Mitleid Flehender, das ganze Haus mit Gewinsel an. Jam¬ mernd entdeckte zuerst Silvia ihren Liebling, und rief mit lautem Geschrei die Bauern der Umgegend zu Hülfe. Diese kamen mit angebrannten Pfählen und Keulen be¬ waffnet: Tyrrhus selbst rief seinen Gesellen herbei, der just eine stämmige Eiche mit dem Beil spaltete; und als Alekto den rechten Zeitpunkt ersehen, stellte sie sich auf den Giebel des Hofgebäudes und ließ durch das ge¬ wundene Horn den lauten Hirtenruf in die Gegend hin¬ austönen. Von allen Seiten strömte jetzt tobendes Bauernvolk herbei, aber auch dem Askanius kam die trojanische Mannschaft zu Hülfe. Bald waren es auf der andern Seite auch nicht mehr blos mit Prügeln bewaffnete Haufen; es hatten sich zwei ordentliche Schlacht¬ reihen gebildet: Schwerter wurden gezogen, Bogen ge¬ spannt.
Der erste Pfeilschuß von Seiten der jagenden Tro¬ janer, die sich gegen die anstürmenden Feinde zur Wehr setzten, traf den ältesten Sohn des Tyrrhus, Almo, in die Kehle, daß ihm Stimme und Leben zugleich schwand. Nun begann ein allgemeines Gemetzel unter den Hirten. Der ehrlichste und begüterste Bauer in ganz Latium, der alte Galäsus, der fünf Rinder- und fünf Schaafheerden besaß, und hundert Pflüge über seine Aecker gehen hatte, war aus den Schaaren des Bauernvolkes hervorgetreten, um den Frieden zu vermitteln; aber er wurde nicht an¬ gehört und ein Pfeilregen bedeckte ihn, unter dem er ster¬ bend erlag. Jetzt stürzten die überwältigten Hirten aus dem Kampfe in die Stadt, und trugen ihre Erschlagenen, den Almo, den Galäsus und viele Andere wehklagend durch die Thore. Sie riefen die Götter laut um Hülfe
Mitleid Flehender, das ganze Haus mit Gewinſel an. Jam¬ mernd entdeckte zuerſt Silvia ihren Liebling, und rief mit lautem Geſchrei die Bauern der Umgegend zu Hülfe. Dieſe kamen mit angebrannten Pfählen und Keulen be¬ waffnet: Tyrrhus ſelbſt rief ſeinen Geſellen herbei, der juſt eine ſtämmige Eiche mit dem Beil ſpaltete; und als Alekto den rechten Zeitpunkt erſehen, ſtellte ſie ſich auf den Giebel des Hofgebäudes und ließ durch das ge¬ wundene Horn den lauten Hirtenruf in die Gegend hin¬ austönen. Von allen Seiten ſtrömte jetzt tobendes Bauernvolk herbei, aber auch dem Askanius kam die trojaniſche Mannſchaft zu Hülfe. Bald waren es auf der andern Seite auch nicht mehr blos mit Prügeln bewaffnete Haufen; es hatten ſich zwei ordentliche Schlacht¬ reihen gebildet: Schwerter wurden gezogen, Bogen ge¬ ſpannt.
Der erſte Pfeilſchuß von Seiten der jagenden Tro¬ janer, die ſich gegen die anſtürmenden Feinde zur Wehr ſetzten, traf den älteſten Sohn des Tyrrhus, Almo, in die Kehle, daß ihm Stimme und Leben zugleich ſchwand. Nun begann ein allgemeines Gemetzel unter den Hirten. Der ehrlichſte und begüterſte Bauer in ganz Latium, der alte Galäſus, der fünf Rinder- und fünf Schaafheerden beſaß, und hundert Pflüge über ſeine Aecker gehen hatte, war aus den Schaaren des Bauernvolkes hervorgetreten, um den Frieden zu vermitteln; aber er wurde nicht an¬ gehört und ein Pfeilregen bedeckte ihn, unter dem er ſter¬ bend erlag. Jetzt ſtürzten die überwältigten Hirten aus dem Kampfe in die Stadt, und trugen ihre Erſchlagenen, den Almo, den Galäſus und viele Andere wehklagend durch die Thore. Sie riefen die Götter laut um Hülfe
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Mitleid Flehender, das ganze Haus mit Gewinſel an. Jam¬
mernd entdeckte zuerſt Silvia ihren Liebling, und rief
mit lautem Geſchrei die Bauern der Umgegend zu Hülfe.
Dieſe kamen mit angebrannten Pfählen und Keulen be¬
waffnet: Tyrrhus ſelbſt rief ſeinen Geſellen herbei, der
juſt eine ſtämmige Eiche mit dem Beil ſpaltete; und
als Alekto den rechten Zeitpunkt erſehen, ſtellte ſie ſich
auf den Giebel des Hofgebäudes und ließ durch das ge¬
wundene Horn den lauten Hirtenruf in die Gegend hin¬
austönen. Von allen Seiten ſtrömte jetzt tobendes
Bauernvolk herbei, aber auch dem Askanius kam die
trojaniſche Mannſchaft zu Hülfe. Bald waren es
auf der andern Seite auch nicht mehr blos mit Prügeln
bewaffnete Haufen; es hatten ſich zwei ordentliche Schlacht¬
reihen gebildet: Schwerter wurden gezogen, Bogen ge¬
ſpannt.
Der erſte Pfeilſchuß von Seiten der jagenden Tro¬
janer, die ſich gegen die anſtürmenden Feinde zur Wehr
ſetzten, traf den älteſten Sohn des Tyrrhus, Almo, in
die Kehle, daß ihm Stimme und Leben zugleich ſchwand.
Nun begann ein allgemeines Gemetzel unter den Hirten.
Der ehrlichſte und begüterſte Bauer in ganz Latium, der
alte Galäſus, der fünf Rinder- und fünf Schaafheerden
beſaß, und hundert Pflüge über ſeine Aecker gehen hatte,
war aus den Schaaren des Bauernvolkes hervorgetreten,
um den Frieden zu vermitteln; aber er wurde nicht an¬
gehört und ein Pfeilregen bedeckte ihn, unter dem er ſter¬
bend erlag. Jetzt ſtürzten die überwältigten Hirten aus
dem Kampfe in die Stadt, und trugen ihre Erſchlagenen,
den Almo, den Galäſus und viele Andere wehklagend
durch die Thore. Sie riefen die Götter laut um Hülfe
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/381>, abgerufen am 22.11.2024.
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