Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

bauten an einem unermeßlichen Holzstoße, und als er fer¬
tig war, legten sie alle Leichen der Ihrigen mit einander
darauf und zündeten den Scheiterhaufen unter Thränen
und Wehklagen an. Die Danaer hatten indessen bald das
Grabmal des Achilles und die trojanische Küste im Rücken.
Obwohl sie aber immer fröhlicheren Muthes wurden,
mischte sich doch auch die Wehmuth in ihre Freude, wenn
sie an die vielen gefallenen Freunde dachten. Eine Küste
und eine Insel um die andere flog an ihrem Blicke vorüber:
Tenedos, Chrysa, das Orakel des Phöbus, die heilige
Cilla, Lesbos die Insel, das Vorgebirge Lektos, endlich
der äußerste Vorsprung des Vorgebirges. Die Winde
sausten in die Segel, die Fluth rauschte, schwarz rollten
die Wellen daher und weiß dehnte sich über das Meer
hin ihr schäumender Pfad, wenn sie an den Schiffen sich
gebrochen hatten.

Die Sieger hätten auch wirklich die Küste Griechenlands
glücklich erreicht, wenn nicht Pallas Athene über der Unthat
des Lokrers Ajax ihnen gegrollt hätte. Als sie nun an die
stürmische Küste von Euböa gelangt waren, sann die Göttin
darauf, dem Sohne des Oileus ein trauriges, unbarm¬
herziges Loos zu bereiten. Sie hatte dem Göttervater im
Olymp den Frevel geklagt, den er in ihrem eigenen Tem¬
pel an ihrer Priesterin Cassandra begangen hatte, und
begehrte Rache an dem Verbrecher zu nehmen. Und Ju¬
piter, der Verwalter der Gerechtigkeit auf Erden, setzte
sich ihren Wünschen nicht entgegen; er legte vielmehr neben
die Jungfrau die frischesten Donnerkeile der Cyklopen, die
eben aus der Esse gekommen waren, und erlaubte seiner
Tochter, den Griechen einen verderblichen Sturm zu erregen.
Alsbald waffnete sich Minerva, legte den schimmernden

Schwab, das klass. Alterthum. II. 28

bauten an einem unermeßlichen Holzſtoße, und als er fer¬
tig war, legten ſie alle Leichen der Ihrigen mit einander
darauf und zündeten den Scheiterhaufen unter Thränen
und Wehklagen an. Die Danaer hatten indeſſen bald das
Grabmal des Achilles und die trojaniſche Küſte im Rücken.
Obwohl ſie aber immer fröhlicheren Muthes wurden,
miſchte ſich doch auch die Wehmuth in ihre Freude, wenn
ſie an die vielen gefallenen Freunde dachten. Eine Küſte
und eine Inſel um die andere flog an ihrem Blicke vorüber:
Tenedos, Chryſa, das Orakel des Phöbus, die heilige
Cilla, Lesbos die Inſel, das Vorgebirge Lektos, endlich
der äußerſte Vorſprung des Vorgebirges. Die Winde
ſauſten in die Segel, die Fluth rauſchte, ſchwarz rollten
die Wellen daher und weiß dehnte ſich über das Meer
hin ihr ſchäumender Pfad, wenn ſie an den Schiffen ſich
gebrochen hatten.

Die Sieger hätten auch wirklich die Küſte Griechenlands
glücklich erreicht, wenn nicht Pallas Athene über der Unthat
des Lokrers Ajax ihnen gegrollt hätte. Als ſie nun an die
ſtürmiſche Küſte von Euböa gelangt waren, ſann die Göttin
darauf, dem Sohne des Oïleus ein trauriges, unbarm¬
herziges Loos zu bereiten. Sie hatte dem Göttervater im
Olymp den Frevel geklagt, den er in ihrem eigenen Tem¬
pel an ihrer Prieſterin Caſſandra begangen hatte, und
begehrte Rache an dem Verbrecher zu nehmen. Und Ju¬
piter, der Verwalter der Gerechtigkeit auf Erden, ſetzte
ſich ihren Wünſchen nicht entgegen; er legte vielmehr neben
die Jungfrau die friſcheſten Donnerkeile der Cyklopen, die
eben aus der Eſſe gekommen waren, und erlaubte ſeiner
Tochter, den Griechen einen verderblichen Sturm zu erregen.
Alsbald waffnete ſich Minerva, legte den ſchimmernden

