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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Ueberblick auf Gesammt-Armenien.
gemeine Uebervortheilung, oder gar der offene Betrug waren,
welche den Armeniern zu ihren Reichthümern verhalfen. Rührigkeit
mit einer, nicht selten in abscheulichsten Geiz übergehenden Spar-
samkeit hoben sie von Stufe zu Stufe, zumal außerhalb des
Mutterlandes, wo der armenische Geschäftsgeist gegenüber anderen
Völkern besser zur Geltung kommen mußte 1.

Der Dämon des Goldes füllt freilich auch alle Träume
der Armenierin aus, und es ist in türkischen Ländern eine bekannte
Thatsache, wie weit sich in dieser Richtung ehrlose Mütter ver-
irren und mehr noch als die griechischen Matronen die Reize
ihrer Töchter zu einer abscheulichen Privatspeculation mißbrauchen.
Das macht Alles, wie gesagt, die mangelhafte Erziehung, die
geringe Werthschätzung des Weibes im Allgemeinen, und der
fühlbare Bildungsmangel unter dem männlichen Theile der
Bevölkerung 2.

waren die Tage des Letzteren in der Regel gezählt. Auf den Grabsteinen
dieser Opfer der Habsucht liest man aber zu Stambul heute noch die er-
baulichsten Dinge, wie: "Hier ruhen die sterblichen Ueberreste von Erganyan
Aretin, Banquier der hohen Pforte. Seine Tugenden waren strahlend
wie Gold; seine Mildthätigkeit fand keine Grenzen und sein Wort war
unverletzlich. Er verabschiedete sich von seinen Getreuen und Lieben am
7. Juli 1795, vertrauend auf Gottes Gnade und die Hand segnend, die
ihm das Paradies erschloß." Da darüber das Bild eines Enthaupteten
dargestellt ist, so wird man begreifen, wie wenig diese Beförderung in die
Herrlichkeiten des Jenseits im Geschmacke des Justificirten gewesen sein
mag. Auf der Ruhestätte eines gewissen Azmavorian (im Friedhofe zu
Pera) ist das Bild eines Gehängten angebracht, mit der schönen Unterschrift:
"Engel streckten nach ihm ihre Hände, als der kaiserliche Wille seine Func-
tionen (als Director der Münze) für beendet erklärte." (White, "Three
years in Constantinople", I,
104 u. ff.)
1 Dies gilt namentlich von der Colonie Neu-Dschulfa bei Ispahan,
wo die Afghanen, nach Uebergabe der Stadt durch den feigen Schah Hussein,
eine sehr bedeutende Beute an kostbaren Schätzen machten, die für die
Betroffenen freilich leichter zu verschmerzen gewesen wären, als die 60
schönsten Jungfrauen, die sie dem brutalen Sieger ausliefern mußten. (Ver-
gleiche Malcolm, "Gesch. v. Persien," I, 437.)
2 Eine erfreuliche Ausnahme hievon machen beispielsweise die Bestre-
bungen der armenischen Colonie zu Smyrna und die geistige Bewegung
welche sich neuerdings unter den Armeniern Constantinopels geltend macht.
Dort hat der Gedanke, das nationale Element der Erziehung zu heben
und zu fördern, besonders in der jüngeren Generation, kräftige Anregung

Ueberblick auf Geſammt-Armenien.
gemeine Uebervortheilung, oder gar der offene Betrug waren,
welche den Armeniern zu ihren Reichthümern verhalfen. Rührigkeit
mit einer, nicht ſelten in abſcheulichſten Geiz übergehenden Spar-
ſamkeit hoben ſie von Stufe zu Stufe, zumal außerhalb des
Mutterlandes, wo der armeniſche Geſchäftsgeiſt gegenüber anderen
Völkern beſſer zur Geltung kommen mußte 1.

Der Dämon des Goldes füllt freilich auch alle Träume
der Armenierin aus, und es iſt in türkiſchen Ländern eine bekannte
Thatſache, wie weit ſich in dieſer Richtung ehrloſe Mütter ver-
irren und mehr noch als die griechiſchen Matronen die Reize
ihrer Töchter zu einer abſcheulichen Privatſpeculation mißbrauchen.
Das macht Alles, wie geſagt, die mangelhafte Erziehung, die
geringe Werthſchätzung des Weibes im Allgemeinen, und der
fühlbare Bildungsmangel unter dem männlichen Theile der
Bevölkerung 2.

