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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Anhang. Anatolische Fragmente.
thume blühte an der Bucht, dessen liebliches Südgestade heute ein
Chaos mehr oder weniger wüster Niederlassungen umsäumt, ein
griechisches Cultur-Emporium, und jener Ahn der Rhapsoden
verherrlichte in unmittelbarer Nähe der Stadt die Helden der
Iliade, an der sich alle Geschlechter seit nun schon drei Jahr-
tausenden laben 1. So heißt es wenigstens in der Tradition und
die Localität, wo der halb mythische Homer unter den Sterb-
lichen gewandelt, soll das liebliche Thälchen sein, das der Meles
von Süd nach Norden durchfließt. Der Anblick desselben, zumal
im Dämmerlichte des Abends, wenn Alles ringsum wie von
mattblauen Schleiern umwoben erscheint, mag wohl geeignet
sein, uns unbewußt einem verschollenen Völkertraume näher zu
rücken ...

Dieser Anblick kann von keiner Seite Smyrnas besser ge-
nossen werden, als von der Höhe oder den üppigen Hängen des
Berges Pagos, der sich im Süden der Stadt wie eine Coulisse
vorlegt. Auch sein Gipfel trägt die Spuren uralter Ansiedlung,
cyklopenartige Fundamente und altes Gemäuer, das in seinem
heutigen baufälligen Zustande eine Moscheeruine umschließt. Wer
daher Smyrnas magischen Total-Anblick ungeschmälert genießen
und sich den unleugbaren Zauber einer orientalischen Landschaft
nicht durch die schmutzigen, abstoßenden Details des täglichen
Lebens und Webens schmälern lassen will, der trachte bei Zeiten
dem dunstigen Gassengewirre zu entrinnen, um jene Bergeshöhe
zu gewinnen. Der erste Ausblick wird genügen, um sofort in
uns das Bewußtsein zu erhärten, daß, Constantinopel ausge-
nommen, keine Küstenstadt der Levante sich rühmen kann, auch
nur annähernd ein so prächtiges Bild zu präsentiren, wie die
heutige Metropole Klein-Asiens ... Weit nach Süden hin
zieht sich die Thalspalte des Meles, hin und wieder besäumt von
schwärzlichen Cypressen und Olivengebüsch. Man könnte die
stille Landschaft mit ihren unvergleichlichen Tinten und spärlichen

war und ihre Bewohner nahezu 400 Jahre in offenen Dörfern zerstreut
gelebt hatten. Gräber, dem alten Smyrna (türkisch: Ismir) angehörend,
darunter das sogenannte Grab des Tantalus, finden sich noch am Süd-
abhange der Vorberge des Ismanlar-Dagh. Die Ausführung von Alexanders
Plan wurde erst von Antigonus begonnen und durch Lysimachos voll-
endet. (J. Seiff, "Reisen i. d. asiat. Türkei", 350.)
1 J. Braun, "Historische Landschaften", 190.)

Anhang. Anatoliſche Fragmente.
thume blühte an der Bucht, deſſen liebliches Südgeſtade heute ein
Chaos mehr oder weniger wüſter Niederlaſſungen umſäumt, ein
griechiſches Cultur-Emporium, und jener Ahn der Rhapſoden
verherrlichte in unmittelbarer Nähe der Stadt die Helden der
Iliade, an der ſich alle Geſchlechter ſeit nun ſchon drei Jahr-
tauſenden laben 1. So heißt es wenigſtens in der Tradition und
die Localität, wo der halb mythiſche Homer unter den Sterb-
lichen gewandelt, ſoll das liebliche Thälchen ſein, das der Meles
von Süd nach Norden durchfließt. Der Anblick deſſelben, zumal
im Dämmerlichte des Abends, wenn Alles ringsum wie von
mattblauen Schleiern umwoben erſcheint, mag wohl geeignet
ſein, uns unbewußt einem verſchollenen Völkertraume näher zu
rücken …

