Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

Bild:
<< vorherige Seite

Siwas. -- Das plastische Totalbild Armeniens.
die alljährlich zur Sommerszeit nordwärts ausschwärmen 1, nach-
dem sie während des Winters die immergrünen Haine Ciliciens durch
streift haben, sich anders abzufinden, als hin und wieder ihr
Wohlwollen zu erkaufen? Der Staat hat freilich keine Gelder
für derlei bedenkliche Subsidien-Bewerber, und der Gouverneur
ganz sicher auch nicht, aber es bedarf nur mehrerer blutiger
Anlässe, um den zumeist bedrängten Bewohnern des Flachlandes
plausibel zu machen, daß es nur einer momentanen Steuer-
erhöhung bedürfe, um das Uebel in Form einer Loskaufssumme
zu bannen. Gleichwol ist das Mittel kein radicales und die ganze
obere Halysgegend ist heute, wie vordem, in der Gewalt der
kriegerischen Afscharen. Sie schwärmen westwärts sogar bis zum
Riesenkegel Argäus, dort, wo sich das weitläufige Kaisarie (das
altberühmte Cäsarea) mit seinen Kuppeln und weißen Minarets
wie ein großartiges Oasenbild von der dunklen Waldtapete da-
hinter, die sich den erloschenen Vulkan hinanzieht, abhebt 2.

Nachdem wir mit Klein-Armenien und Siwas unsere Wan-
derungen durch die einzelnen Gaue des Gesammt-Gebietes beendet
finden, drängt sich die Nothwendigkeit in den Vordergrund, neben
den vielartigen Detailbildern, welche meist in culturgeschichtlicher
und historischer und wohl nicht zuletzt in allgemein touristischer
Richtung ausgesponnen wurden, von der totalen, so hochinteressanten
Ländermasse ein anschauliches Gemälde zu gewinnen. Wir denken
uns zu diesem Ende in den nordwestlichsten Winkel des iranischen
Hochlandes versetzt, eröffnen unseren vorerst rein orographischen
Rundblick auf das bisherige russische Armenien, d. i.: die mittlere
Araxes-Ebene mit der doppelten Massen-Erhebung des Ararat
und der Gruppe vom Goktscha-See und schließen hieran das
centrale Plateau Hoch-Armeniens mit den nördlichen, südlichen
und westlichen Vorlagen, Abfällen, Randgebirgen und den zahl-
reichen Uebergangsformen. Vom Tafellande Azerbeidschan baut
sich die Hochlandsmasse nordwestwärts, sozusagen von den beiden
riesigen Kegelbergen Sawalan (12,200 Fuß) und Sahand (8000
Fuß), nach einer weitläufigen Unterbrechung im unteren Araxes-
Thale, jenseits dieses Stromes noch einmal zu imposanter Höhe

1 Bei Ritter, "Erdkunde", XVIII.
2 Texier, "Asie mineure", II, 51.

Siwas. — Das plaſtiſche Totalbild Armeniens.
die alljährlich zur Sommerszeit nordwärts ausſchwärmen 1, nach-
dem ſie während des Winters die immergrünen Haine Ciliciens durch
ſtreift haben, ſich anders abzufinden, als hin und wieder ihr
Wohlwollen zu erkaufen? Der Staat hat freilich keine Gelder
für derlei bedenkliche Subſidien-Bewerber, und der Gouverneur
ganz ſicher auch nicht, aber es bedarf nur mehrerer blutiger
Anläſſe, um den zumeiſt bedrängten Bewohnern des Flachlandes
plauſibel zu machen, daß es nur einer momentanen Steuer-
erhöhung bedürfe, um das Uebel in Form einer Loskaufsſumme
zu bannen. Gleichwol iſt das Mittel kein radicales und die ganze
obere Halysgegend iſt heute, wie vordem, in der Gewalt der
kriegeriſchen Afſcharen. Sie ſchwärmen weſtwärts ſogar bis zum
Rieſenkegel Argäus, dort, wo ſich das weitläufige Kaiſarie (das
altberühmte Cäſarea) mit ſeinen Kuppeln und weißen Minarets
wie ein großartiges Oaſenbild von der dunklen Waldtapete da-
hinter, die ſich den erloſchenen Vulkan hinanzieht, abhebt 2.

