zurück, denn die Nacht war eingebrochen, und die Helden kehrteu um vom Streite nach ihren Zelten.
Bei Tagesanbruch begann der Kampf auf's Neue. Lanze mit Lanze, Schwert mit Schwert kreuzte sich, und ein Mann drang auf den andern ein. Lange war das Ge¬ fecht unentschieden, und auf beiden Seiten mordeten und fielen die Helden. Dem Eurypylus ward ein Freund er¬ schlagen; darüber verdoppelte sich seine Wuth, und er warf die Achiver nieder, wie man Bäume in dichten Wal¬ dungen zu Haufen fällt, so daß die Stämme zerrissene Schluchten anfüllen. Endlich aber trat ihm Neoptolemus entgegen, und beide schüttelten ihre mächtigen Lanzen in der Rechten. "Wer bist du, Jüngling, woher bist du ge¬ kommen, mich zu bekämpfen?" rief zuerst Eurypylus sei¬ nem Gegner zu, "fürwahr, dich reißt dein Geschick zur Unterwelt hinab!" Neoptolemus erwiederte: "Warum willst du meine Abstammung wissen, wie ein Freund, da du doch ein Feind bist? So wisse denn, ich bin der Sohn des Achilles, der einst deinen Vater niedergestreckt; die Rosse meines Wagens sind die windschnellen Kinder der Harpyien und des Zephyrus, die selbst über das Meer dahinrennen; die Lanze, vom Scheitel des hohen Berges Pelion stammend, ist die Lanze meines Vaters, die sollst du jetzt erproben!" So sprach der Held, sprang vom Wagen und schüttelte den Speer. Von der andern Seite hob Eurypylus einen gewaltigen Stein vom Boden auf und warf ihn nach dem goldenen Schilde seines Feindes; doch der Schild erzitterte nicht einmal. Wie zwei Raub¬ thiere drangen beide jetzt auf einander ein, und rechts und links von ihnen wogte die Feldschlacht in langen Reihen. Jene aber zerstießen einander die Schilde, und trafen
zurück, denn die Nacht war eingebrochen, und die Helden kehrteu um vom Streite nach ihren Zelten.
Bei Tagesanbruch begann der Kampf auf's Neue. Lanze mit Lanze, Schwert mit Schwert kreuzte ſich, und ein Mann drang auf den andern ein. Lange war das Ge¬ fecht unentſchieden, und auf beiden Seiten mordeten und fielen die Helden. Dem Eurypylus ward ein Freund er¬ ſchlagen; darüber verdoppelte ſich ſeine Wuth, und er warf die Achiver nieder, wie man Bäume in dichten Wal¬ dungen zu Haufen fällt, ſo daß die Stämme zerriſſene Schluchten anfüllen. Endlich aber trat ihm Neoptolemus entgegen, und beide ſchüttelten ihre mächtigen Lanzen in der Rechten. „Wer biſt du, Jüngling, woher biſt du ge¬ kommen, mich zu bekämpfen?“ rief zuerſt Eurypylus ſei¬ nem Gegner zu, „fürwahr, dich reißt dein Geſchick zur Unterwelt hinab!“ Neoptolemus erwiederte: „Warum willſt du meine Abſtammung wiſſen, wie ein Freund, da du doch ein Feind biſt? So wiſſe denn, ich bin der Sohn des Achilles, der einſt deinen Vater niedergeſtreckt; die Roſſe meines Wagens ſind die windſchnellen Kinder der Harpyien und des Zephyrus, die ſelbſt über das Meer dahinrennen; die Lanze, vom Scheitel des hohen Berges Pelion ſtammend, iſt die Lanze meines Vaters, die ſollſt du jetzt erproben!“ So ſprach der Held, ſprang vom Wagen und ſchüttelte den Speer. Von der andern Seite hob Eurypylus einen gewaltigen Stein vom Boden auf und warf ihn nach dem goldenen Schilde ſeines Feindes; doch der Schild erzitterte nicht einmal. Wie zwei Raub¬ thiere drangen beide jetzt auf einander ein, und rechts und links von ihnen wogte die Feldſchlacht in langen Reihen. Jene aber zerſtießen einander die Schilde, und trafen
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zurück, denn die Nacht war eingebrochen, und die Helden
kehrteu um vom Streite nach ihren Zelten.
Bei Tagesanbruch begann der Kampf auf's Neue.
Lanze mit Lanze, Schwert mit Schwert kreuzte ſich, und ein
Mann drang auf den andern ein. Lange war das Ge¬
fecht unentſchieden, und auf beiden Seiten mordeten und
fielen die Helden. Dem Eurypylus ward ein Freund er¬
ſchlagen; darüber verdoppelte ſich ſeine Wuth, und er
warf die Achiver nieder, wie man Bäume in dichten Wal¬
dungen zu Haufen fällt, ſo daß die Stämme zerriſſene
Schluchten anfüllen. Endlich aber trat ihm Neoptolemus
entgegen, und beide ſchüttelten ihre mächtigen Lanzen in
der Rechten. „Wer biſt du, Jüngling, woher biſt du ge¬
kommen, mich zu bekämpfen?“ rief zuerſt Eurypylus ſei¬
nem Gegner zu, „fürwahr, dich reißt dein Geſchick zur
Unterwelt hinab!“ Neoptolemus erwiederte: „Warum
willſt du meine Abſtammung wiſſen, wie ein Freund, da
du doch ein Feind biſt? So wiſſe denn, ich bin der Sohn
des Achilles, der einſt deinen Vater niedergeſtreckt; die
Roſſe meines Wagens ſind die windſchnellen Kinder der
Harpyien und des Zephyrus, die ſelbſt über das Meer
dahinrennen; die Lanze, vom Scheitel des hohen Berges
Pelion ſtammend, iſt die Lanze meines Vaters, die ſollſt
du jetzt erproben!“ So ſprach der Held, ſprang vom
Wagen und ſchüttelte den Speer. Von der andern Seite
hob Eurypylus einen gewaltigen Stein vom Boden auf
und warf ihn nach dem goldenen Schilde ſeines Feindes;
doch der Schild erzitterte nicht einmal. Wie zwei Raub¬
thiere drangen beide jetzt auf einander ein, und rechts und
links von ihnen wogte die Feldſchlacht in langen Reihen.
Jene aber zerſtießen einander die Schilde, und trafen
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/402>, abgerufen am 22.11.2024.
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