Dieſer Anblick kann von keiner Seite Smyrnas beſſer ge-
noſſen werden, als von der Höhe oder den üppigen Hängen des
Berges Pagos, der ſich im Süden der Stadt wie eine Couliſſe
vorlegt. Auch ſein Gipfel trägt die Spuren uralter Anſiedlung,
cyklopenartige Fundamente und altes Gemäuer, das in ſeinem
heutigen baufälligen Zuſtande eine Moſcheeruine umſchließt. Wer
daher Smyrnas magiſchen Total-Anblick ungeſchmälert genießen
und ſich den unleugbaren Zauber einer orientaliſchen Landſchaft
nicht durch die ſchmutzigen, abſtoßenden Details des täglichen
Lebens und Webens ſchmälern laſſen will, der trachte bei Zeiten
dem dunſtigen Gaſſengewirre zu entrinnen, um jene Bergeshöhe
zu gewinnen. Der erſte Ausblick wird genügen, um ſofort in
uns das Bewußtſein zu erhärten, daß, Conſtantinopel ausge-
nommen, keine Küſtenſtadt der Levante ſich rühmen kann, auch
nur annähernd ein ſo prächtiges Bild zu präſentiren, wie die
heutige Metropole Klein-Aſiens … Weit nach Süden hin
zieht ſich die Thalſpalte des Meles, hin und wieder beſäumt von
ſchwärzlichen Cypreſſen und Olivengebüſch. Man könnte die
ſtille Landſchaft mit ihren unvergleichlichen Tinten und ſpärlichen

war und ihre Bewohner nahezu 400 Jahre in offenen Dörfern zerſtreut
gelebt hatten. Gräber, dem alten Smyrna (türkiſch: Ismir) angehörend,
darunter das ſogenannte Grab des Tantalus, finden ſich noch am Süd-
abhange der Vorberge des Ismanlar-Dagh. Die Ausführung von Alexanders
Plan wurde erſt von Antigonus begonnen und durch Lyſimachos voll-
endet. (J. Seiff, „Reiſen i. d. aſiat. Türkei“, 350.)
1 J. Braun, „Hiſtoriſche Landſchaften“, 190.)
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[168/0200] Anhang. Anatoliſche Fragmente. thume blühte an der Bucht, deſſen liebliches Südgeſtade heute ein Chaos mehr oder weniger wüſter Niederlaſſungen umſäumt, ein griechiſches Cultur-Emporium, und jener Ahn der Rhapſoden verherrlichte in unmittelbarer Nähe der Stadt die Helden der Iliade, an der ſich alle Geſchlechter ſeit nun ſchon drei Jahr- tauſenden laben 1. So heißt es wenigſtens in der Tradition und die Localität, wo der halb mythiſche Homer unter den Sterb- lichen gewandelt, ſoll das liebliche Thälchen ſein, das der Meles von Süd nach Norden durchfließt. Der Anblick deſſelben, zumal im Dämmerlichte des Abends, wenn Alles ringsum wie von mattblauen Schleiern umwoben erſcheint, mag wohl geeignet ſein, uns unbewußt einem verſchollenen Völkertraume näher zu rücken … Dieſer Anblick kann von keiner Seite Smyrnas beſſer ge- noſſen werden, als von der Höhe oder den üppigen Hängen des Berges Pagos, der ſich im Süden der Stadt wie eine Couliſſe vorlegt. Auch ſein Gipfel trägt die Spuren uralter Anſiedlung, cyklopenartige Fundamente und altes Gemäuer, das in ſeinem heutigen baufälligen Zuſtande eine Moſcheeruine umſchließt. Wer daher Smyrnas magiſchen Total-Anblick ungeſchmälert genießen und ſich den unleugbaren Zauber einer orientaliſchen Landſchaft nicht durch die ſchmutzigen, abſtoßenden Details des täglichen Lebens und Webens ſchmälern laſſen will, der trachte bei Zeiten dem dunſtigen Gaſſengewirre zu entrinnen, um jene Bergeshöhe zu gewinnen. Der erſte Ausblick wird genügen, um ſofort in uns das Bewußtſein zu erhärten, daß, Conſtantinopel ausge- nommen, keine Küſtenſtadt der Levante ſich rühmen kann, auch nur annähernd ein ſo prächtiges Bild zu präſentiren, wie die heutige Metropole Klein-Aſiens … Weit nach Süden hin zieht ſich die Thalſpalte des Meles, hin und wieder beſäumt von ſchwärzlichen Cypreſſen und Olivengebüſch. Man könnte die ſtille Landſchaft mit ihren unvergleichlichen Tinten und ſpärlichen 2 1 J. Braun, „Hiſtoriſche Landſchaften“, 190.) 2 war und ihre Bewohner nahezu 400 Jahre in offenen Dörfern zerſtreut gelebt hatten. Gräber, dem alten Smyrna (türkiſch: Ismir) angehörend, darunter das ſogenannte Grab des Tantalus, finden ſich noch am Süd- abhange der Vorberge des Ismanlar-Dagh. Die Ausführung von Alexanders Plan wurde erſt von Antigonus begonnen und durch Lyſimachos voll- endet. (J. Seiff, „Reiſen i. d. aſiat. Türkei“, 350.)

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/200>, abgerufen am 25.11.2024.