Nachdem wir mit Klein-Armenien und Siwas unſere Wan-
derungen durch die einzelnen Gaue des Geſammt-Gebietes beendet
finden, drängt ſich die Nothwendigkeit in den Vordergrund, neben
den vielartigen Detailbildern, welche meiſt in culturgeſchichtlicher
und hiſtoriſcher und wohl nicht zuletzt in allgemein touriſtiſcher
Richtung ausgeſponnen wurden, von der totalen, ſo hochintereſſanten
Ländermaſſe ein anſchauliches Gemälde zu gewinnen. Wir denken
uns zu dieſem Ende in den nordweſtlichſten Winkel des iraniſchen
Hochlandes verſetzt, eröffnen unſeren vorerſt rein orographiſchen
Rundblick auf das bisherige ruſſiſche Armenien, d. i.: die mittlere
Araxes-Ebene mit der doppelten Maſſen-Erhebung des Ararat
und der Gruppe vom Goktſcha-See und ſchließen hieran das
centrale Plateau Hoch-Armeniens mit den nördlichen, ſüdlichen
und weſtlichen Vorlagen, Abfällen, Randgebirgen und den zahl-
reichen Uebergangsformen. Vom Tafellande Azerbeidſchan baut
ſich die Hochlandsmaſſe nordweſtwärts, ſozuſagen von den beiden
rieſigen Kegelbergen Sawalan (12,200 Fuß) und Sahand (8000
Fuß), nach einer weitläufigen Unterbrechung im unteren Araxes-
Thale, jenſeits dieſes Stromes noch einmal zu impoſanter Höhe

