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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Ueberblick auf Gesammt-Armenien.
gelassen hatten, um die Schismatiker in den Schooß der römischen
Kirche zu führen, das Terrain bestens geebnet. Ja es fand sich
sogar hin und wieder ein toleranter Katholikos, der sich den
Propagandisten gegenüber äußerst entgegenkommend verhielt;
doch waren dies nur vorübergehende Erscheinungen und der
Hauptsache nach blieb der Missionszweck, trotz der ausgiebigen
Unterstützung von Seite der persischen Machthaber, unrealisirt.
In neuerer Zeit sollte sich aber die Situation wesentlich ver-
schlimmern. Abgesehen von der Verfolgungswuth, welche selbst
die für die armenische Literatur so hochverdienten Mechitaristen
traf, wurden es im Verlaufe der Zeit namentlich die Hetzereien
und Gehässigkeiten der Constantinopler Patriarchen, welche die
katholischen Armenier nur zu bald der brutalsten türkischen Gewalt
aussetzen sollten. Daß die Mittel und Wege hiezu noch abscheu-
licher und unwürdiger waren, als das gewöhnliche Treiben der
national-armenischen Hierarchie, läßt sich leicht denken. Entgegen
dem segensreichen Wirken der Mechitaristen-Congregation verblieben
die Priester und Mönche der nicht-unirten Kirche in ihrer ange-
stammten Rohheit versunken, in ihrem stumpfsinnigen Zelotismus,
an dem gleichwol selbst noch Kundgebungen vorchristlicher Ante-
cedentien anhaften konnten, ohne die orthodoxe Rechtgläubigkeit
zu beleidigen oder in ihrer Glaubensseligkeit zu beirren. Bei
solchen Vorbedingungen konnte man füglich auch von den Patriarchen
keine besonderen Thaten erwarten, und die Acte der Vergewalti-
gung mit Hilfe der ottomanischen Regierung wurden immer
zahlreicher. So konnte es kommen, daß im Jahre 1828 der
Patriarch von Constantinopel durch Bestechung der Behörde die
Ausweisung von nicht weniger als 12,000 katholischen Armeniern
durchsetzte, welche, aus der Umgebung von Angora stammend,
mitten im strengsten Winter (Januar) mit Greisen, Kranken,
Wöchnerinnen und Kindern dahin zurückkehren mußten. Welches
Elend eine solche unbefugte drakonische Maßregel im Gefolge
haben mußte, braucht nicht besonders angeführt zu werden;
vollends dem Bildungsgrade und dem christlichen Humanitäts-
gefühle dieses Wütherichs entsprechend waren aber die Motive
zu diesem brutalen Acte, der nebenher auch einen Anhaltspunkt
liefert, wie sehr die orientalische Christenheit bemüht ist, die
letzte Regung von Achtung unter den Mohammedanern zu

Ueberblick auf Geſammt-Armenien.
gelaſſen hatten, um die Schismatiker in den Schooß der römiſchen
Kirche zu führen, das Terrain beſtens geebnet. Ja es fand ſich
ſogar hin und wieder ein toleranter Katholikos, der ſich den
Propagandiſten gegenüber äußerſt entgegenkommend verhielt;
doch waren dies nur vorübergehende Erſcheinungen und der
Hauptſache nach blieb der Miſſionszweck, trotz der ausgiebigen
Unterſtützung von Seite der perſiſchen Machthaber, unrealiſirt.