Schwab, das klaſſ. Alterthum. II. 28
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0455" n="433"/>
bauten an einem unermeßlichen Holz&#x017F;toße, und als er fer¬<lb/>
tig war, legten &#x017F;ie alle Leichen der Ihrigen mit einander<lb/>
darauf und zündeten den Scheiterhaufen unter Thränen<lb/>
und Wehklagen an. Die Danaer hatten inde&#x017F;&#x017F;en bald das<lb/>
Grabmal des Achilles und die trojani&#x017F;che Kü&#x017F;te im Rücken.<lb/>
Obwohl &#x017F;ie aber immer fröhlicheren Muthes wurden,<lb/>
mi&#x017F;chte &#x017F;ich doch auch die Wehmuth in ihre Freude, wenn<lb/>
&#x017F;ie an die vielen gefallenen Freunde dachten. Eine Kü&#x017F;te<lb/>
und eine In&#x017F;el um die andere flog an ihrem Blicke vorüber:<lb/>
Tenedos, Chry&#x017F;a, das Orakel des Phöbus, die heilige<lb/>
Cilla, Lesbos die In&#x017F;el, das Vorgebirge Lektos, endlich<lb/>
der äußer&#x017F;te Vor&#x017F;prung des Vorgebirges. Die Winde<lb/>
&#x017F;au&#x017F;ten in die Segel, die Fluth rau&#x017F;chte, &#x017F;chwarz rollten<lb/>
die Wellen daher und weiß dehnte &#x017F;ich über das Meer<lb/>
hin ihr &#x017F;chäumender Pfad, wenn &#x017F;ie an den Schiffen &#x017F;ich<lb/>
gebrochen hatten.</p><lb/>
          <p>Die Sieger hätten auch wirklich die Kü&#x017F;te Griechenlands<lb/>
glücklich erreicht, wenn nicht Pallas Athene über der Unthat<lb/>
des Lokrers Ajax ihnen gegrollt hätte. Als &#x017F;ie nun an die<lb/>
&#x017F;türmi&#x017F;che Kü&#x017F;te von Euböa gelangt waren, &#x017F;ann die Göttin<lb/>
darauf, dem Sohne des O<hi rendition="#aq">ï</hi>leus ein trauriges, unbarm¬<lb/>
herziges Loos zu bereiten. Sie hatte dem Göttervater im<lb/>
Olymp den Frevel geklagt, den er in ihrem eigenen Tem¬<lb/>
pel an ihrer Prie&#x017F;terin Ca&#x017F;&#x017F;andra begangen hatte, und<lb/>
begehrte Rache an dem Verbrecher zu nehmen. Und Ju¬<lb/>
piter, der Verwalter der Gerechtigkeit auf Erden, &#x017F;etzte<lb/>
&#x017F;ich ihren Wün&#x017F;chen nicht entgegen; er legte vielmehr neben<lb/>
die Jungfrau die fri&#x017F;che&#x017F;ten Donnerkeile der Cyklopen, die<lb/>
eben aus der E&#x017F;&#x017F;e gekommen waren, und erlaubte &#x017F;einer<lb/>
Tochter, den Griechen einen verderblichen Sturm zu erregen.<lb/>
Alsbald waffnete &#x017F;ich Minerva, legte den &#x017F;chimmernden<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Schwab</hi>, das kla&#x017F;&#x017F;. Alterthum. <hi rendition="#aq">II</hi>. 28<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[433/0455] bauten an einem unermeßlichen Holzſtoße, und als er fer¬ tig war, legten ſie alle Leichen der Ihrigen mit einander darauf und zündeten den Scheiterhaufen unter Thränen und Wehklagen an. Die Danaer hatten indeſſen bald das Grabmal des Achilles und die trojaniſche Küſte im Rücken. Obwohl ſie aber immer fröhlicheren Muthes wurden, miſchte ſich doch auch die Wehmuth in ihre Freude, wenn ſie an die vielen gefallenen Freunde dachten. Eine Küſte und eine Inſel um die andere flog an ihrem Blicke vorüber: Tenedos, Chryſa, das Orakel des Phöbus, die heilige Cilla, Lesbos die Inſel, das Vorgebirge Lektos, endlich der äußerſte Vorſprung des Vorgebirges. Die Winde ſauſten in die Segel, die Fluth rauſchte, ſchwarz rollten die Wellen daher und weiß dehnte ſich über das Meer hin ihr ſchäumender Pfad, wenn ſie an den Schiffen ſich gebrochen hatten. Die Sieger hätten auch wirklich die Küſte Griechenlands glücklich erreicht, wenn nicht Pallas Athene über der Unthat des Lokrers Ajax ihnen gegrollt hätte. Als ſie nun an die ſtürmiſche Küſte von Euböa gelangt waren, ſann die Göttin darauf, dem Sohne des Oïleus ein trauriges, unbarm¬ herziges Loos zu bereiten. Sie hatte dem Göttervater im Olymp den Frevel geklagt, den er in ihrem eigenen Tem¬ pel an ihrer Prieſterin Caſſandra begangen hatte, und begehrte Rache an dem Verbrecher zu nehmen. Und Ju¬ piter, der Verwalter der Gerechtigkeit auf Erden, ſetzte ſich ihren Wünſchen nicht entgegen; er legte vielmehr neben die Jungfrau die friſcheſten Donnerkeile der Cyklopen, die eben aus der Eſſe gekommen waren, und erlaubte ſeiner Tochter, den Griechen einen verderblichen Sturm zu erregen. Alsbald waffnete ſich Minerva, legte den ſchimmernden Schwab, das klaſſ. Alterthum. II. 28

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/455
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/455>, abgerufen am 19.04.2024.