Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

die schwellenden Wogen, verscheuchte die geballten Wol¬
ken und erheiterte die Luft, daß die Sonne wieder schien.
Seine Meeresgötter mußten die Schiffe, die zwischen
Klippen gerathen waren, von den zackigen Felsen hinweg¬
drängen; er selbst hob die auf den Sandbänken aufsitzen¬
den mit seinem Dreizacke, wie mit einem Hebel, und
machte sie wieder flott; dann gleitete er auf seinem Wa¬
gen, von Seerossen gezogen, leicht über den Saum der
Fluth hin, und das Getöse des Meeres schwieg überall,
wohin der Gott mit verhängtem Zügel die Rosse lenkte,
und einen Blick über die Wasser warf, wie bei einem
Volksaufruhr der gemeine Pöbel, der voll Trotzes mit
fliegenden Fackeln und Steinen umhertobte, plötzlich
schweigt und horchend ausblickt, wenn ein Mann von
Tugend und Verdienst erscheint.

Die müden Seefahrer sahe[n] eine Küste vor sich
liegen, rafften ihre Kräfte zusammen, und steuerten dem
Lande entgegen. Es war Afrika's Gestade. Bald nahm
sie ein sicherer Port auf. Auf der einen Seite sonnige
Wälder auf sanften Hügeln, auf der andern ein Gehölz
voll schwarzer Schatten an steiler Höhe, im Hintergrunde
der Bucht eine Felsengrotte mit Quellen und Moosbän¬
ken. Dorthin fuhr mit seinen sieben Schiffen, dieß war
der ganze Ueberrest der Flotte, der Held Aeneas. Die
Trojaner stiegen aus und lagerten sich in ihren triefen¬
den Gewanden dem Ufer entlang. Der Held Achates
schlug an einem Kiesel Feuer, fing de Gluth in trockenen
Blättern auf, nährte sie mit dürrem Reisig, und fachte
sie durch Schwingen zur Flamme an Dann wurde das
Bäckergeräthe und das vom Wasser halb verdorbene

die ſchwellenden Wogen, verſcheuchte die geballten Wol¬
ken und erheiterte die Luft, daß die Sonne wieder ſchien.
Seine Meeresgötter mußten die Schiffe, die zwiſchen
Klippen gerathen waren, von den zackigen Felſen hinweg¬
drängen; er ſelbſt hob die auf den Sandbänken aufſitzen¬
den mit ſeinem Dreizacke, wie mit einem Hebel, und
machte ſie wieder flott; dann gleitete er auf ſeinem Wa¬
gen, von Seeroſſen gezogen, leicht über den Saum der
Fluth hin, und das Getöſe des Meeres ſchwieg überall,
wohin der Gott mit verhängtem Zügel die Roſſe lenkte,
und einen Blick über die Waſſer warf, wie bei einem
Volksaufruhr der gemeine Pöbel, der voll Trotzes mit
fliegenden Fackeln und Steinen umhertobte, plötzlich
ſchweigt und horchend ausblickt, wenn ein Mann von
Tugend und Verdienſt erſcheint.

Die müden Seefahrer ſahe[n] eine Küſte vor ſich
liegen, rafften ihre Kräfte zuſammen, und ſteuerten dem
Lande entgegen. Es war Afrika's Geſtade. Bald nahm
ſie ein ſicherer Port auf. Auf der einen Seite ſonnige
Wälder auf ſanften Hügeln, auf der andern ein Gehölz
voll ſchwarzer Schatten an ſteiler Höhe, im Hintergrunde
der Bucht eine Felſengrotte mit Quellen und Moosbän¬
ken. Dorthin fuhr mit ſeinen ſieben Schiffen, dieß war
der ganze Ueberreſt der Flotte, der Held Aeneas. Die
Trojaner ſtiegen aus und lagerten ſich in ihren triefen¬
den Gewanden dem Ufer entlang. Der Held Achates
ſchlug an einem Kieſel Feuer, fing de Gluth in trockenen
Blättern auf, nährte ſie mit dürrem Reiſig, und fachte
ſie durch Schwingen zur Flamme an Dann wurde das
Bäckergeräthe und das vom Waſſer halb verdorbene

