Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

zurück, denn die Nacht war eingebrochen, und die Helden
kehrteu um vom Streite nach ihren Zelten.

Bei Tagesanbruch begann der Kampf auf's Neue.
Lanze mit Lanze, Schwert mit Schwert kreuzte sich, und ein
Mann drang auf den andern ein. Lange war das Ge¬
fecht unentschieden, und auf beiden Seiten mordeten und
fielen die Helden. Dem Eurypylus ward ein Freund er¬
schlagen; darüber verdoppelte sich seine Wuth, und er
warf die Achiver nieder, wie man Bäume in dichten Wal¬
dungen zu Haufen fällt, so daß die Stämme zerrissene
Schluchten anfüllen. Endlich aber trat ihm Neoptolemus
entgegen, und beide schüttelten ihre mächtigen Lanzen in
der Rechten. "Wer bist du, Jüngling, woher bist du ge¬
kommen, mich zu bekämpfen?" rief zuerst Eurypylus sei¬
nem Gegner zu, "fürwahr, dich reißt dein Geschick zur
Unterwelt hinab!" Neoptolemus erwiederte: "Warum
willst du meine Abstammung wissen, wie ein Freund, da
du doch ein Feind bist? So wisse denn, ich bin der Sohn
des Achilles, der einst deinen Vater niedergestreckt; die
Rosse meines Wagens sind die windschnellen Kinder der
Harpyien und des Zephyrus, die selbst über das Meer
dahinrennen; die Lanze, vom Scheitel des hohen Berges
Pelion stammend, ist die Lanze meines Vaters, die sollst
du jetzt erproben!" So sprach der Held, sprang vom
Wagen und schüttelte den Speer. Von der andern Seite
hob Eurypylus einen gewaltigen Stein vom Boden auf
und warf ihn nach dem goldenen Schilde seines Feindes;
doch der Schild erzitterte nicht einmal. Wie zwei Raub¬
thiere drangen beide jetzt auf einander ein, und rechts und
links von ihnen wogte die Feldschlacht in langen Reihen.
Jene aber zerstießen einander die Schilde, und trafen

zurück, denn die Nacht war eingebrochen, und die Helden
kehrteu um vom Streite nach ihren Zelten.

