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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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meinem guten Rathe nicht fehlen, daß er ganz unversehrt
das Ufer seines Heimathlandes erreiche."

Hermes (Merkur) war mit dieser Antwort wohl
zufrieden und enteilte wieder zum Olymp. Kalypso ging
selbst an den Meeresstrand, wo der trauernde Odysseus
saß, trat nahe zu ihm hinan und sprach: "Armer Freund,
dein Leben darf dir nicht fürder in Schwermuth dahin¬
schwinden. Ich entlasse dich. Auf, mächtige Balken
gehauen, mit Erz zum Floß gefügt, und mit hohen
Brettern umsäumt! Allerlei Labsal, Wasser, Wein und
Speise lege ich dir selbst hinein, versehe dich mit Ge¬
wanden, sende günstigen Wind vom Lande; mögen dich
die Götter glücklich in die Heimath geleiten!"

Mißtrauisch blickte Odysseus die Göttin an und
sprach: "Gewiß, du sinnest auf etwas ganz anderes,
schöne Nymphe! Nimmermehr besteige ich einen Floß,
wenn du mir nicht den großen Göttereid schwörest, daß
du mir nicht irgend ein Uebel zum Schaden ausgedacht
hast!" Aber Kalypso lächelte, und, sanft mit der Hand
ihn streichelnd, antwortete sie: "Aengstige dich nicht mit
solchen eiteln Gedanken! Die Erde, der Himmel und
der Styx seyen meine Zeugen, daß ich nichts Böses mit
dir vorhabe! Ich rathe dir das, was ich mir selbst
in der Noth ausdenken würde!" Mit diesen Worten
ging sie voran, Odysseus folgte, und in der Grotte nahm
sie noch den zärtlichsten Abschied von ihm.

Bald war der Floß gezimmert, und am fünften
Tage schwoll das Segel des Odysseus im Winde. Er
selbst saß am Ruder und steuerte kunsterfahren durch die
Fluth. Kein Schlaf kam ihm über die Augen, beständig
blickte er nach den Himmelsgestirnen und richtete sich nach

Schwab, das klass. Alterthum III. 7

meinem guten Rathe nicht fehlen, daß er ganz unverſehrt
das Ufer ſeines Heimathlandes erreiche.“

Hermes (Merkur) war mit dieſer Antwort wohl
zufrieden und enteilte wieder zum Olymp. Kalypſo ging
ſelbſt an den Meeresſtrand, wo der trauernde Odyſſeus
ſaß, trat nahe zu ihm hinan und ſprach: „Armer Freund,
dein Leben darf dir nicht fürder in Schwermuth dahin¬
ſchwinden. Ich entlaſſe dich. Auf, mächtige Balken
gehauen, mit Erz zum Floß gefügt, und mit hohen
Brettern umſäumt! Allerlei Labſal, Waſſer, Wein und
Speiſe lege ich dir ſelbſt hinein, verſehe dich mit Ge¬
wanden, ſende günſtigen Wind vom Lande; mögen dich
die Götter glücklich in die Heimath geleiten!“

Mißtrauiſch blickte Odyſſeus die Göttin an und
ſprach: „Gewiß, du ſinneſt auf etwas ganz anderes,
ſchöne Nymphe! Nimmermehr beſteige ich einen Floß,
wenn du mir nicht den großen Göttereid ſchwöreſt, daß
du mir nicht irgend ein Uebel zum Schaden ausgedacht
haſt!“ Aber Kalypſo lächelte, und, ſanft mit der Hand
ihn ſtreichelnd, antwortete ſie: „Aengſtige dich nicht mit
ſolchen eiteln Gedanken! Die Erde, der Himmel und
der Styx ſeyen meine Zeugen, daß ich nichts Böſes mit
dir vorhabe! Ich rathe dir das, was ich mir ſelbſt
in der Noth ausdenken würde!“ Mit dieſen Worten
ging ſie voran, Odyſſeus folgte, und in der Grotte nahm
ſie noch den zärtlichſten Abſchied von ihm.

Bald war der Floß gezimmert, und am fünften
Tage ſchwoll das Segel des Odyſſeus im Winde. Er
ſelbſt ſaß am Ruder und ſteuerte kunſterfahren durch die
Fluth. Kein Schlaf kam ihm über die Augen, beſtändig
blickte er nach den Himmelsgeſtirnen und richtete ſich nach

Schwab, das klaſſ. Alterthum III. 7
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[97/0119] meinem guten Rathe nicht fehlen, daß er ganz unverſehrt das Ufer ſeines Heimathlandes erreiche.“ Hermes (Merkur) war mit dieſer Antwort wohl zufrieden und enteilte wieder zum Olymp. Kalypſo ging ſelbſt an den Meeresſtrand, wo der trauernde Odyſſeus ſaß, trat nahe zu ihm hinan und ſprach: „Armer Freund, dein Leben darf dir nicht fürder in Schwermuth dahin¬ ſchwinden. Ich entlaſſe dich. Auf, mächtige Balken gehauen, mit Erz zum Floß gefügt, und mit hohen Brettern umſäumt! Allerlei Labſal, Waſſer, Wein und Speiſe lege ich dir ſelbſt hinein, verſehe dich mit Ge¬ wanden, ſende günſtigen Wind vom Lande; mögen dich die Götter glücklich in die Heimath geleiten!“ Mißtrauiſch blickte Odyſſeus die Göttin an und ſprach: „Gewiß, du ſinneſt auf etwas ganz anderes, ſchöne Nymphe! Nimmermehr beſteige ich einen Floß, wenn du mir nicht den großen Göttereid ſchwöreſt, daß du mir nicht irgend ein Uebel zum Schaden ausgedacht haſt!“ Aber Kalypſo lächelte, und, ſanft mit der Hand ihn ſtreichelnd, antwortete ſie: „Aengſtige dich nicht mit ſolchen eiteln Gedanken! Die Erde, der Himmel und der Styx ſeyen meine Zeugen, daß ich nichts Böſes mit dir vorhabe! Ich rathe dir das, was ich mir ſelbſt in der Noth ausdenken würde!“ Mit dieſen Worten ging ſie voran, Odyſſeus folgte, und in der Grotte nahm ſie noch den zärtlichſten Abſchied von ihm. Bald war der Floß gezimmert, und am fünften Tage ſchwoll das Segel des Odyſſeus im Winde. Er ſelbſt ſaß am Ruder und ſteuerte kunſterfahren durch die Fluth. Kein Schlaf kam ihm über die Augen, beſtändig blickte er nach den Himmelsgeſtirnen und richtete ſich nach Schwab, das klaſſ. Alterthum III. 7

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/119>, abgerufen am 26.11.2024.