1 Bei Ritter, „Erdkunde“, XVIII.
2 Texier, „Asie mineure“, II, 51.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0151" n="119"/><fw place="top" type="header">Siwas. &#x2014; Das pla&#x017F;ti&#x017F;che Totalbild Armeniens.</fw><lb/>
die alljährlich zur Sommerszeit nordwärts aus&#x017F;chwärmen <note place="foot" n="1">Bei Ritter, &#x201E;Erdkunde&#x201C;, <hi rendition="#aq">XVIII.</hi></note>, nach-<lb/>
dem &#x017F;ie während des Winters die immergrünen Haine Ciliciens durch<lb/>
&#x017F;treift haben, &#x017F;ich anders abzufinden, als hin und wieder ihr<lb/>
Wohlwollen zu erkaufen? Der Staat hat freilich keine Gelder<lb/>
für derlei bedenkliche Sub&#x017F;idien-Bewerber, und der Gouverneur<lb/>
ganz &#x017F;icher auch nicht, aber es bedarf nur mehrerer blutiger<lb/>
Anlä&#x017F;&#x017F;e, um den zumei&#x017F;t bedrängten Bewohnern des Flachlandes<lb/>
plau&#x017F;ibel zu machen, daß es nur einer momentanen Steuer-<lb/>
erhöhung bedürfe, um das Uebel in Form einer Loskaufs&#x017F;umme<lb/>
zu bannen. Gleichwol i&#x017F;t das Mittel kein radicales und die ganze<lb/>
obere Halysgegend i&#x017F;t heute, wie vordem, in der Gewalt der<lb/>
kriegeri&#x017F;chen Af&#x017F;charen. Sie &#x017F;chwärmen we&#x017F;twärts &#x017F;ogar bis zum<lb/>
Rie&#x017F;enkegel Argäus, dort, wo &#x017F;ich das weitläufige Kai&#x017F;arie (das<lb/>
altberühmte Cä&#x017F;area) mit &#x017F;einen Kuppeln und weißen Minarets<lb/>
wie ein großartiges Oa&#x017F;enbild von der dunklen Waldtapete da-<lb/>
hinter, die &#x017F;ich den erlo&#x017F;chenen Vulkan hinanzieht, abhebt <note place="foot" n="2">Texier, <hi rendition="#aq">&#x201E;Asie mineure&#x201C;, II,</hi> 51.</note>.</p><lb/>
        <p>Nachdem wir mit Klein-Armenien und Siwas un&#x017F;ere Wan-<lb/>
derungen durch die einzelnen Gaue des Ge&#x017F;ammt-Gebietes beendet<lb/>
finden, drängt &#x017F;ich die Nothwendigkeit in den Vordergrund, neben<lb/>
den vielartigen Detailbildern, welche mei&#x017F;t in culturge&#x017F;chichtlicher<lb/>
und hi&#x017F;tori&#x017F;cher und wohl nicht zuletzt in allgemein touri&#x017F;ti&#x017F;cher<lb/>
Richtung ausge&#x017F;ponnen wurden, von der totalen, &#x017F;o hochintere&#x017F;&#x017F;anten<lb/>
Länderma&#x017F;&#x017F;e ein an&#x017F;chauliches Gemälde zu gewinnen. Wir denken<lb/>
uns zu die&#x017F;em Ende in den nordwe&#x017F;tlich&#x017F;ten Winkel des irani&#x017F;chen<lb/>
Hochlandes ver&#x017F;etzt, eröffnen un&#x017F;eren vorer&#x017F;t rein orographi&#x017F;chen<lb/>
Rundblick auf das bisherige ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Armenien, d. i.: die mittlere<lb/>
Araxes-Ebene mit der doppelten Ma&#x017F;&#x017F;en-Erhebung des Ararat<lb/>
und der Gruppe vom Gokt&#x017F;cha-See und &#x017F;chließen hieran das<lb/>
centrale Plateau Hoch-Armeniens mit den nördlichen, &#x017F;üdlichen<lb/>
und we&#x017F;tlichen Vorlagen, Abfällen, Randgebirgen und den zahl-<lb/>
reichen Uebergangsformen. Vom Tafellande Azerbeid&#x017F;chan baut<lb/>
&#x017F;ich die Hochlandsma&#x017F;&#x017F;e nordwe&#x017F;twärts, &#x017F;ozu&#x017F;agen von den beiden<lb/>
rie&#x017F;igen Kegelbergen Sawalan (12,200 Fuß) und Sahand (8000<lb/>
Fuß), nach einer weitläufigen Unterbrechung im unteren Araxes-<lb/>
Thale, jen&#x017F;eits die&#x017F;es Stromes noch einmal zu impo&#x017F;anter Höhe<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0151] Siwas. — Das plaſtiſche Totalbild Armeniens. die alljährlich zur Sommerszeit nordwärts ausſchwärmen 1, nach- dem ſie während des Winters die immergrünen Haine Ciliciens durch ſtreift haben, ſich anders abzufinden, als hin und wieder ihr Wohlwollen zu erkaufen? Der Staat hat freilich keine Gelder für derlei bedenkliche Subſidien-Bewerber, und der Gouverneur ganz ſicher auch nicht, aber es bedarf nur mehrerer blutiger Anläſſe, um den zumeiſt bedrängten Bewohnern des Flachlandes plauſibel zu machen, daß es nur einer momentanen Steuer- erhöhung bedürfe, um das Uebel in Form einer Loskaufsſumme zu bannen. Gleichwol iſt das Mittel kein radicales und die ganze obere Halysgegend iſt heute, wie vordem, in der Gewalt der kriegeriſchen Afſcharen. Sie ſchwärmen weſtwärts ſogar bis zum Rieſenkegel Argäus, dort, wo ſich das weitläufige Kaiſarie (das altberühmte Cäſarea) mit ſeinen Kuppeln und weißen Minarets wie ein großartiges Oaſenbild von der dunklen Waldtapete da- hinter, die ſich den erloſchenen Vulkan hinanzieht, abhebt 2. Nachdem wir mit Klein-Armenien und Siwas unſere Wan- derungen durch die einzelnen Gaue des Geſammt-Gebietes beendet finden, drängt ſich die Nothwendigkeit in den Vordergrund, neben den vielartigen Detailbildern, welche meiſt in culturgeſchichtlicher und hiſtoriſcher und wohl nicht zuletzt in allgemein touriſtiſcher Richtung ausgeſponnen wurden, von der totalen, ſo hochintereſſanten Ländermaſſe ein anſchauliches Gemälde zu gewinnen. Wir denken uns zu dieſem Ende in den nordweſtlichſten Winkel des iraniſchen Hochlandes verſetzt, eröffnen unſeren vorerſt rein orographiſchen Rundblick auf das bisherige ruſſiſche Armenien, d. i.: die mittlere Araxes-Ebene mit der doppelten Maſſen-Erhebung des Ararat und der Gruppe vom Goktſcha-See und ſchließen hieran das centrale Plateau Hoch-Armeniens mit den nördlichen, ſüdlichen und weſtlichen Vorlagen, Abfällen, Randgebirgen und den zahl- reichen Uebergangsformen. Vom Tafellande Azerbeidſchan baut ſich die Hochlandsmaſſe nordweſtwärts, ſozuſagen von den beiden rieſigen Kegelbergen Sawalan (12,200 Fuß) und Sahand (8000 Fuß), nach einer weitläufigen Unterbrechung im unteren Araxes- Thale, jenſeits dieſes Stromes noch einmal zu impoſanter Höhe 1 Bei Ritter, „Erdkunde“, XVIII. 2 Texier, „Asie mineure“, II, 51.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/151
Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/151>, abgerufen am 03.05.2024.