Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

sich, Keiner von dem Anderen getrennt, wie ein dunkles
Wintersturmgewölk den Mauern, der Grund dröhnte unter
ihren Tritten, der Staub wallte über ihren Häuptern, und
unter dem Schilddache tönte vermischtes Gespräch durch¬
einander, wie Bienengesumse in den Körben. Freude
erfüllte das Herz der Atriden, als sie das unerschütter¬
liche Bollwerk einherziehen sahen: sie drängten ihre Krie¬
ger alle den Thoren der Veste entgegen zum Sturm¬
angriff, und rüsteten sich, die Thore aus den Angeln zu
heben, die Thorflügel mit zweischneidigen Beilen zu durch¬
brechen und niederzuwerfen, und bei der neuen Erfindung
des Odysseus schien der Sieg unzweifelhaft zu seyn.

Da stärkten die Götter, die auf Seiten der Trojaner
waren, die Arme des Helden Aeneas, daß er einen unge¬
heuren Stein mit beiden Händen herbeibrachte und voll
Wuth auf das Schilderdach hinunter schleuderte. Dieser
Wurf richtete eine klägliche Niederlage unter den Stür¬
menden an, und sie sanken wie Ziegen des Berges, auf
die ein losgerissener Fels herabrollt, zerschmettert unter
ihren Schilden zu Boden. Aeneas aber stand auf der
Mauer mit strotzenden Gliedern und seine Rüstung fun¬
kelte wie der Blitz; neben ihm stand unsichtbar in einer
dunkeln Wolke der gewaltige Mars, der den Geschossen,
die der Held dem Steine nachsendete, die rechte Richtung
gab, daß Tod und Entsetzen unter die Reihen der Grie¬
chen fuhr. Laut ertönte von den Mauern herab der Ruf
des Aeneas, der die Seinigen anfeuerte, laut von unten
herauf der Ruf des Neoptolemus, der die Myrmidonen
ermahnte, Stand zu halten, und so dauerte hier der Kampf
den ganzen Tag fort ohne Erholung und Rast.

An einer entfernteren Seite der Mauer waren die

ſich, Keiner von dem Anderen getrennt, wie ein dunkles
Winterſturmgewölk den Mauern, der Grund dröhnte unter
ihren Tritten, der Staub wallte über ihren Häuptern, und
unter dem Schilddache tönte vermiſchtes Geſpräch durch¬
einander, wie Bienengeſumſe in den Körben. Freude
erfüllte das Herz der Atriden, als ſie das unerſchütter¬
liche Bollwerk einherziehen ſahen: ſie drängten ihre Krie¬
ger alle den Thoren der Veſte entgegen zum Sturm¬
angriff, und rüſteten ſich, die Thore aus den Angeln zu
heben, die Thorflügel mit zweiſchneidigen Beilen zu durch¬
brechen und niederzuwerfen, und bei der neuen Erfindung
des Odyſſeus ſchien der Sieg unzweifelhaft zu ſeyn.

Da ſtärkten die Götter, die auf Seiten der Trojaner
waren, die Arme des Helden Aeneas, daß er einen unge¬
heuren Stein mit beiden Händen herbeibrachte und voll
Wuth auf das Schilderdach hinunter ſchleuderte. Dieſer
Wurf richtete eine klägliche Niederlage unter den Stür¬
menden an, und ſie ſanken wie Ziegen des Berges, auf
die ein losgeriſſener Fels herabrollt, zerſchmettert unter
ihren Schilden zu Boden. Aeneas aber ſtand auf der
Mauer mit ſtrotzenden Gliedern und ſeine Rüſtung fun¬
kelte wie der Blitz; neben ihm ſtand unſichtbar in einer
dunkeln Wolke der gewaltige Mars, der den Geſchoſſen,
die der Held dem Steine nachſendete, die rechte Richtung
gab, daß Tod und Entſetzen unter die Reihen der Grie¬
chen fuhr. Laut ertönte von den Mauern herab der Ruf
des Aeneas, der die Seinigen anfeuerte, laut von unten
herauf der Ruf des Neoptolemus, der die Myrmidonen
ermahnte, Stand zu halten, und ſo dauerte hier der Kampf
den ganzen Tag fort ohne Erholung und Raſt.