waren die Tage des Letzteren in der Regel gezählt. Auf den Grabſteinen
dieſer Opfer der Habſucht lieſt man aber zu Stambul heute noch die er-
baulichſten Dinge, wie: „Hier ruhen die ſterblichen Ueberreſte von Erganyan
Aretin, Banquier der hohen Pforte. Seine Tugenden waren ſtrahlend
wie Gold; ſeine Mildthätigkeit fand keine Grenzen und ſein Wort war
unverletzlich. Er verabſchiedete ſich von ſeinen Getreuen und Lieben am
7. Juli 1795, vertrauend auf Gottes Gnade und die Hand ſegnend, die
ihm das Paradies erſchloß.“ Da darüber das Bild eines Enthaupteten
dargeſtellt iſt, ſo wird man begreifen, wie wenig dieſe Beförderung in die
Herrlichkeiten des Jenſeits im Geſchmacke des Juſtificirten geweſen ſein
mag. Auf der Ruheſtätte eines gewiſſen Azmavorian (im Friedhofe zu
Pera) iſt das Bild eines Gehängten angebracht, mit der ſchönen Unterſchrift:
„Engel ſtreckten nach ihm ihre Hände, als der kaiſerliche Wille ſeine Func-
tionen (als Director der Münze) für beendet erklärte.“ (White, „Three
years in Constantinople“, I,
104 u. ff.)
1 Dies gilt namentlich von der Colonie Neu-Dſchulfa bei Ispahan,
wo die Afghanen, nach Uebergabe der Stadt durch den feigen Schah Huſſein,
eine ſehr bedeutende Beute an koſtbaren Schätzen machten, die für die
Betroffenen freilich leichter zu verſchmerzen geweſen wären, als die 60
ſchönſten Jungfrauen, die ſie dem brutalen Sieger ausliefern mußten. (Ver-
gleiche Malcolm, „Geſch. v. Perſien,“ I, 437.)
2 Eine erfreuliche Ausnahme hievon machen beiſpielsweiſe die Beſtre-
bungen der armeniſchen Colonie zu Smyrna und die geiſtige Bewegung
welche ſich neuerdings unter den Armeniern Conſtantinopels geltend macht.
Dort hat der Gedanke, das nationale Element der Erziehung zu heben
und zu fördern, beſonders in der jüngeren Generation, kräftige Anregung
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[140/0172] Ueberblick auf Geſammt-Armenien. gemeine Uebervortheilung, oder gar der offene Betrug waren, welche den Armeniern zu ihren Reichthümern verhalfen. Rührigkeit mit einer, nicht ſelten in abſcheulichſten Geiz übergehenden Spar- ſamkeit hoben ſie von Stufe zu Stufe, zumal außerhalb des Mutterlandes, wo der armeniſche Geſchäftsgeiſt gegenüber anderen Völkern beſſer zur Geltung kommen mußte 1. Der Dämon des Goldes füllt freilich auch alle Träume der Armenierin aus, und es iſt in türkiſchen Ländern eine bekannte Thatſache, wie weit ſich in dieſer Richtung ehrloſe Mütter ver- irren und mehr noch als die griechiſchen Matronen die Reize ihrer Töchter zu einer abſcheulichen Privatſpeculation mißbrauchen. Das macht Alles, wie geſagt, die mangelhafte Erziehung, die geringe Werthſchätzung des Weibes im Allgemeinen, und der fühlbare Bildungsmangel unter dem männlichen Theile der Bevölkerung 2. 1 1 Dies gilt namentlich von der Colonie Neu-Dſchulfa bei Ispahan, wo die Afghanen, nach Uebergabe der Stadt durch den feigen Schah Huſſein, eine ſehr bedeutende Beute an koſtbaren Schätzen machten, die für die Betroffenen freilich leichter zu verſchmerzen geweſen wären, als die 60 ſchönſten Jungfrauen, die ſie dem brutalen Sieger ausliefern mußten. (Ver- gleiche Malcolm, „Geſch. v. Perſien,“ I, 437.) 2 Eine erfreuliche Ausnahme hievon machen beiſpielsweiſe die Beſtre- bungen der armeniſchen Colonie zu Smyrna und die geiſtige Bewegung welche ſich neuerdings unter den Armeniern Conſtantinopels geltend macht. Dort hat der Gedanke, das nationale Element der Erziehung zu heben und zu fördern, beſonders in der jüngeren Generation, kräftige Anregung 1 waren die Tage des Letzteren in der Regel gezählt. Auf den Grabſteinen dieſer Opfer der Habſucht lieſt man aber zu Stambul heute noch die er- baulichſten Dinge, wie: „Hier ruhen die ſterblichen Ueberreſte von Erganyan Aretin, Banquier der hohen Pforte. Seine Tugenden waren ſtrahlend wie Gold; ſeine Mildthätigkeit fand keine Grenzen und ſein Wort war unverletzlich. Er verabſchiedete ſich von ſeinen Getreuen und Lieben am 7. Juli 1795, vertrauend auf Gottes Gnade und die Hand ſegnend, die ihm das Paradies erſchloß.“ Da darüber das Bild eines Enthaupteten dargeſtellt iſt, ſo wird man begreifen, wie wenig dieſe Beförderung in die Herrlichkeiten des Jenſeits im Geſchmacke des Juſtificirten geweſen ſein mag. Auf der Ruheſtätte eines gewiſſen Azmavorian (im Friedhofe zu Pera) iſt das Bild eines Gehängten angebracht, mit der ſchönen Unterſchrift: „Engel ſtreckten nach ihm ihre Hände, als der kaiſerliche Wille ſeine Func- tionen (als Director der Münze) für beendet erklärte.“ (White, „Three years in Constantinople“, I, 104 u. ff.)

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/172>, abgerufen am 25.11.2024.