verdienen es die Menschen doch nicht anders! Wer in diesem Kreise gedenkt jetzt noch des freundlichen väter¬ lichen Herrschers Odysseus? Prassen doch diese Freier ungestraft von seinem Gute! Und nicht ihnen verdenke ich es, die da im Wahne handeln, als kehre Odysseus nicht wieder! Aber dem andern Volke verarg' ichs, das stumm dasitzt und zuschauen mag, und auch nicht mit einem Wörtchen es versucht, die frevelnden Freier im Zaum zu halten, so überlegen es ihnen an Zahl ist!"
Aber Leokritus, einer der frechsten Freier, spottete des Scheltenden und sprach: "Laß immerhin den Odys¬ seus kommen, du alter Schadenfroh; wir wollen sehen, ob er mit uns fertig wird, wenn er uns bei'm Mahle überrascht! Und glaubet mir nur, Penelope selbst, so sehr sie nach ihm zu schmachten scheint, würde seiner Ankunft sich am wenigsten freuen. Mög' ihn das böse Verhängniß vertilgen! Nun, laßt uns scheiden, ihr Männer! Mögen Mentor und der alte Vogelschauer Halitherses die Reise des Knaben Telemachus beschleu¬ nigen. Aber, was wollen wir wetten, er sitzt noch nach Wochen hier unter uns, und erspäht sich hier in Ithaka selbst die Botschaft nach seinem Vater. Nimmermehr vollendet er die Reise!"
Lärmend trennten sich die Freier und die ganze Volksversammlung that, ohne einen Beschluß gefaßt zu haben, das Gleiche. Jeder ging in seine Wohnung, und die Freier lagerten sich wieder im Palaste des Odysseus.
verdienen es die Menſchen doch nicht anders! Wer in dieſem Kreiſe gedenkt jetzt noch des freundlichen väter¬ lichen Herrſchers Odyſſeus? Praſſen doch dieſe Freier ungeſtraft von ſeinem Gute! Und nicht ihnen verdenke ich es, die da im Wahne handeln, als kehre Odyſſeus nicht wieder! Aber dem andern Volke verarg' ichs, das ſtumm daſitzt und zuſchauen mag, und auch nicht mit einem Wörtchen es verſucht, die frevelnden Freier im Zaum zu halten, ſo überlegen es ihnen an Zahl iſt!“
Aber Leokritus, einer der frechſten Freier, ſpottete des Scheltenden und ſprach: „Laß immerhin den Odyſ¬ ſeus kommen, du alter Schadenfroh; wir wollen ſehen, ob er mit uns fertig wird, wenn er uns bei'm Mahle überraſcht! Und glaubet mir nur, Penelope ſelbſt, ſo ſehr ſie nach ihm zu ſchmachten ſcheint, würde ſeiner Ankunft ſich am wenigſten freuen. Mög' ihn das böſe Verhängniß vertilgen! Nun, laßt uns ſcheiden, ihr Männer! Mögen Mentor und der alte Vogelſchauer Halitherſes die Reiſe des Knaben Telemachus beſchleu¬ nigen. Aber, was wollen wir wetten, er ſitzt noch nach Wochen hier unter uns, und erſpäht ſich hier in Ithaka ſelbſt die Botſchaft nach ſeinem Vater. Nimmermehr vollendet er die Reiſe!“
Lärmend trennten ſich die Freier und die ganze Volksverſammlung that, ohne einen Beſchluß gefaßt zu haben, das Gleiche. Jeder ging in ſeine Wohnung, und die Freier lagerten ſich wieder im Palaſte des Odyſſeus.
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verdienen es die Menſchen doch nicht anders! Wer in
dieſem Kreiſe gedenkt jetzt noch des freundlichen väter¬
lichen Herrſchers Odyſſeus? Praſſen doch dieſe Freier
ungeſtraft von ſeinem Gute! Und nicht ihnen verdenke
ich es, die da im Wahne handeln, als kehre Odyſſeus
nicht wieder! Aber dem andern Volke verarg' ichs, das
ſtumm daſitzt und zuſchauen mag, und auch nicht mit
einem Wörtchen es verſucht, die frevelnden Freier im
Zaum zu halten, ſo überlegen es ihnen an Zahl iſt!“
Aber Leokritus, einer der frechſten Freier, ſpottete
des Scheltenden und ſprach: „Laß immerhin den Odyſ¬
ſeus kommen, du alter Schadenfroh; wir wollen ſehen,
ob er mit uns fertig wird, wenn er uns bei'm Mahle
überraſcht! Und glaubet mir nur, Penelope ſelbſt, ſo
ſehr ſie nach ihm zu ſchmachten ſcheint, würde ſeiner
Ankunft ſich am wenigſten freuen. Mög' ihn das böſe
Verhängniß vertilgen! Nun, laßt uns ſcheiden, ihr
Männer! Mögen Mentor und der alte Vogelſchauer
Halitherſes die Reiſe des Knaben Telemachus beſchleu¬
nigen. Aber, was wollen wir wetten, er ſitzt noch nach
Wochen hier unter uns, und erſpäht ſich hier in Ithaka
ſelbſt die Botſchaft nach ſeinem Vater. Nimmermehr
vollendet er die Reiſe!“
Lärmend trennten ſich die Freier und die ganze
Volksverſammlung that, ohne einen Beſchluß gefaßt zu
haben, das Gleiche. Jeder ging in ſeine Wohnung,
und die Freier lagerten ſich wieder im Palaſte des
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/101>, abgerufen am 24.11.2024.
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