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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Das pontisch-armenische Gestade-Land.
der nackten, einfachen Thatsache nimmer zufriedenen deutschen
Lesepublicum an der Romantik des Völkerlebens im Kaukasus
festgehalten. Neben der räumlichen Entfernung, welche, wie be-
kannt, gleich großen Zeitabständen am besten geeignet ist, Länder,
Völker und Ereignisse in milderem Lichte, mitunter auch poetisch
verklärt erscheinen zu lassen, scheint uns an der optimistischen
Auffassung der kaukasischen Völker Niemand geringerer die Schuld
zu tragen, als Rußlands größter Dichter -- Alexander Puschkin.
Jeder halbwegs Belesene kennt bei uns die prächtigen, von einer
unvergleichlichen Schwermuth getragenen Bilder, die er in seinem
epischen Gedichte "Der Gefangene im Kaukasus" uns vorführt.
Abgesehen von der energischen Malerei, die sich in der Localität
dieses herrlichen Poems entfaltet, gibt es wenige Dichter, die
mit dem Aufwande aller Seelenqualen den Kampf im Empfin-
dungsleben so schmerzhaft zerfasernd dargethan haben, als Puschkin
in den Schilderungen der Erlebnisse des gefangenen Russen im
Kaukasus. Und um die Gefühlsseligkeit zwischen dem geächteten
Fremden und dem cirkassischen Mädchen schlingt eine romantische
herrliche Welt, die Firnkette des Kaukasus, der blaßblaue Zahn
des Elbrus mit der blinkenden Eiskrone, den schützenden Gürtel,
damit das Lied des Leides nicht darüber hinausfliege, die Luft
glücklicherer Zonen zu durchschauern1.

Das ist Alles Dunst und Täuschung geworden, seitdem die
für subjective Empfindungen weit weniger empfänglichen Forschungs-
reisenden die einsamen Thäler des kaukasischen Isthmus durch-

hat, welche um die Mitte des vorigen Jahrhunderts unter Abdul Wahab
vom arabischen Hochlande ausging und von ihren puritanischen Leitern
den greifbarsten Ausdruck durch die fanatische Wuth in der Zerstörung
aller Prachtbauten des sunitischen und schiitischen Islams fand. Die auf-
fallend herrlichen Detailbilder in diesem Culturgemälde sollen hier offenbar
nur den Ereignissen selbst das nöthige Relief geben.
1
Nicht dich umarm' ich, eine Andre,
Um sie nur wein' ich in dein Haar,
Sie wandert mit, wohin ich wandre,
Und macht mich elend immerdar!
Drum laß mir, Mädchen, meine Ketten,
Die Träume und die Einsamkeit.
Kannst du mich vor Erinn'rung retten,
Kannst theilen du mein bittres Leid? --

Das pontiſch-armeniſche Geſtade-Land.
der nackten, einfachen Thatſache nimmer zufriedenen deutſchen
Leſepublicum an der Romantik des Völkerlebens im Kaukaſus
feſtgehalten. Neben der räumlichen Entfernung, welche, wie be-
kannt, gleich großen Zeitabſtänden am beſten geeignet iſt, Länder,
Völker und Ereigniſſe in milderem Lichte, mitunter auch poetiſch
verklärt erſcheinen zu laſſen, ſcheint uns an der optimiſtiſchen
Auffaſſung der kaukaſiſchen Völker Niemand geringerer die Schuld
zu tragen, als Rußlands größter Dichter — Alexander Puſchkin.
Jeder halbwegs Beleſene kennt bei uns die prächtigen, von einer
unvergleichlichen Schwermuth getragenen Bilder, die er in ſeinem
epiſchen Gedichte „Der Gefangene im Kaukaſus“ uns vorführt.
Abgeſehen von der energiſchen Malerei, die ſich in der Localität
dieſes herrlichen Poëms entfaltet, gibt es wenige Dichter, die
mit dem Aufwande aller Seelenqualen den Kampf im Empfin-
dungsleben ſo ſchmerzhaft zerfaſernd dargethan haben, als Puſchkin
in den Schilderungen der Erlebniſſe des gefangenen Ruſſen im
Kaukaſus. Und um die Gefühlsſeligkeit zwiſchen dem geächteten
Fremden und dem cirkaſſiſchen Mädchen ſchlingt eine romantiſche
herrliche Welt, die Firnkette des Kaukaſus, der blaßblaue Zahn
des Elbrus mit der blinkenden Eiskrone, den ſchützenden Gürtel,
damit das Lied des Leides nicht darüber hinausfliege, die Luft
glücklicherer Zonen zu durchſchauern1.

