachbarten Demirdschi (2800 Fuß) befinden sich die
Quellen des Susurlu-Tschai. Ueber die Ketten des Uzun Jaila-
Dagh und Madara-Dagh (3800 und ? Fuß) fällt das Gebirgs-
land von Chodawendkjar in die Halbinsel Bigha mit ihren be-
waldeten Mittelgebirgsketten Abdal-Dagh, Tschatal- und Kara-
Dagh ab. Der Kas-Dagh (Ida)2 besitzt einen Nadelwald von

1 Die Höhen des Olympos-Gebirges waren bekanntlich einst der
Schauplatz jener interessanten Kämpfe, die zwischen den in Klein-Asien
eingebrochenen Gallierstämmen und den Römern unter Consul Manlius
ausgefochten wurden. (Vgl. Livius XXXVIII.) Es war der Stamm der
Tolistobojer, der die rauhen Höhen besetzt hielt und ihre Gipfel durch roh-
aufgeführtes Mauerwerk und Felsblöcke zu schützen trachtete. Die Gallier
waren der Meinung, daß ihre Feinde es nimmer wagen würden, diese
Stellungen anzugreifen, aber nach vorangegangener Recognoscirung der
Felsburg schritten die Leichtbewaffneten zu ihrer Erstürmung, voran die
kretensischen Bogenschützen und die thrakischen Schleuderer. Die wilden
Gallier warfen sich zwar (mit nackten Leibern, da sie im Kampfe die
Oberkleider weglegten) den Angreifern entgegen, aber die kampfgeübten
römischen Truppen brachten ihnen gleichwohl eine Niederlage bei, die mit
ihrer totalen Niederwerfung gleichbedeutend war. Dieser blutige Ent-
scheidungskampf ist im Uebrigen das einzige kriegerische Ereigniß von Be-
lang, das sich an das Olympos-Gebirge knüpft.
2 Unweit des alten Götterberges erhebt sich der Gargarus, von dessen
Höhe man wohl eine der großartigsten Fernsichten auf orientalischem
Boden genießt. Der Anstieg erfolgt durch bebautes Land, dann durch
Wald, zuletzt (im Winter und Frühling) über Schnee und Eis. In der
Waldregion gibt es noch Schwarzwild, höher hinauf aber wird es stille
und öde. Der Berg hat vier Gipfel, von denen immer einer etwas höher
als der andere ist. Von dem höchsten aber (7000 Fuß) überblickt man
einen großen Theil von Rumelien und Anatolien, das ganze Marmara-
Meer bis nach Constantinopel hin und eine Menge von den Sporaden,
14*

Die Bodenplaſtik Anatoliens.
niſchen Gebirgsſtock bei Bruſſa mit dem Hinterlande Huda-
wendkjar und die bei den Halbinſeln Kodja-Ili und Bigha ge-
meint wiſſen. Demgemäß iſt dieſe Region ein Bergland mit
kleinen Küſtenebenen, durchzogen vom Suſurlu und ſeinem Neben-
fluſſe Adyrnas, vom Gök-Su im Oſten, Kodja-Tſchai (Granikus)
und Menderez (Skamander) im Weſten. Der Keſchiſch-Dagh
(Olymp)1 erreicht nicht ganz 6300 Fuß, weiter ſüdlich ſteigen
jedoch die Gebirge terraſſenartig an, bedeckt mit Urwäldern
(Aha-Dagh); ſüdweſtlich von Kutahija findet dieſes Gebiet am
7200 Fuß hohen Ak-Dagh ſeine natürliche Begrenzung. Hier,
ſowie am benachbarten Demirdſchi (2800 Fuß) befinden ſich die
Quellen des Suſurlu-Tſchai. Ueber die Ketten des Uzun Jaila-
Dagh und Madara-Dagh (3800 und ? Fuß) fällt das Gebirgs-
land von Chodawendkjar in die Halbinſel Bigha mit ihren be-
waldeten Mittelgebirgsketten Abdal-Dagh, Tſchatal- und Kara-
Dagh ab. Der Kas-Dagh (Ida)2 beſitzt einen Nadelwald von