Bei Tagesanbruch begann der Kampf auf's Neue.
Lanze mit Lanze, Schwert mit Schwert kreuzte ſich, und ein
Mann drang auf den andern ein. Lange war das Ge¬
fecht unentſchieden, und auf beiden Seiten mordeten und
fielen die Helden. Dem Eurypylus ward ein Freund er¬
ſchlagen; darüber verdoppelte ſich ſeine Wuth, und er
warf die Achiver nieder, wie man Bäume in dichten Wal¬
dungen zu Haufen fällt, ſo daß die Stämme zerriſſene
Schluchten anfüllen. Endlich aber trat ihm Neoptolemus
entgegen, und beide ſchüttelten ihre mächtigen Lanzen in
der Rechten. „Wer biſt du, Jüngling, woher biſt du ge¬
kommen, mich zu bekämpfen?“ rief zuerſt Eurypylus ſei¬
nem Gegner zu, „fürwahr, dich reißt dein Geſchick zur
Unterwelt hinab!“ Neoptolemus erwiederte: „Warum
willſt du meine Abſtammung wiſſen, wie ein Freund, da
du doch ein Feind biſt? So wiſſe denn, ich bin der Sohn
des Achilles, der einſt deinen Vater niedergeſtreckt; die
Roſſe meines Wagens ſind die windſchnellen Kinder der
Harpyien und des Zephyrus, die ſelbſt über das Meer
dahinrennen; die Lanze, vom Scheitel des hohen Berges
Pelion ſtammend, iſt die Lanze meines Vaters, die ſollſt
du jetzt erproben!“ So ſprach der Held, ſprang vom
Wagen und ſchüttelte den Speer. Von der andern Seite
hob Eurypylus einen gewaltigen Stein vom Boden auf
und warf ihn nach dem goldenen Schilde ſeines Feindes;
doch der Schild erzitterte nicht einmal. Wie zwei Raub¬
thiere drangen beide jetzt auf einander ein, und rechts und
links von ihnen wogte die Feldſchlacht in langen Reihen.
Jene aber zerſtießen einander die Schilde, und trafen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0402" n="380"/>
zurück, denn die Nacht war eingebrochen, und die Helden<lb/>
kehrteu um vom Streite nach ihren Zelten.</p><lb/>
          <p>Bei Tagesanbruch begann der Kampf auf's Neue.<lb/>
Lanze mit Lanze, Schwert mit Schwert kreuzte &#x017F;ich, und ein<lb/>
Mann drang auf den andern ein. Lange war das Ge¬<lb/>
fecht unent&#x017F;chieden, und auf beiden Seiten mordeten und<lb/>
fielen die Helden. Dem Eurypylus ward ein Freund er¬<lb/>
&#x017F;chlagen; darüber verdoppelte &#x017F;ich &#x017F;eine Wuth, und er<lb/>
warf die Achiver nieder, wie man Bäume in dichten Wal¬<lb/>
dungen zu Haufen fällt, &#x017F;o daß die Stämme zerri&#x017F;&#x017F;ene<lb/>
Schluchten anfüllen. Endlich aber trat ihm Neoptolemus<lb/>
entgegen, und beide &#x017F;chüttelten ihre mächtigen Lanzen in<lb/>
der Rechten. &#x201E;Wer bi&#x017F;t du, Jüngling, woher bi&#x017F;t du ge¬<lb/>
kommen, mich zu bekämpfen?&#x201C; rief zuer&#x017F;t Eurypylus &#x017F;ei¬<lb/>
nem Gegner zu, &#x201E;fürwahr, dich reißt dein Ge&#x017F;chick zur<lb/>
Unterwelt hinab!&#x201C; Neoptolemus erwiederte: &#x201E;Warum<lb/>
will&#x017F;t du meine Ab&#x017F;tammung wi&#x017F;&#x017F;en, wie ein Freund, da<lb/>
du doch ein Feind bi&#x017F;t? So wi&#x017F;&#x017F;e denn, ich bin der Sohn<lb/>
des Achilles, der ein&#x017F;t deinen Vater niederge&#x017F;treckt; die<lb/>
Ro&#x017F;&#x017F;e meines Wagens &#x017F;ind die wind&#x017F;chnellen Kinder der<lb/>
Harpyien und des Zephyrus, die &#x017F;elb&#x017F;t über das Meer<lb/>
dahinrennen; die Lanze, vom Scheitel des hohen Berges<lb/>
Pelion &#x017F;tammend, i&#x017F;t die Lanze meines Vaters, die &#x017F;oll&#x017F;t<lb/>
du jetzt erproben!&#x201C; So &#x017F;prach der Held, &#x017F;prang vom<lb/>
Wagen und &#x017F;chüttelte den Speer. Von der andern Seite<lb/>
hob Eurypylus einen gewaltigen Stein vom Boden auf<lb/>
und warf ihn nach dem goldenen Schilde &#x017F;eines Feindes;<lb/>
doch der Schild erzitterte nicht einmal. Wie zwei Raub¬<lb/>
thiere drangen beide jetzt auf einander ein, und rechts und<lb/>
links von ihnen wogte die Feld&#x017F;chlacht in langen Reihen.<lb/>
Jene aber zer&#x017F;tießen einander die Schilde, und trafen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[380/0402] zurück, denn die Nacht war eingebrochen, und die Helden kehrteu um vom Streite nach ihren Zelten. Bei Tagesanbruch begann der Kampf auf's Neue. Lanze mit Lanze, Schwert mit Schwert kreuzte ſich, und ein Mann drang auf den andern ein. Lange war das Ge¬ fecht unentſchieden, und auf beiden Seiten mordeten und fielen die Helden. Dem Eurypylus ward ein Freund er¬ ſchlagen; darüber verdoppelte ſich ſeine Wuth, und er warf die Achiver nieder, wie man Bäume in dichten Wal¬ dungen zu Haufen fällt, ſo daß die Stämme zerriſſene Schluchten anfüllen. Endlich aber trat ihm Neoptolemus entgegen, und beide ſchüttelten ihre mächtigen Lanzen in der Rechten. „Wer biſt du, Jüngling, woher biſt du ge¬ kommen, mich zu bekämpfen?“ rief zuerſt Eurypylus ſei¬ nem Gegner zu, „fürwahr, dich reißt dein Geſchick zur Unterwelt hinab!“ Neoptolemus erwiederte: „Warum willſt du meine Abſtammung wiſſen, wie ein Freund, da du doch ein Feind biſt? So wiſſe denn, ich bin der Sohn des Achilles, der einſt deinen Vater niedergeſtreckt; die Roſſe meines Wagens ſind die windſchnellen Kinder der Harpyien und des Zephyrus, die ſelbſt über das Meer dahinrennen; die Lanze, vom Scheitel des hohen Berges Pelion ſtammend, iſt die Lanze meines Vaters, die ſollſt du jetzt erproben!“ So ſprach der Held, ſprang vom Wagen und ſchüttelte den Speer. Von der andern Seite hob Eurypylus einen gewaltigen Stein vom Boden auf und warf ihn nach dem goldenen Schilde ſeines Feindes; doch der Schild erzitterte nicht einmal. Wie zwei Raub¬ thiere drangen beide jetzt auf einander ein, und rechts und links von ihnen wogte die Feldſchlacht in langen Reihen. Jene aber zerſtießen einander die Schilde, und trafen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/402
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/402>, abgerufen am 04.05.2024.