Das iſt Alles Dunſt und Täuſchung geworden, ſeitdem die
für ſubjective Empfindungen weit weniger empfänglichen Forſchungs-
reiſenden die einſamen Thäler des kaukaſiſchen Iſthmus durch-

hat, welche um die Mitte des vorigen Jahrhunderts unter Abdul Wahab
vom arabiſchen Hochlande ausging und von ihren puritaniſchen Leitern
den greifbarſten Ausdruck durch die fanatiſche Wuth in der Zerſtörung
aller Prachtbauten des ſunitiſchen und ſchiitiſchen Islams fand. Die auf-
fallend herrlichen Detailbilder in dieſem Culturgemälde ſollen hier offenbar
nur den Ereigniſſen ſelbſt das nöthige Relief geben.
1
Nicht dich umarm’ ich, eine Andre,
Um ſie nur wein’ ich in dein Haar,
Sie wandert mit, wohin ich wandre,
Und macht mich elend immerdar!
Drum laß mir, Mädchen, meine Ketten,
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Kannſt du mich vor Erinn’rung retten,
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[78/0110] Das pontiſch-armeniſche Geſtade-Land. der nackten, einfachen Thatſache nimmer zufriedenen deutſchen Leſepublicum an der Romantik des Völkerlebens im Kaukaſus feſtgehalten. Neben der räumlichen Entfernung, welche, wie be- kannt, gleich großen Zeitabſtänden am beſten geeignet iſt, Länder, Völker und Ereigniſſe in milderem Lichte, mitunter auch poetiſch verklärt erſcheinen zu laſſen, ſcheint uns an der optimiſtiſchen Auffaſſung der kaukaſiſchen Völker Niemand geringerer die Schuld zu tragen, als Rußlands größter Dichter — Alexander Puſchkin. Jeder halbwegs Beleſene kennt bei uns die prächtigen, von einer unvergleichlichen Schwermuth getragenen Bilder, die er in ſeinem epiſchen Gedichte „Der Gefangene im Kaukaſus“ uns vorführt. Abgeſehen von der energiſchen Malerei, die ſich in der Localität dieſes herrlichen Poëms entfaltet, gibt es wenige Dichter, die mit dem Aufwande aller Seelenqualen den Kampf im Empfin- dungsleben ſo ſchmerzhaft zerfaſernd dargethan haben, als Puſchkin in den Schilderungen der Erlebniſſe des gefangenen Ruſſen im Kaukaſus. Und um die Gefühlsſeligkeit zwiſchen dem geächteten Fremden und dem cirkaſſiſchen Mädchen ſchlingt eine romantiſche herrliche Welt, die Firnkette des Kaukaſus, der blaßblaue Zahn des Elbrus mit der blinkenden Eiskrone, den ſchützenden Gürtel, damit das Lied des Leides nicht darüber hinausfliege, die Luft glücklicherer Zonen zu durchſchauern 1. Das iſt Alles Dunſt und Täuſchung geworden, ſeitdem die für ſubjective Empfindungen weit weniger empfänglichen Forſchungs- reiſenden die einſamen Thäler des kaukaſiſchen Iſthmus durch- 2 1 Nicht dich umarm’ ich, eine Andre, Um ſie nur wein’ ich in dein Haar, Sie wandert mit, wohin ich wandre, Und macht mich elend immerdar! Drum laß mir, Mädchen, meine Ketten, Die Träume und die Einſamkeit. Kannſt du mich vor Erinn’rung retten, Kannſt theilen du mein bittres Leid? — 2 hat, welche um die Mitte des vorigen Jahrhunderts unter Abdul Wahab vom arabiſchen Hochlande ausging und von ihren puritaniſchen Leitern den greifbarſten Ausdruck durch die fanatiſche Wuth in der Zerſtörung aller Prachtbauten des ſunitiſchen und ſchiitiſchen Islams fand. Die auf- fallend herrlichen Detailbilder in dieſem Culturgemälde ſollen hier offenbar nur den Ereigniſſen ſelbſt das nöthige Relief geben.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/110>, abgerufen am 22.11.2024.