An einer entfernteren Seite der Mauer waren die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0422" n="400"/>
&#x017F;ich, Keiner von dem Anderen getrennt, wie ein dunkles<lb/>
Winter&#x017F;turmgewölk den Mauern, der Grund dröhnte unter<lb/>
ihren Tritten, der Staub wallte über ihren Häuptern, und<lb/>
unter dem Schilddache tönte vermi&#x017F;chtes Ge&#x017F;präch durch¬<lb/>
einander, wie Bienenge&#x017F;um&#x017F;e in den Körben. Freude<lb/>
erfüllte das Herz der Atriden, als &#x017F;ie das uner&#x017F;chütter¬<lb/>
liche Bollwerk einherziehen &#x017F;ahen: &#x017F;ie drängten ihre Krie¬<lb/>
ger alle den Thoren der Ve&#x017F;te entgegen zum Sturm¬<lb/>
angriff, und rü&#x017F;teten &#x017F;ich, die Thore aus den Angeln zu<lb/>
heben, die Thorflügel mit zwei&#x017F;chneidigen Beilen zu durch¬<lb/>
brechen und niederzuwerfen, und bei der neuen Erfindung<lb/>
des Ody&#x017F;&#x017F;eus &#x017F;chien der Sieg unzweifelhaft zu &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>Da &#x017F;tärkten die Götter, die auf Seiten der Trojaner<lb/>
waren, die Arme des Helden Aeneas, daß er einen unge¬<lb/>
heuren Stein mit beiden Händen herbeibrachte und voll<lb/>
Wuth auf das Schilderdach hinunter &#x017F;chleuderte. Die&#x017F;er<lb/>
Wurf richtete eine klägliche Niederlage unter den Stür¬<lb/>
menden an, und &#x017F;ie &#x017F;anken wie Ziegen des Berges, auf<lb/>
die ein losgeri&#x017F;&#x017F;ener Fels herabrollt, zer&#x017F;chmettert unter<lb/>
ihren Schilden zu Boden. Aeneas aber &#x017F;tand auf der<lb/>
Mauer mit &#x017F;trotzenden Gliedern und &#x017F;eine Rü&#x017F;tung fun¬<lb/>
kelte wie der Blitz; neben ihm &#x017F;tand un&#x017F;ichtbar in einer<lb/>
dunkeln Wolke der gewaltige Mars, der den Ge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
die der Held dem Steine nach&#x017F;endete, die rechte Richtung<lb/>
gab, daß Tod und Ent&#x017F;etzen unter die Reihen der Grie¬<lb/>
chen fuhr. Laut ertönte von den Mauern herab der Ruf<lb/>
des Aeneas, der die Seinigen anfeuerte, laut von unten<lb/>
herauf der Ruf des Neoptolemus, der die Myrmidonen<lb/>
ermahnte, Stand zu halten, und &#x017F;o dauerte hier der Kampf<lb/>
den ganzen Tag fort ohne Erholung und Ra&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>An einer entfernteren Seite der Mauer waren die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[400/0422] ſich, Keiner von dem Anderen getrennt, wie ein dunkles Winterſturmgewölk den Mauern, der Grund dröhnte unter ihren Tritten, der Staub wallte über ihren Häuptern, und unter dem Schilddache tönte vermiſchtes Geſpräch durch¬ einander, wie Bienengeſumſe in den Körben. Freude erfüllte das Herz der Atriden, als ſie das unerſchütter¬ liche Bollwerk einherziehen ſahen: ſie drängten ihre Krie¬ ger alle den Thoren der Veſte entgegen zum Sturm¬ angriff, und rüſteten ſich, die Thore aus den Angeln zu heben, die Thorflügel mit zweiſchneidigen Beilen zu durch¬ brechen und niederzuwerfen, und bei der neuen Erfindung des Odyſſeus ſchien der Sieg unzweifelhaft zu ſeyn. Da ſtärkten die Götter, die auf Seiten der Trojaner waren, die Arme des Helden Aeneas, daß er einen unge¬ heuren Stein mit beiden Händen herbeibrachte und voll Wuth auf das Schilderdach hinunter ſchleuderte. Dieſer Wurf richtete eine klägliche Niederlage unter den Stür¬ menden an, und ſie ſanken wie Ziegen des Berges, auf die ein losgeriſſener Fels herabrollt, zerſchmettert unter ihren Schilden zu Boden. Aeneas aber ſtand auf der Mauer mit ſtrotzenden Gliedern und ſeine Rüſtung fun¬ kelte wie der Blitz; neben ihm ſtand unſichtbar in einer dunkeln Wolke der gewaltige Mars, der den Geſchoſſen, die der Held dem Steine nachſendete, die rechte Richtung gab, daß Tod und Entſetzen unter die Reihen der Grie¬ chen fuhr. Laut ertönte von den Mauern herab der Ruf des Aeneas, der die Seinigen anfeuerte, laut von unten herauf der Ruf des Neoptolemus, der die Myrmidonen ermahnte, Stand zu halten, und ſo dauerte hier der Kampf den ganzen Tag fort ohne Erholung und Raſt. An einer entfernteren Seite der Mauer waren die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/422
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/422>, abgerufen am 03.05.2024.