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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Die Türken in Van. Aberglaube. -- Keil-Inschriften.
Stadt der Semiramis durch fremde Hilfe in den Besitz der ver-
grabenen Reichthümer zu gelangen hofften 1 ... Das ist Alles.
Ihren blödsinnigen Aberglauben nennen sie Pietät für das ein-
stige Emporium, ihre Gewaltthätigkeit ein gutes Regiment, ihre
armseligen Gärten ein Paradies. Oft haust die nichtsnutzige
Provinz-Bureaukratie in den Dörfern des flachen Landes, und
ist sie abgezogen, so kommen die Kurden von ihren Weiden herab
und halten Nachlese bei jammernden Weibern und zerknirschten
Männern. Und alle diese Zeichen geschehen im Angesichte eines
großartigen Culturdenkmales, auf dessen steinernen Stirnen eine
geheimnißvolle Schrift von verschollenem Glanze Kunde gibt.
Wie auf dem Bagistan bei Ekbatana Darius auf 2000 Fuß
hoher Felswand in den drei Sprachen seines Reiches (arisch,
turanisch, semitisch) die Geschichte aller Empörungen, die er nieder-
schlug, einmeißeln ließ 2, so hat zu Van Xerxes, sein großer Sohn,
den Ruhm seiner Herrschaft zu verewigen getrachtet. Und die
heutigen Volksbeglücker blicken stumpfsinnig da hinauf und wähnen
Kunde zu erhalten von verborgenen Schätzen, indeß in unver-
wüstlichen Schriftzeichen eine historische Kundgebung, von deren
Bedeutung sie keine blasse Ahnung haben, ihnen entgegenleuchtet ...

An den Grenzen Kurdistans angelangt, ergibt sich nunmehr

1 Dies gilt namentlich von zwei Felsgrotten unweit des Tabriser
Thores, also im Osten der Stadt. Der Volkswahn verlegt dahin Gold-
schätze, die unter einem "Khazane Kapussi" (Thor zum Schatzhause) liegen
sollen, dessen eisernes Gitter den Eingang zum Thesauros hindere. Zwei
Männer mit Flammenschwertern bewachen den Eingang; jede Nacht lagere
sich eine große Schlange vor dem Talisman (der Inscription), ziehe sich
aber bei Sonnenaufgang durch ein Loch zur Rechten in das Innere der
Grotte zurück ... Weiters soll unter dem, nur eine Stunde im Osten
der Stadt sich erhebenden Hügel Zemzen-Tepe eine Stadt der Divs
(Gespenster) vergraben liegen. Nur zwei Mittel soll es geben, sie zu er-
reichen: wenn man den Talisman entziffert, oder den siebenten Tag nach
Ostern, oder das Johannisfest abwartet, weil sich die Felspforten an diesen
Tagen auf kurze Zeit von selbst öffnen. Im Innern des Berges läßt der
verzauberte Hahn sein Geschrei ertönen. (Vgl. Schulz, Memoire etc. . . a. a. O.)
2 Es sind mehr als 1000 Zeilen Keilschrift, Dank ihrer sorgsamen
Politur, noch vollkommen lesbar. Mitten zwischen den Inschriftencolonnen
sieht man den König selbst, wie er den Fuß auf den Leib eines am Boden
liegenden Rebellen setzt, und neun andere, von Hals zu Hals gefesselt,
stehen gebeugt, mit zurückgebundenen Händen, vor ihm. Darüber schwebt,

Die Türken in Van. Aberglaube. — Keil-Inſchriften.
Stadt der Semiramis durch fremde Hilfe in den Beſitz der ver-
grabenen Reichthümer zu gelangen hofften 1 … Das iſt Alles.
Ihren blödſinnigen Aberglauben nennen ſie Pietät für das ein-
ſtige Emporium, ihre Gewaltthätigkeit ein gutes Regiment, ihre
armſeligen Gärten ein Paradies. Oft hauſt die nichtsnutzige
Provinz-Bureaukratie in den Dörfern des flachen Landes, und
iſt ſie abgezogen, ſo kommen die Kurden von ihren Weiden herab
und halten Nachleſe bei jammernden Weibern und zerknirſchten
Männern. Und alle dieſe Zeichen geſchehen im Angeſichte eines
großartigen Culturdenkmales, auf deſſen ſteinernen Stirnen eine
geheimnißvolle Schrift von verſchollenem Glanze Kunde gibt.
Wie auf dem Bagiſtan bei Ekbatana Darius auf 2000 Fuß
hoher Felswand in den drei Sprachen ſeines Reiches (ariſch,
turaniſch, ſemitiſch) die Geſchichte aller Empörungen, die er nieder-
ſchlug, einmeißeln ließ 2, ſo hat zu Van Xerxes, ſein großer Sohn,
den Ruhm ſeiner Herrſchaft zu verewigen getrachtet. Und die
heutigen Volksbeglücker blicken ſtumpfſinnig da hinauf und wähnen
Kunde zu erhalten von verborgenen Schätzen, indeß in unver-
wüſtlichen Schriftzeichen eine hiſtoriſche Kundgebung, von deren
Bedeutung ſie keine blaſſe Ahnung haben, ihnen entgegenleuchtet …

