"Ich brauche deine Begleiter nicht, Eurymachus," ant¬ wortete Theoklymenus entrüstet, indem er aufstand. "Au¬ gen, Ohren und Füße gesund, ist bei mir der Verstand noch auf dem rechten Platz; ich gehe von selbst, denn der Geist weissagt mir das Unheil, das euch naht, und dem keiner von euch entflieht." So sprach er und verließ eilig den Palast, ging zu Piräus, seinem vorigen Gastfreund, und fand bei diesem die freundlichste Auf¬ nahme.
Die Freier aber fuhren fort, den Telemach zu verhöhnen. "Schlechtere Gäste, als du, Telemach," sprach einer von ihnen, "hat doch kein Mensch in der Welt beherbergt: einen ausgehungerten Bettler, und einen Narren, der wahrsagt! Wahrhaftig, du solltest mit ihnen durch Griechenland reisen, und sie für Geld auf den Märkten sehen lassen!" Telemach schwieg und schickte seinem Vater einen Blick zu, denn er erwartete nur das Zeichen, um loszubrechen.
Der Wettkampf mit dem Bogen.
Jetzt war auch Penelope's Zeit gekommen. Sie nahm einen schönen Schlüssel aus Erz mit elfenbeinernen Griffe zur Hand, eilte damit, von Dienerinnen be¬ gleitet, in eine ferne Hinterkammer, wo allerlei kost¬ bare Geräthe des Königs Odysseus aus Erz, Gold und Eisen aufbewahrt waren. Unter andern lag hier auch sein Bogen, und der Köcher voller Pfeile, beides
„Ich brauche deine Begleiter nicht, Eurymachus,“ ant¬ wortete Theoklymenus entrüſtet, indem er aufſtand. „Au¬ gen, Ohren und Füße geſund, iſt bei mir der Verſtand noch auf dem rechten Platz; ich gehe von ſelbſt, denn der Geiſt weiſſagt mir das Unheil, das euch naht, und dem keiner von euch entflieht.“ So ſprach er und verließ eilig den Palaſt, ging zu Piräus, ſeinem vorigen Gaſtfreund, und fand bei dieſem die freundlichſte Auf¬ nahme.
Die Freier aber fuhren fort, den Telemach zu verhöhnen. „Schlechtere Gäſte, als du, Telemach,“ ſprach einer von ihnen, „hat doch kein Menſch in der Welt beherbergt: einen ausgehungerten Bettler, und einen Narren, der wahrſagt! Wahrhaftig, du ſollteſt mit ihnen durch Griechenland reiſen, und ſie für Geld auf den Märkten ſehen laſſen!“ Telemach ſchwieg und ſchickte ſeinem Vater einen Blick zu, denn er erwartete nur das Zeichen, um loszubrechen.
Der Wettkampf mit dem Bogen.
Jetzt war auch Penelope's Zeit gekommen. Sie nahm einen ſchönen Schlüſſel aus Erz mit elfenbeinernen Griffe zur Hand, eilte damit, von Dienerinnen be¬ gleitet, in eine ferne Hinterkammer, wo allerlei koſt¬ bare Geräthe des Königs Odyſſeus aus Erz, Gold und Eiſen aufbewahrt waren. Unter andern lag hier auch ſein Bogen, und der Köcher voller Pfeile, beides
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„Ich brauche deine Begleiter nicht, Eurymachus,“ ant¬
wortete Theoklymenus entrüſtet, indem er aufſtand. „Au¬
gen, Ohren und Füße geſund, iſt bei mir der
Verſtand noch auf dem rechten Platz; ich gehe von ſelbſt,
denn der Geiſt weiſſagt mir das Unheil, das euch naht,
und dem keiner von euch entflieht.“ So ſprach er und
verließ eilig den Palaſt, ging zu Piräus, ſeinem vorigen
Gaſtfreund, und fand bei dieſem die freundlichſte Auf¬
nahme.
Die Freier aber fuhren fort, den Telemach zu
verhöhnen. „Schlechtere Gäſte, als du, Telemach,“
ſprach einer von ihnen, „hat doch kein Menſch in der
Welt beherbergt: einen ausgehungerten Bettler, und
einen Narren, der wahrſagt! Wahrhaftig, du ſollteſt
mit ihnen durch Griechenland reiſen, und ſie für Geld
auf den Märkten ſehen laſſen!“ Telemach ſchwieg und
ſchickte ſeinem Vater einen Blick zu, denn er erwartete
nur das Zeichen, um loszubrechen.
Der Wettkampf mit dem Bogen.
Jetzt war auch Penelope's Zeit gekommen. Sie
nahm einen ſchönen Schlüſſel aus Erz mit elfenbeinernen
Griffe zur Hand, eilte damit, von Dienerinnen be¬
gleitet, in eine ferne Hinterkammer, wo allerlei koſt¬
bare Geräthe des Königs Odyſſeus aus Erz, Gold und
Eiſen aufbewahrt waren. Unter andern lag hier auch
ſein Bogen, und der Köcher voller Pfeile, beides
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/272>, abgerufen am 22.11.2024.
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