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0336" n="314"/>
die &#x017F;chwellenden Wogen, ver&#x017F;cheuchte die geballten Wol¬<lb/>
ken und erheiterte die Luft, daß die Sonne wieder &#x017F;chien.<lb/>
Seine Meeresgötter mußten die Schiffe, die zwi&#x017F;chen<lb/>
Klippen gerathen waren, von den zackigen Fel&#x017F;en hinweg¬<lb/>
drängen; er &#x017F;elb&#x017F;t hob die auf den Sandbänken auf&#x017F;itzen¬<lb/>
den mit &#x017F;einem Dreizacke, wie mit einem Hebel, und<lb/>
machte &#x017F;ie wieder flott; dann gleitete er auf &#x017F;einem Wa¬<lb/>
gen, von Seero&#x017F;&#x017F;en gezogen, leicht über den Saum der<lb/>
Fluth hin, und das Getö&#x017F;e des Meeres &#x017F;chwieg überall,<lb/>
wohin der Gott mit verhängtem Zügel die Ro&#x017F;&#x017F;e lenkte,<lb/>
und einen Blick über die Wa&#x017F;&#x017F;er warf, wie bei einem<lb/>
Volksaufruhr der gemeine Pöbel, der voll Trotzes mit<lb/>
fliegenden Fackeln und Steinen umhertobte, plötzlich<lb/>
&#x017F;chweigt und horchend ausblickt, wenn ein Mann von<lb/>
Tugend und Verdien&#x017F;t er&#x017F;cheint.</p><lb/>
            <p>Die müden Seefahrer &#x017F;ahe<supplied>n</supplied> eine Kü&#x017F;te vor &#x017F;ich<lb/>
liegen, rafften ihre Kräfte zu&#x017F;ammen, und &#x017F;teuerten dem<lb/>
Lande entgegen. Es war Afrika's Ge&#x017F;tade. Bald nahm<lb/>
&#x017F;ie ein &#x017F;icherer Port auf. Auf der einen Seite &#x017F;onnige<lb/>
Wälder auf &#x017F;anften Hügeln, auf der andern ein Gehölz<lb/>
voll &#x017F;chwarzer Schatten an &#x017F;teiler Höhe, im Hintergrunde<lb/>
der Bucht eine Fel&#x017F;engrotte mit Quellen und Moosbän¬<lb/>
ken. Dorthin fuhr mit &#x017F;einen &#x017F;ieben Schiffen, dieß war<lb/>
der ganze Ueberre&#x017F;t der Flotte, der Held Aeneas. Die<lb/>
Trojaner &#x017F;tiegen aus und lagerten &#x017F;ich in ihren triefen¬<lb/>
den Gewanden dem Ufer entlang. Der Held Achates<lb/>
&#x017F;chlug an einem Kie&#x017F;el Feuer, fing de Gluth in trockenen<lb/>
Blättern auf, nährte &#x017F;ie mit dürrem Rei&#x017F;ig, und fachte<lb/>
&#x017F;ie durch Schwingen zur Flamme an Dann wurde das<lb/>
Bäckergeräthe und das vom Wa&#x017F;&#x017F;er halb verdorbene<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0336] die ſchwellenden Wogen, verſcheuchte die geballten Wol¬ ken und erheiterte die Luft, daß die Sonne wieder ſchien. Seine Meeresgötter mußten die Schiffe, die zwiſchen Klippen gerathen waren, von den zackigen Felſen hinweg¬ drängen; er ſelbſt hob die auf den Sandbänken aufſitzen¬ den mit ſeinem Dreizacke, wie mit einem Hebel, und machte ſie wieder flott; dann gleitete er auf ſeinem Wa¬ gen, von Seeroſſen gezogen, leicht über den Saum der Fluth hin, und das Getöſe des Meeres ſchwieg überall, wohin der Gott mit verhängtem Zügel die Roſſe lenkte, und einen Blick über die Waſſer warf, wie bei einem Volksaufruhr der gemeine Pöbel, der voll Trotzes mit fliegenden Fackeln und Steinen umhertobte, plötzlich ſchweigt und horchend ausblickt, wenn ein Mann von Tugend und Verdienſt erſcheint. Die müden Seefahrer ſahen eine Küſte vor ſich liegen, rafften ihre Kräfte zuſammen, und ſteuerten dem Lande entgegen. Es war Afrika's Geſtade. Bald nahm ſie ein ſicherer Port auf. Auf der einen Seite ſonnige Wälder auf ſanften Hügeln, auf der andern ein Gehölz voll ſchwarzer Schatten an ſteiler Höhe, im Hintergrunde der Bucht eine Felſengrotte mit Quellen und Moosbän¬ ken. Dorthin fuhr mit ſeinen ſieben Schiffen, dieß war der ganze Ueberreſt der Flotte, der Held Aeneas. Die Trojaner ſtiegen aus und lagerten ſich in ihren triefen¬ den Gewanden dem Ufer entlang. Der Held Achates ſchlug an einem Kieſel Feuer, fing de Gluth in trockenen Blättern auf, nährte ſie mit dürrem Reiſig, und fachte ſie durch Schwingen zur Flamme an Dann wurde das Bäckergeräthe und das vom Waſſer halb verdorbene

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/336
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/336>, abgerufen am 23.11.2024.