Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Armeniens culturhistorische Stellung. nach dem Grade ihrer Mächtigkeit als die eigentlichen Völker-scheiden und Grenzmarken ureigener Culturtypen zu betrachten wären, dieser Grundsatz liefert die interessantesten Beweispunkte zu der mehr oder minder eigenartigen Entwickelung der fraglichen Ländergruppen. Das continentale Central-Asien mit seinen zahl- reichen trennenden Gebirgsschranken konnte die geringsten natür- lichen Culturbedingungen darbieten. Einerseits von der tropischen Welt Indiens durch die Schnee- und Eiskette des Himalaya, und die grandiose Plateaumasse der "Pamir" nahezu unüber- windlich getrennt, desgleichen im Osten, trotz ganzer Länder, die in ein partielles Depressionsgebiet fallen, noch immer räumlich von Ost-Asien abstehend, fand es im Norden dort eine natürliche Begrenzung, wo das Culturland in die Steppen- und Wüsten- gebiete der aralo-kaspischen Niederung überging. Nur die beiden Lebensadern Turans im engeren Sinne, der Oxus und Jaxartes, verhalfen den Ländern an der Nordabdachung dieser Erhebungs- masse eine vorübergehende Cultur, die, eigenartig wie sie von Anbeginn her war, auch heute noch ihr typisches Gepräge in seinen modernen moslemischen Repräsentanten beibehalten hat. Selbst der Islam ist hier nur lose mit den Ländern- und Völ- kern West- und Vorder-Asiens im Contacte, wobei freilich neben den plastischen Verhältnissen auch der viel entscheidendere Umstand seinen Ausschlag geben mag, daß das schiitische Persien sich trennend zwischen beide großen Hälften der sunnitischen Mo- hammedaner im Osten und im Westen legt. In dieser Abge- trenntheit konnte die moslemische Weltbeglückungstheorie länger, als irgendwo auf asiatischem Boden, ihre finsteren Fanatiker finden 1. In ganz anderer Art präsentirt sich das geographisch-oro- 1 Ganz besonders zu Bochara, dieser Pflanzstätte hohler Gottesge- lahrtheit. In den zahlreichen Medressen dieser Stadt wuchert die zweifel- haft werthvolle religiöse Gelehrsamkeit wild und mancher der Gottbe- gnadeten hat es so weit gebracht, daß er selbst "während des Schnarchens nur an Gott und die Unsterblichkeit der Seele denkt". Religiöse Stimmung herrscht auch an den Erholungsplätzen, z. B. an einem großen mit Stufen umgebenen Teichspiegel, der auf drei Seiten Ulmen und Theebuden (auch Einladung zu unnatürlichem Laster), auf der vierten eine Moschee hat. (Vambery, "Reise in Mittelasien"; v. Hellwald "Centralasien", 374.) 9*
Armeniens culturhiſtoriſche Stellung. nach dem Grade ihrer Mächtigkeit als die eigentlichen Völker-ſcheiden und Grenzmarken ureigener Culturtypen zu betrachten wären, dieſer Grundſatz liefert die intereſſanteſten Beweispunkte zu der mehr oder minder eigenartigen Entwickelung der fraglichen Ländergruppen. Das continentale Central-Aſien mit ſeinen zahl- reichen trennenden Gebirgsſchranken konnte die geringſten natür- lichen Culturbedingungen darbieten. Einerſeits von der tropiſchen Welt Indiens durch die Schnee- und Eiskette des Himalaya, und die grandioſe Plateaumaſſe der „Pamir“ nahezu unüber- windlich getrennt, desgleichen im Oſten, trotz ganzer Länder, die in ein partielles Depreſſionsgebiet fallen, noch immer räumlich von Oſt-Aſien abſtehend, fand es im Norden dort eine natürliche Begrenzung, wo das Culturland in die Steppen- und Wüſten- gebiete der aralo-kaspiſchen Niederung überging. Nur die beiden Lebensadern Turans im engeren Sinne, der Oxus und Jaxartes, verhalfen den Ländern an der Nordabdachung dieſer Erhebungs- maſſe eine vorübergehende Cultur, die, eigenartig wie ſie von Anbeginn her war, auch heute noch ihr typiſches Gepräge in ſeinen modernen moslemiſchen Repräſentanten beibehalten hat. Selbſt der Islam