Während dieß in Pylos und in Sparta vorging, freuten sich auf der Insel Ithaka die Freier von Tag zu Tag im Palaste des Odysseus, wie zuvor, und er¬ götzten sich mit Scheibenschießen, Speerwürfen und an¬ deren Spielen. Einst, als nur Antinous und Eurymachus, die vornehmsten und schmucksten unter ihnen, seitwärts vom Spiele saßen, trat zu diesen Noemon, der Sohn des Phronios, und sprach zu ihnen: "Können wir etwa vermuthen, ihr Freier, wann Telemachus von Pylos zurückkehrt? das Schiff, auf dem er fährt, habe ich ihm geliehen, und jetzt brauche ich es selbst, um damit nach Elis zu segeln, wo ich mir aus meinem Stutengarten gern ein Roß holte, um es zu zähmen und zuzurichten."
Die beiden anderen staunten. Sie hatten gar nichts von der Abfahrt des Jünglings gewußt, sondern gemeint, er habe sich auf seine Besitzungen im Lande, auf seine Ziegenweiden, und zu seinen Schweineheerden begeben. Sie meinten er habe Noemons Schiff mit Gewalt ge¬ nommen und fuhren zornig auf. Dieser aber besänftigte sie und sprach:
"Ich selbst habe es ihm willig gegeben. Wer hätte auch einem bekümmerten Mann es versagen können? das wäre gar zu hart gewesen! Zudem folgten ihm die edel¬ sten Jünglinge, und als Führer trat Mentor mit ihm ins Schiff -- oder war es vielleicht ein Gott, der dessen Gestalt angenommen; denn ich meine den Helden noch am gestrigen Morgen hier gesehen zu haben!" So sprach
Verſchwörung der Freier.
Während dieß in Pylos und in Sparta vorging, freuten ſich auf der Inſel Ithaka die Freier von Tag zu Tag im Palaſte des Odyſſeus, wie zuvor, und er¬ götzten ſich mit Scheibenſchießen, Speerwürfen und an¬ deren Spielen. Einſt, als nur Antinous und Eurymachus, die vornehmſten und ſchmuckſten unter ihnen, ſeitwärts vom Spiele ſaßen, trat zu dieſen Noëmon, der Sohn des Phronios, und ſprach zu ihnen: „Können wir etwa vermuthen, ihr Freier, wann Telemachus von Pylos zurückkehrt? das Schiff, auf dem er fährt, habe ich ihm geliehen, und jetzt brauche ich es ſelbſt, um damit nach Elis zu ſegeln, wo ich mir aus meinem Stutengarten gern ein Roß holte, um es zu zähmen und zuzurichten.“
Die beiden anderen ſtaunten. Sie hatten gar nichts von der Abfahrt des Jünglings gewußt, ſondern gemeint, er habe ſich auf ſeine Beſitzungen im Lande, auf ſeine Ziegenweiden, und zu ſeinen Schweineheerden begeben. Sie meinten er habe Noëmons Schiff mit Gewalt ge¬ nommen und fuhren zornig auf. Dieſer aber beſänftigte ſie und ſprach:
„Ich ſelbſt habe es ihm willig gegeben. Wer hätte auch einem bekümmerten Mann es verſagen können? das wäre gar zu hart geweſen! Zudem folgten ihm die edel¬ ſten Jünglinge, und als Führer trat Mentor mit ihm ins Schiff — oder war es vielleicht ein Gott, der deſſen Geſtalt angenommen; denn ich meine den Helden noch am geſtrigen Morgen hier geſehen zu haben!“ So ſprach
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Verſchwörung der Freier.
Während dieß in Pylos und in Sparta vorging,
freuten ſich auf der Inſel Ithaka die Freier von Tag
zu Tag im Palaſte des Odyſſeus, wie zuvor, und er¬
götzten ſich mit Scheibenſchießen, Speerwürfen und an¬
deren Spielen. Einſt, als nur Antinous und Eurymachus,
die vornehmſten und ſchmuckſten unter ihnen, ſeitwärts
vom Spiele ſaßen, trat zu dieſen Noëmon, der Sohn
des Phronios, und ſprach zu ihnen: „Können wir etwa
vermuthen, ihr Freier, wann Telemachus von Pylos
zurückkehrt? das Schiff, auf dem er fährt, habe ich ihm
geliehen, und jetzt brauche ich es ſelbſt, um damit nach
Elis zu ſegeln, wo ich mir aus meinem Stutengarten
gern ein Roß holte, um es zu zähmen und zuzurichten.“
Die beiden anderen ſtaunten. Sie hatten gar nichts
von der Abfahrt des Jünglings gewußt, ſondern gemeint,
er habe ſich auf ſeine Beſitzungen im Lande, auf ſeine
Ziegenweiden, und zu ſeinen Schweineheerden begeben.
Sie meinten er habe Noëmons Schiff mit Gewalt ge¬
nommen und fuhren zornig auf. Dieſer aber beſänftigte
ſie und ſprach:
„Ich ſelbſt habe es ihm willig gegeben. Wer hätte
auch einem bekümmerten Mann es verſagen können? das
wäre gar zu hart geweſen! Zudem folgten ihm die edel¬
ſten Jünglinge, und als Führer trat Mentor mit ihm
ins Schiff — oder war es vielleicht ein Gott, der deſſen
Geſtalt angenommen; denn ich meine den Helden noch
am geſtrigen Morgen hier geſehen zu haben!“ So ſprach
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/114>, abgerufen am 23.11.2024.
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