An den Grenzen Kurdiſtans angelangt, ergibt ſich nunmehr

1 Dies gilt namentlich von zwei Felsgrotten unweit des Tabriſer
Thores, alſo im Oſten der Stadt. Der Volkswahn verlegt dahin Gold-
ſchätze, die unter einem „Khazane Kapuſſi“ (Thor zum Schatzhauſe) liegen
ſollen, deſſen eiſernes Gitter den Eingang zum Theſauros hindere. Zwei
Männer mit Flammenſchwertern bewachen den Eingang; jede Nacht lagere
ſich eine große Schlange vor dem Talisman (der Inſcription), ziehe ſich
aber bei Sonnenaufgang durch ein Loch zur Rechten in das Innere der
Grotte zurück … Weiters ſoll unter dem, nur eine Stunde im Oſten
der Stadt ſich erhebenden Hügel Zemzen-Tepe eine Stadt der Divs
(Geſpenſter) vergraben liegen. Nur zwei Mittel ſoll es geben, ſie zu er-
reichen: wenn man den Talisman entziffert, oder den ſiebenten Tag nach
Oſtern, oder das Johannisfeſt abwartet, weil ſich die Felspforten an dieſen
Tagen auf kurze Zeit von ſelbſt öffnen. Im Innern des Berges läßt der
verzauberte Hahn ſein Geſchrei ertönen. (Vgl. Schulz, Mémoire etc. . . a. a. O.)
2 Es ſind mehr als 1000 Zeilen Keilſchrift, Dank ihrer ſorgſamen
Politur, noch vollkommen lesbar. Mitten zwiſchen den Inſchriftencolonnen
ſieht man den König ſelbſt, wie er den Fuß auf den Leib eines am Boden
liegenden Rebellen ſetzt, und neun andere, von Hals zu Hals gefeſſelt,
ſtehen gebeugt, mit zurückgebundenen Händen, vor ihm. Darüber ſchwebt,
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[105/0137] Die Türken in Van. Aberglaube. — Keil-Inſchriften. Stadt der Semiramis durch fremde Hilfe in den Beſitz der ver- grabenen Reichthümer zu gelangen hofften 1 … Das iſt Alles. Ihren blödſinnigen Aberglauben nennen ſie Pietät für das ein- ſtige Emporium, ihre Gewaltthätigkeit ein gutes Regiment, ihre armſeligen Gärten ein Paradies. Oft hauſt die nichtsnutzige Provinz-Bureaukratie in den Dörfern des flachen Landes, und iſt ſie abgezogen, ſo kommen die Kurden von ihren Weiden herab und halten Nachleſe bei jammernden Weibern und zerknirſchten Männern. Und alle dieſe Zeichen geſchehen im Angeſichte eines großartigen Culturdenkmales, auf deſſen ſteinernen Stirnen eine geheimnißvolle Schrift von verſchollenem Glanze Kunde gibt. Wie auf dem Bagiſtan bei Ekbatana Darius auf 2000 Fuß hoher Felswand in den drei Sprachen ſeines Reiches (ariſch, turaniſch, ſemitiſch) die Geſchichte aller Empörungen, die er nieder- ſchlug, einmeißeln ließ 2, ſo hat zu Van Xerxes, ſein großer Sohn, den Ruhm ſeiner Herrſchaft zu verewigen getrachtet. Und die heutigen Volksbeglücker blicken ſtumpfſinnig da hinauf und wähnen Kunde zu erhalten von verborgenen Schätzen, indeß in unver- wüſtlichen Schriftzeichen eine hiſtoriſche Kundgebung, von deren Bedeutung ſie keine blaſſe Ahnung haben, ihnen entgegenleuchtet … An den Grenzen Kurdiſtans angelangt, ergibt ſich nunmehr 1 Dies gilt namentlich von zwei Felsgrotten unweit des Tabriſer Thores, alſo im Oſten der Stadt. Der Volkswahn verlegt dahin Gold- ſchätze, die unter einem „Khazane Kapuſſi“ (Thor zum Schatzhauſe) liegen ſollen, deſſen eiſernes Gitter den Eingang zum Theſauros hindere. Zwei Männer mit Flammenſchwertern bewachen den Eingang; jede Nacht lagere ſich eine große Schlange vor dem Talisman (der Inſcription), ziehe ſich aber bei Sonnenaufgang durch ein Loch zur Rechten in das Innere der Grotte zurück … Weiters ſoll unter dem, nur eine Stunde im Oſten der Stadt ſich erhebenden Hügel Zemzen-Tepe eine Stadt der Divs (Geſpenſter) vergraben liegen. Nur zwei Mittel ſoll es geben, ſie zu er- reichen: wenn man den Talisman entziffert, oder den ſiebenten Tag nach Oſtern, oder das Johannisfeſt abwartet, weil ſich die Felspforten an dieſen Tagen auf kurze Zeit von ſelbſt öffnen. Im Innern des Berges läßt der verzauberte Hahn ſein Geſchrei ertönen. (Vgl. Schulz, Mémoire etc. . . a. a. O.) 2 Es ſind mehr als 1000 Zeilen Keilſchrift, Dank ihrer ſorgſamen Politur, noch vollkommen lesbar. Mitten zwiſchen den Inſchriftencolonnen ſieht man den König ſelbſt, wie er den Fuß auf den Leib eines am Boden liegenden Rebellen ſetzt, und neun andere, von Hals zu Hals gefeſſelt, ſtehen gebeugt, mit zurückgebundenen Händen, vor ihm. Darüber ſchwebt,

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/137>, abgerufen am 23.11.2024.