iſt hier nur loſe mit den Ländern- und Völ- kern Weſt- und Vorder-Aſiens im Contacte, wobei freilich neben den plaſtiſchen Verhältniſſen auch der viel entſcheidendere Umſtand ſeinen Ausſchlag geben mag, daß das ſchiitiſche Perſien ſich trennend zwiſchen beide großen Hälften der ſunnitiſchen Mo- hammedaner im Oſten und im Weſten legt. In dieſer Abge- trenntheit konnte die moslemiſche Weltbeglückungstheorie länger, als irgendwo auf aſiatiſchem Boden, ihre finſteren Fanatiker finden 1. In ganz anderer Art präſentirt ſich das geographiſch-oro- 1 Ganz beſonders zu Bochara, dieſer Pflanzſtätte hohler Gottesge- lahrtheit. In den zahlreichen Medreſſen dieſer Stadt wuchert die zweifel- haft werthvolle religiöſe Gelehrſamkeit wild und mancher der Gottbe- gnadeten hat es ſo weit gebracht, daß er ſelbſt „während des Schnarchens nur an Gott und die Unſterblichkeit der Seele denkt“. Religiöſe Stimmung herrſcht auch an den Erholungsplätzen, z. B. an einem großen mit Stufen umgebenen Teichſpiegel, der auf drei Seiten Ulmen und Theebuden (auch Einladung zu unnatürlichem Laſter), auf der vierten eine Moſchee hat. (Vámbéry, „Reiſe in Mittelaſien“; v. Hellwald „Centralaſien“, 374.) 9*
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Armeniens culturhiſtoriſche Stellung.
nach dem Grade ihrer Mächtigkeit als die eigentlichen Völker-
ſcheiden und Grenzmarken ureigener Culturtypen zu betrachten
wären, dieſer Grundſatz liefert die intereſſanteſten Beweispunkte
zu der mehr oder minder eigenartigen Entwickelung der fraglichen
Ländergruppen. Das continentale Central-Aſien mit ſeinen zahl-
reichen trennenden Gebirgsſchranken konnte die geringſten natür-
lichen Culturbedingungen darbieten. Einerſeits von der tropiſchen
Welt Indiens durch die Schnee- und Eiskette des Himalaya,
und die grandioſe Plateaumaſſe der „Pamir“ nahezu unüber-
windlich getrennt, desgleichen im Oſten, trotz ganzer Länder, die
in ein partielles Depreſſionsgebiet fallen, noch immer räumlich
von Oſt-Aſien abſtehend, fand es im Norden dort eine natürliche
Begrenzung, wo das Culturland in die Steppen- und Wüſten-
gebiete der aralo-kaspiſchen Niederung überging. Nur die beiden
Lebensadern Turans im engeren Sinne, der Oxus und Jaxartes,
verhalfen den Ländern an der Nordabdachung dieſer Erhebungs-
maſſe eine vorübergehende Cultur, die, eigenartig wie ſie von
Anbeginn her war, auch heute noch ihr typiſches Gepräge in
ſeinen modernen moslemiſchen Repräſentanten beibehalten hat.
Selbſt der Islam iſt hier nur loſe mit den Ländern- und Völ-
kern Weſt- und Vorder-Aſiens im Contacte, wobei freilich neben
den plaſtiſchen Verhältniſſen auch der viel entſcheidendere Umſtand
ſeinen Ausſchlag geben mag, daß das ſchiitiſche Perſien ſich
trennend zwiſchen beide großen Hälften der ſunnitiſchen Mo-
hammedaner im Oſten und im Weſten legt. In dieſer Abge-
trenntheit konnte die moslemiſche Weltbeglückungstheorie länger,
als irgendwo auf aſiatiſchem Boden, ihre finſteren Fanatiker
finden 1.
In ganz anderer Art präſentirt ſich das geographiſch-oro-
1 Ganz beſonders zu Bochara, dieſer Pflanzſtätte hohler Gottesge-
lahrtheit. In den zahlreichen Medreſſen dieſer Stadt wuchert die zweifel-
haft werthvolle religiöſe Gelehrſamkeit wild und mancher der Gottbe-
gnadeten hat es ſo weit gebracht, daß er ſelbſt „während des Schnarchens
nur an Gott und die Unſterblichkeit der Seele denkt“. Religiöſe Stimmung
herrſcht auch an den Erholungsplätzen, z. B. an einem großen mit Stufen
umgebenen Teichſpiegel, der auf drei Seiten Ulmen und Theebuden (auch
Einladung zu unnatürlichem Laſter), auf der vierten eine Moſchee hat.
(Vámbéry, „Reiſe in Mittelaſien“; v. Hellwald „Centralaſien“, 374.)
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