1 Die Höhen des Olympos-Gebirges waren bekanntlich einſt der
Schauplatz jener intereſſanten Kämpfe, die zwiſchen den in Klein-Aſien
eingebrochenen Gallierſtämmen und den Römern unter Conſul Manlius
ausgefochten wurden. (Vgl. Livius XXXVIII.) Es war der Stamm der
Toliſtobojer, der die rauhen Höhen beſetzt hielt und ihre Gipfel durch roh-
aufgeführtes Mauerwerk und Felsblöcke zu ſchützen trachtete. Die Gallier
waren der Meinung, daß ihre Feinde es nimmer wagen würden, dieſe
Stellungen anzugreifen, aber nach vorangegangener Recognoscirung der
Felsburg ſchritten die Leichtbewaffneten zu ihrer Erſtürmung, voran die
kretenſiſchen Bogenſchützen und die thrakiſchen Schleuderer. Die wilden
Gallier warfen ſich zwar (mit nackten Leibern, da ſie im Kampfe die
Oberkleider weglegten) den Angreifern entgegen, aber die kampfgeübten
römiſchen Truppen brachten ihnen gleichwohl eine Niederlage bei, die mit
ihrer totalen Niederwerfung gleichbedeutend war. Dieſer blutige Ent-
ſcheidungskampf iſt im Uebrigen das einzige kriegeriſche Ereigniß von Be-
lang, das ſich an das Olympos-Gebirge knüpft.
2 Unweit des alten Götterberges erhebt ſich der Gargarus, von deſſen
Höhe man wohl eine der großartigſten Fernſichten auf orientaliſchem
Boden genießt. Der Anſtieg erfolgt durch bebautes Land, dann durch
Wald, zuletzt (im Winter und Frühling) über Schnee und Eis. In der
Waldregion gibt es noch Schwarzwild, höher hinauf aber wird es ſtille
und öde. Der Berg hat vier Gipfel, von denen immer einer etwas höher
als der andere iſt. Von dem höchſten aber (7000 Fuß) überblickt man
einen großen Theil von Rumelien und Anatolien, das ganze Marmara-
Meer bis nach Conſtantinopel hin und eine Menge von den Sporaden,
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[211/0243] Die Bodenplaſtik Anatoliens. niſchen Gebirgsſtock bei Bruſſa mit dem Hinterlande Huda- wendkjar und die bei den Halbinſeln Kodja-Ili und Bigha ge- meint wiſſen. Demgemäß iſt dieſe Region ein Bergland mit kleinen Küſtenebenen, durchzogen vom Suſurlu und ſeinem Neben- fluſſe Adyrnas, vom Gök-Su im Oſten, Kodja-Tſchai (Granikus) und Menderez (Skamander) im Weſten. Der Keſchiſch-Dagh (Olymp) 1 erreicht nicht ganz 6300 Fuß, weiter ſüdlich ſteigen jedoch die Gebirge terraſſenartig an, bedeckt mit Urwäldern (Aha-Dagh); ſüdweſtlich von Kutahija findet dieſes Gebiet am 7200 Fuß hohen Ak-Dagh ſeine natürliche Begrenzung. Hier, ſowie am benachbarten Demirdſchi (2800 Fuß) befinden ſich die Quellen des Suſurlu-Tſchai. Ueber die Ketten des Uzun Jaila- Dagh und Madara-Dagh (3800 und ? Fuß) fällt das Gebirgs- land von Chodawendkjar in die Halbinſel Bigha mit ihren be- waldeten Mittelgebirgsketten Abdal-Dagh, Tſchatal- und Kara- Dagh ab. Der Kas-Dagh (Ida) 2 beſitzt einen Nadelwald von 1 Die Höhen des Olympos-Gebirges waren bekanntlich einſt der Schauplatz jener intereſſanten Kämpfe, die zwiſchen den in Klein-Aſien eingebrochenen Gallierſtämmen und den Römern unter Conſul Manlius ausgefochten wurden. (Vgl. Livius XXXVIII.) Es war der Stamm der Toliſtobojer, der die rauhen Höhen beſetzt hielt und ihre Gipfel durch roh- aufgeführtes Mauerwerk und Felsblöcke zu ſchützen trachtete. Die Gallier waren der Meinung, daß ihre Feinde es nimmer wagen würden, dieſe Stellungen anzugreifen, aber nach vorangegangener Recognoscirung der Felsburg ſchritten die Leichtbewaffneten zu ihrer Erſtürmung, voran die kretenſiſchen Bogenſchützen und die thrakiſchen Schleuderer. Die wilden Gallier warfen ſich zwar (mit nackten Leibern, da ſie im Kampfe die Oberkleider weglegten) den Angreifern entgegen, aber die kampfgeübten römiſchen Truppen brachten ihnen gleichwohl eine Niederlage bei, die mit ihrer totalen Niederwerfung gleichbedeutend war. Dieſer blutige Ent- ſcheidungskampf iſt im Uebrigen das einzige kriegeriſche Ereigniß von Be- lang, das ſich an das Olympos-Gebirge knüpft. 2 Unweit des alten Götterberges erhebt ſich der Gargarus, von deſſen Höhe man wohl eine der großartigſten Fernſichten auf orientaliſchem Boden genießt. Der Anſtieg erfolgt durch bebautes Land, dann durch Wald, zuletzt (im Winter und Frühling) über Schnee und Eis. In der Waldregion gibt es noch Schwarzwild, höher hinauf aber wird es ſtille und öde. Der Berg hat vier Gipfel, von denen immer einer etwas höher als der andere iſt. Von dem höchſten aber (7000 Fuß) überblickt man einen großen Theil von Rumelien und Anatolien, das ganze Marmara- Meer bis nach Conſtantinopel hin und eine Menge von den Sporaden, 14*

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/243>, abgerufen am 28.04.2024.