und bleibe zu Hause bei mir, damit nicht auch noch die Unheilskunde an mein Ohr schlage, daß mein Sohn in der Feldschlacht gefallen sey, wie sein Vater!" Aber Pyrrhus erwiederte: "Mutter, laß doch die Unglücksworte seyn! Kein Mann im Kriege fällt wider des Schicksals Willen. Soll mein Loos der Tod seyn -- nun, was könnte ich Besseres thun, als, werth meiner Abstammung, für die Achiver sterben?"
Da stand auch Lykomedes, sein Großvater, aus dem Ruhesessel auf, in welchem er zu schlummern schien, trat vor den Enkel und sprach: "Starkmüthiges Kind, wohl sehe ich, daß du deinem Vater ganz gleich bist. Aber wenn du auch glücklich von Troja heimkehrest, wer weiß, ob nicht auf dem Heimwege das Verderben noch auf dich lauert; denn die Seefahrt ist ein gefährlich Ding!" So sagte er und küßte den Enkel, doch ohne ihn von dem Wege abzuhalten. Jener aber, dem ein holdes Lächeln sein junges Heldenangesicht verklärte, riß sich aus den Um¬ armungen der weinenden Mutter los, und ließ Vater¬ pallast und Heimath hinter sich. Wie ihn die rüstigen Glieder so hintrugen, glänzte er hell wie ein Gestirn des Himmels. Ihm folgten die beiden Griechenhelden und zwanzig entschlossene Männer, lauter vertraute Diener Deidamia's, und alle schifften sich am Strande der Insel ein.
Neptun gab ihnen günstige Fahrt, und nicht lange, so lagen vor ihnen im Morgenlichte die Höhen des Ida¬ gebirges, Chrysa die Stadt, das Vorgebirge Sigeum, dann das Grab des Achilles. Odysseus sagte jedoch seinem Sohne nicht, wessen der Grabhügel sey, sondern schwei¬ gend fuhren sie an dem Eilande Tenedos vorüber, und
und bleibe zu Hauſe bei mir, damit nicht auch noch die Unheilskunde an mein Ohr ſchlage, daß mein Sohn in der Feldſchlacht gefallen ſey, wie ſein Vater!“ Aber Pyrrhus erwiederte: „Mutter, laß doch die Unglücksworte ſeyn! Kein Mann im Kriege fällt wider des Schickſals Willen. Soll mein Loos der Tod ſeyn — nun, was könnte ich Beſſeres thun, als, werth meiner Abſtammung, für die Achiver ſterben?“
Da ſtand auch Lykomedes, ſein Großvater, aus dem Ruheſeſſel auf, in welchem er zu ſchlummern ſchien, trat vor den Enkel und ſprach: „Starkmüthiges Kind, wohl ſehe ich, daß du deinem Vater ganz gleich biſt. Aber wenn du auch glücklich von Troja heimkehreſt, wer weiß, ob nicht auf dem Heimwege das Verderben noch auf dich lauert; denn die Seefahrt iſt ein gefährlich Ding!“ So ſagte er und küßte den Enkel, doch ohne ihn von dem Wege abzuhalten. Jener aber, dem ein holdes Lächeln ſein junges Heldenangeſicht verklärte, riß ſich aus den Um¬ armungen der weinenden Mutter los, und ließ Vater¬ pallaſt und Heimath hinter ſich. Wie ihn die rüſtigen Glieder ſo hintrugen, glänzte er hell wie ein Geſtirn des Himmels. Ihm folgten die beiden Griechenhelden und zwanzig entſchloſſene Männer, lauter vertraute Diener Deidamia's, und alle ſchifften ſich am Strande der Inſel ein.
Neptun gab ihnen günſtige Fahrt, und nicht lange, ſo lagen vor ihnen im Morgenlichte die Höhen des Ida¬ gebirges, Chryſa die Stadt, das Vorgebirge Sigeum, dann das Grab des Achilles. Odyſſeus ſagte jedoch ſeinem Sohne nicht, weſſen der Grabhügel ſey, ſondern ſchwei¬ gend fuhren ſie an dem Eilande Tenedos vorüber, und
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und bleibe zu Hauſe bei mir, damit nicht auch noch die
Unheilskunde an mein Ohr ſchlage, daß mein Sohn in
der Feldſchlacht gefallen ſey, wie ſein Vater!“ Aber
Pyrrhus erwiederte: „Mutter, laß doch die Unglücksworte
ſeyn! Kein Mann im Kriege fällt wider des Schickſals
Willen. Soll mein Loos der Tod ſeyn — nun, was könnte
ich Beſſeres thun, als, werth meiner Abſtammung, für
die Achiver ſterben?“
Da ſtand auch Lykomedes, ſein Großvater, aus dem
Ruheſeſſel auf, in welchem er zu ſchlummern ſchien, trat
vor den Enkel und ſprach: „Starkmüthiges Kind, wohl
ſehe ich, daß du deinem Vater ganz gleich biſt. Aber
wenn du auch glücklich von Troja heimkehreſt, wer weiß,
ob nicht auf dem Heimwege das Verderben noch auf dich
lauert; denn die Seefahrt iſt ein gefährlich Ding!“ So
ſagte er und küßte den Enkel, doch ohne ihn von dem
Wege abzuhalten. Jener aber, dem ein holdes Lächeln
ſein junges Heldenangeſicht verklärte, riß ſich aus den Um¬
armungen der weinenden Mutter los, und ließ Vater¬
pallaſt und Heimath hinter ſich. Wie ihn die rüſtigen
Glieder ſo hintrugen, glänzte er hell wie ein Geſtirn des
Himmels. Ihm folgten die beiden Griechenhelden und
zwanzig entſchloſſene Männer, lauter vertraute Diener
Deidamia's, und alle ſchifften ſich am Strande der
Inſel ein.
Neptun gab ihnen günſtige Fahrt, und nicht lange,
ſo lagen vor ihnen im Morgenlichte die Höhen des Ida¬
gebirges, Chryſa die Stadt, das Vorgebirge Sigeum,
dann das Grab des Achilles. Odyſſeus ſagte jedoch ſeinem
Sohne nicht, weſſen der Grabhügel ſey, ſondern ſchwei¬
gend fuhren ſie an dem Eilande Tenedos vorüber, und
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/399>, abgerufen am 22.11.2024.
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