In neuerer Zeit ſollte ſich aber die Situation weſentlich ver-
ſchlimmern. Abgeſehen von der Verfolgungswuth, welche ſelbſt
die für die armeniſche Literatur ſo hochverdienten Mechitariſten
traf, wurden es im Verlaufe der Zeit namentlich die Hetzereien
und Gehäſſigkeiten der Conſtantinopler Patriarchen, welche die
katholiſchen Armenier nur zu bald der brutalſten türkiſchen Gewalt
ausſetzen ſollten. Daß die Mittel und Wege hiezu noch abſcheu-
licher und unwürdiger waren, als das gewöhnliche Treiben der
national-armeniſchen Hierarchie, läßt ſich leicht denken. Entgegen
dem ſegensreichen Wirken der Mechitariſten-Congregation verblieben
die Prieſter und Mönche der nicht-unirten Kirche in ihrer ange-
ſtammten Rohheit verſunken, in ihrem ſtumpfſinnigen Zelotismus,
an dem gleichwol ſelbſt noch Kundgebungen vorchriſtlicher Ante-
cedentien anhaften konnten, ohne die orthodoxe Rechtgläubigkeit
zu beleidigen oder in ihrer Glaubensſeligkeit zu beirren. Bei
ſolchen Vorbedingungen konnte man füglich auch von den Patriarchen
keine beſonderen Thaten erwarten, und die Acte der Vergewalti-
gung mit Hilfe der ottomaniſchen Regierung wurden immer
zahlreicher. So konnte es kommen, daß im Jahre 1828 der
Patriarch von Conſtantinopel durch Beſtechung der Behörde die
Ausweiſung von nicht weniger als 12,000 katholiſchen Armeniern
durchſetzte, welche, aus der Umgebung von Angora ſtammend,
mitten im ſtrengſten Winter (Januar) mit Greiſen, Kranken,
Wöchnerinnen und Kindern dahin zurückkehren mußten. Welches
Elend eine ſolche unbefugte drakoniſche Maßregel im Gefolge
haben mußte, braucht nicht beſonders angeführt zu werden;
vollends dem Bildungsgrade und dem chriſtlichen Humanitäts-
gefühle dieſes Wütherichs entſprechend waren aber die Motive
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[142/0174] Ueberblick auf Geſammt-Armenien. gelaſſen hatten, um die Schismatiker in den Schooß der römiſchen Kirche zu führen, das Terrain beſtens geebnet. Ja es fand ſich ſogar hin und wieder ein toleranter Katholikos, der ſich den Propagandiſten gegenüber äußerſt entgegenkommend verhielt; doch waren dies nur vorübergehende Erſcheinungen und der Hauptſache nach blieb der Miſſionszweck, trotz der ausgiebigen Unterſtützung von Seite der perſiſchen Machthaber, unrealiſirt. In neuerer Zeit ſollte ſich aber die Situation weſentlich ver- ſchlimmern. Abgeſehen von der Verfolgungswuth, welche ſelbſt die für die armeniſche Literatur ſo hochverdienten Mechitariſten traf, wurden es im Verlaufe der Zeit namentlich die Hetzereien und Gehäſſigkeiten der Conſtantinopler Patriarchen, welche die katholiſchen Armenier nur zu bald der brutalſten türkiſchen Gewalt ausſetzen ſollten. Daß die Mittel und Wege hiezu noch abſcheu- licher und unwürdiger waren, als das gewöhnliche Treiben der national-armeniſchen Hierarchie, läßt ſich leicht denken. Entgegen dem ſegensreichen Wirken der Mechitariſten-Congregation verblieben die Prieſter und Mönche der nicht-unirten Kirche in ihrer ange- ſtammten Rohheit verſunken, in ihrem ſtumpfſinnigen Zelotismus, an dem gleichwol ſelbſt noch Kundgebungen vorchriſtlicher Ante- cedentien anhaften konnten, ohne die orthodoxe Rechtgläubigkeit zu beleidigen oder in ihrer Glaubensſeligkeit zu beirren. Bei ſolchen Vorbedingungen konnte man füglich auch von den Patriarchen keine beſonderen Thaten erwarten, und die Acte der Vergewalti- gung mit Hilfe der ottomaniſchen Regierung wurden immer zahlreicher. So konnte es kommen, daß im Jahre 1828 der Patriarch von Conſtantinopel durch Beſtechung der Behörde die Ausweiſung von nicht weniger als 12,000 katholiſchen Armeniern durchſetzte, welche, aus der Umgebung von Angora ſtammend, mitten im ſtrengſten Winter (Januar) mit Greiſen, Kranken, Wöchnerinnen und Kindern dahin zurückkehren mußten. Welches Elend eine ſolche unbefugte drakoniſche Maßregel im Gefolge haben mußte, braucht nicht beſonders angeführt zu werden; vollends dem Bildungsgrade und dem chriſtlichen Humanitäts- gefühle dieſes Wütherichs entſprechend waren aber die Motive zu dieſem brutalen Acte, der nebenher auch einen Anhaltspunkt liefert, wie ſehr die orientaliſche Chriſtenheit bemüht iſt, die letzte Regung von Achtung unter den Mohammedanern zu

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/174>, abgerufen am 03.05.2024.