doch regte sich das Mutterblut mächtig in ihr, und ein unwiderstehlicher Schmerz verkümmerte ihr das Gefühl der Sorglosigkeit, dem sie sich mit dieser Nachricht end¬ lich hingeben zu dürfen glaubte. Elektra dagegen war nur von Einem Gefühle, dem gränzenlosesten Jammer besessen, und machte diesem in lauten Wehklagen Luft. "Wohin soll ich fliehen," rief sie, als Klytämnestra mit dem Fremdling aus Phocis in den Pallast gegangen war, "jetzt erst bin ich einsam, jetzt erst des Vaters beraubt; nun muß ich wieder die Dienstmagd der ab¬ scheulichsten Menschen, der Mörder meines Vaters seyn! Aber nein, unter demselben Dache mit ihnen will ich künftig nicht mehr wohnen, lieber werfe ich mich selbst hinaus vor das Thor dieses Pallastes, und komme draußen im Elend um. Zürnt einer der Hausbewohner darob? wohl, er gehe heraus und tödte mich! das Leben kann mich nur kränken, und der Tod muß mich erfreuen!"
Allmählig verstummte ihre Klage und sie versank in ein dumpfes Brüten. Wohl mochte sie stundenlang so in sich vertieft auf der Marmortreppe am Eingange des Pallastes, den Kopf auf den Schooß gelegt, gesessen haben, als auf einmal ihre junge Schwester Chrysothe¬ mis voll Freude daher gejagt kam und nach keinem An¬ stande fragend, mit einem Jubelruf die Schwester aus ihrem brütenden Kummer weckte. "Orestes ist gekommen," rief sie; "er ist so leibhaftig da, wie du mich selbst hier vor dir siehest!" Elektra richtete ihr Haupt auf, blickte die Schwester mit weitaufgerissenen Augen an, und sprach endlich: "Redest du im Wahnsinn, Schwester, und willst meiner und deiner Leiden spotten?" -- "Ich melde, was ich gefunden," sprudelte Chrysothemis heraus,
doch regte ſich das Mutterblut mächtig in ihr, und ein unwiderſtehlicher Schmerz verkümmerte ihr das Gefühl der Sorgloſigkeit, dem ſie ſich mit dieſer Nachricht end¬ lich hingeben zu dürfen glaubte. Elektra dagegen war nur von Einem Gefühle, dem gränzenloſeſten Jammer beſeſſen, und machte dieſem in lauten Wehklagen Luft. „Wohin ſoll ich fliehen,“ rief ſie, als Klytämneſtra mit dem Fremdling aus Phocis in den Pallaſt gegangen war, „jetzt erſt bin ich einſam, jetzt erſt des Vaters beraubt; nun muß ich wieder die Dienſtmagd der ab¬ ſcheulichſten Menſchen, der Mörder meines Vaters ſeyn! Aber nein, unter demſelben Dache mit ihnen will ich künftig nicht mehr wohnen, lieber werfe ich mich ſelbſt hinaus vor das Thor dieſes Pallaſtes, und komme draußen im Elend um. Zürnt einer der Hausbewohner darob? wohl, er gehe heraus und tödte mich! das Leben kann mich nur kränken, und der Tod muß mich erfreuen!“
Allmählig verſtummte ihre Klage und ſie verſank in ein dumpfes Brüten. Wohl mochte ſie ſtundenlang ſo in ſich vertieft auf der Marmortreppe am Eingange des Pallaſtes, den Kopf auf den Schooß gelegt, geſeſſen haben, als auf einmal ihre junge Schweſter Chryſothe¬ mis voll Freude daher gejagt kam und nach keinem An¬ ſtande fragend, mit einem Jubelruf die Schweſter aus ihrem brütenden Kummer weckte. „Oreſtes iſt gekommen,“ rief ſie; „er iſt ſo leibhaftig da, wie du mich ſelbſt hier vor dir ſieheſt!“ Elektra richtete ihr Haupt auf, blickte die Schweſter mit weitaufgeriſſenen Augen an, und ſprach endlich: „Redeſt du im Wahnſinn, Schweſter, und willſt meiner und deiner Leiden ſpotten?“ — „Ich melde, was ich gefunden,“ ſprudelte Chryſothemis heraus,
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doch regte ſich das Mutterblut mächtig in ihr, und ein
unwiderſtehlicher Schmerz verkümmerte ihr das Gefühl
der Sorgloſigkeit, dem ſie ſich mit dieſer Nachricht end¬
lich hingeben zu dürfen glaubte. Elektra dagegen war
nur von Einem Gefühle, dem gränzenloſeſten Jammer
beſeſſen, und machte dieſem in lauten Wehklagen Luft.
„Wohin ſoll ich fliehen,“ rief ſie, als Klytämneſtra mit
dem Fremdling aus Phocis in den Pallaſt gegangen
war, „jetzt erſt bin ich einſam, jetzt erſt des Vaters
beraubt; nun muß ich wieder die Dienſtmagd der ab¬
ſcheulichſten Menſchen, der Mörder meines Vaters ſeyn!
Aber nein, unter demſelben Dache mit ihnen will ich
künftig nicht mehr wohnen, lieber werfe ich mich ſelbſt
hinaus vor das Thor dieſes Pallaſtes, und komme
draußen im Elend um. Zürnt einer der Hausbewohner
darob? wohl, er gehe heraus und tödte mich! das Leben
kann mich nur kränken, und der Tod muß mich erfreuen!“
Allmählig verſtummte ihre Klage und ſie verſank
in ein dumpfes Brüten. Wohl mochte ſie ſtundenlang
ſo in ſich vertieft auf der Marmortreppe am Eingange
des Pallaſtes, den Kopf auf den Schooß gelegt, geſeſſen
haben, als auf einmal ihre junge Schweſter Chryſothe¬
mis voll Freude daher gejagt kam und nach keinem An¬
ſtande fragend, mit einem Jubelruf die Schweſter aus
ihrem brütenden Kummer weckte. „Oreſtes iſt gekommen,“
rief ſie; „er iſt ſo leibhaftig da, wie du mich ſelbſt hier
vor dir ſieheſt!“ Elektra richtete ihr Haupt auf, blickte
die Schweſter mit weitaufgeriſſenen Augen an, und
ſprach endlich: „Redeſt du im Wahnſinn, Schweſter,
und willſt meiner und deiner Leiden ſpotten?“ — „Ich
melde, was ich gefunden,“ ſprudelte Chryſothemis heraus,
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/44>, abgerufen am 23.11.2024.
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