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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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dort meinen Knaben Eurypylus; wie sollte ich ihm das
Herzeleid anthun, und das Reich seines Großvaters zer¬
stören helfen! Wie ich aber dem Priamus nichts zu Leide
thun will, so werde ich auch euch, meine Landsleute, auf
keinerlei Weise schädigen. Nehmet Gastgeschenke von mir,
und fasset Mundvorrath, so viel euch nöthig ist. Dann
gehet hin und fechtet in der Götter Namen euren Handel
aus, den ich nicht schlichten kann."

Mit dieser gütigen Antwort kamen die drei Fürsten
vergnügt in das Lager der Argiver zurück und meldeten
dem Agamemnon und den andern Fürsten, wie sie Freund¬
schaft im Namen der Griechen mit Telephus geschlossen.
Der Kriegsrath der Helden beschloß, den Ajax und Achil¬
les sofort an den König zu senden, daß sie das Bündniß
mit ihm bestätigten und ihn wegen seiner Wunde trösteten.
Diese fanden den Herakliden schwer an der Wunde dar¬
niederliegen und Achilles warf sich weinend über sein
Lager und bejammerte es, daß sein Speer unwissentlich
einen Landsmann und edlen Sohn des Herkules getroffen.
Der König aber vergaß seine Schmerzen und bedauerte
nur, von der Ankunft so herrlicher Gäste nicht unterrichtet
gewesen zu seyn, um ihnen einen königlichen Empfang zu
bereiten. Hierauf lud er die Atriden feierlich in seine
Hofburg ein und empfing sie mit festlicher Pracht und
köstlichen Geschenken. Diese brachten auf die Bitte des
Achilles die beiden weltberühmten Aerzte Podalirius und
Machaon mit, die Wunde des Königes zu untersuchen und
zu heilen. Das letztere gelang ihnen zwar nicht, denn
der Speer des Göttersohnes hatte seine eigene Kraft und
die Wunden, die er schlug, widerstanden der Heilung; doch
befreiten die Linderungsmittel, die sie auflegten, den König

dort meinen Knaben Eurypylus; wie ſollte ich ihm das
Herzeleid anthun, und das Reich ſeines Großvaters zer¬
ſtören helfen! Wie ich aber dem Priamus nichts zu Leide
thun will, ſo werde ich auch euch, meine Landsleute, auf
keinerlei Weiſe ſchädigen. Nehmet Gaſtgeſchenke von mir,
und faſſet Mundvorrath, ſo viel euch nöthig iſt. Dann
gehet hin und fechtet in der Götter Namen euren Handel
aus, den ich nicht ſchlichten kann.“

Mit dieſer gütigen Antwort kamen die drei Fürſten
vergnügt in das Lager der Argiver zurück und meldeten
dem Agamemnon und den andern Fürſten, wie ſie Freund¬
ſchaft im Namen der Griechen mit Telephus geſchloſſen.
Der Kriegsrath der Helden beſchloß, den Ajax und Achil¬
les ſofort an den König zu ſenden, daß ſie das Bündniß
mit ihm beſtätigten und ihn wegen ſeiner Wunde tröſteten.
Dieſe fanden den Herakliden ſchwer an der Wunde dar¬
niederliegen und Achilles warf ſich weinend über ſein
Lager und bejammerte es, daß ſein Speer unwiſſentlich
einen Landsmann und edlen Sohn des Herkules getroffen.
Der König aber vergaß ſeine Schmerzen und bedauerte
nur, von der Ankunft ſo herrlicher Gäſte nicht unterrichtet
geweſen zu ſeyn, um ihnen einen königlichen Empfang zu
bereiten. Hierauf lud er die Atriden feierlich in ſeine
Hofburg ein und empfing ſie mit feſtlicher Pracht und
köſtlichen Geſchenken. Dieſe brachten auf die Bitte des
Achilles die beiden weltberühmten Aerzte Podalirius und
Machaon mit, die Wunde des Königes zu unterſuchen und
zu heilen. Das letztere gelang ihnen zwar nicht, denn
der Speer des Götterſohnes hatte ſeine eigene Kraft und
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[52/0074] dort meinen Knaben Eurypylus; wie ſollte ich ihm das Herzeleid anthun, und das Reich ſeines Großvaters zer¬ ſtören helfen! Wie ich aber dem Priamus nichts zu Leide thun will, ſo werde ich auch euch, meine Landsleute, auf keinerlei Weiſe ſchädigen. Nehmet Gaſtgeſchenke von mir, und faſſet Mundvorrath, ſo viel euch nöthig iſt. Dann gehet hin und fechtet in der Götter Namen euren Handel aus, den ich nicht ſchlichten kann.“ Mit dieſer gütigen Antwort kamen die drei Fürſten vergnügt in das Lager der Argiver zurück und meldeten dem Agamemnon und den andern Fürſten, wie ſie Freund¬ ſchaft im Namen der Griechen mit Telephus geſchloſſen. Der Kriegsrath der Helden beſchloß, den Ajax und Achil¬ les ſofort an den König zu ſenden, daß ſie das Bündniß mit ihm beſtätigten und ihn wegen ſeiner Wunde tröſteten. Dieſe fanden den Herakliden ſchwer an der Wunde dar¬ niederliegen und Achilles warf ſich weinend über ſein Lager und bejammerte es, daß ſein Speer unwiſſentlich einen Landsmann und edlen Sohn des Herkules getroffen. Der König aber vergaß ſeine Schmerzen und bedauerte nur, von der Ankunft ſo herrlicher Gäſte nicht unterrichtet geweſen zu ſeyn, um ihnen einen königlichen Empfang zu bereiten. Hierauf lud er die Atriden feierlich in ſeine Hofburg ein und empfing ſie mit feſtlicher Pracht und köſtlichen Geſchenken. Dieſe brachten auf die Bitte des Achilles die beiden weltberühmten Aerzte Podalirius und Machaon mit, die Wunde des Königes zu unterſuchen und zu heilen. Das letztere gelang ihnen zwar nicht, denn der Speer des Götterſohnes hatte ſeine eigene Kraft und die Wunden, die er ſchlug, widerſtanden der Heilung; doch befreiten die Linderungsmittel, die ſie auflegten, den König

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/74>, abgerufen am 29.03.2024.