die Stadt. Hier, seiner übermenschlichen Kraft sich be¬ wußt, schickte er sich an, die Thorflügel aus den Angeln zu heben, die Riegel zu öffnen und den Griechen die Stadt des Priamus aufzuthun.
Aber Phöbus Apollo, der vom Olymp herab den unermeßlichen Haufen Erschlagener überschaute, fing an ihm unerbittlich zu zürnen. Wie ein reißendes Thier stieg er vom Göttersitze hernieder, den Köcher mit den unheil¬ bar tödtenden Pfeilen auf dem Rücken. So trat er dem Peliden entgegen; Köcher und Pfeile klirrten, sein Auge flammte, unter dem Wandelnden erbebte der Boden. Und nun, dem Helden im Rücken, ließ er seine furchtbare Stimme erschallen: "Laß von den Dardanern ab, o Pelide, wüthe nicht so rasend! Hüte dich, daß nicht einer der Unsterb¬ lichen dich verderbe!" Achilles kannte die Stimme des Gottes wohl; aber er ließ sich nicht einschüchtern, und ohne die Warnung zu beachten, rief er ihm laut entgegen: "Was willst du mich reizen, mit Göttern zu kämpfen, indem du immerdar die Frevler, die Trojaner, begünstigst? Schon einmal hast du mich in Zorn gebracht, als du mir zum erstenmal Hektorn entrissest. Nun rathe ich dir, ent¬ weiche fern zu den andern Göttern, daß dich mein Speer nicht treffe, obwohl du unsterblich bist!"
Mit solchen Worten wandte er sich von Apollo ab den Feinden wieder zu. Der zürnende Phöbus aber ver¬ hüllte sich in ein schwarzes Gewölk, legte einen Pfeil auf seinen Bogen und schoß aus dem Nebel den Peliden in die verwundliche Ferse. Ein stechender Schmerz durchfuhr auf der Stelle den Achilles bis ans Herz hinan, und wie ein unterhöhlter Thurm stürzte er plötzlich zu Boden. Liegend spähte er rings um sich her und schrie mit
die Stadt. Hier, ſeiner übermenſchlichen Kraft ſich be¬ wußt, ſchickte er ſich an, die Thorflügel aus den Angeln zu heben, die Riegel zu öffnen und den Griechen die Stadt des Priamus aufzuthun.
Aber Phöbus Apollo, der vom Olymp herab den unermeßlichen Haufen Erſchlagener überſchaute, fing an ihm unerbittlich zu zürnen. Wie ein reißendes Thier ſtieg er vom Götterſitze hernieder, den Köcher mit den unheil¬ bar tödtenden Pfeilen auf dem Rücken. So trat er dem Peliden entgegen; Köcher und Pfeile klirrten, ſein Auge flammte, unter dem Wandelnden erbebte der Boden. Und nun, dem Helden im Rücken, ließ er ſeine furchtbare Stimme erſchallen: „Laß von den Dardanern ab, o Pelide, wüthe nicht ſo raſend! Hüte dich, daß nicht einer der Unſterb¬ lichen dich verderbe!“ Achilles kannte die Stimme des Gottes wohl; aber er ließ ſich nicht einſchüchtern, und ohne die Warnung zu beachten, rief er ihm laut entgegen: „Was willſt du mich reizen, mit Göttern zu kämpfen, indem du immerdar die Frevler, die Trojaner, begünſtigſt? Schon einmal haſt du mich in Zorn gebracht, als du mir zum erſtenmal Hektorn entriſſeſt. Nun rathe ich dir, ent¬ weiche fern zu den andern Göttern, daß dich mein Speer nicht treffe, obwohl du unſterblich biſt!“
Mit ſolchen Worten wandte er ſich von Apollo ab den Feinden wieder zu. Der zürnende Phöbus aber ver¬ hüllte ſich in ein ſchwarzes Gewölk, legte einen Pfeil auf ſeinen Bogen und ſchoß aus dem Nebel den Peliden in die verwundliche Ferſe. Ein ſtechender Schmerz durchfuhr auf der Stelle den Achilles bis ans Herz hinan, und wie ein unterhöhlter Thurm ſtürzte er plötzlich zu Boden. Liegend ſpähte er rings um ſich her und ſchrie mit
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die Stadt. Hier, ſeiner übermenſchlichen Kraft ſich be¬
wußt, ſchickte er ſich an, die Thorflügel aus den Angeln
zu heben, die Riegel zu öffnen und den Griechen die
Stadt des Priamus aufzuthun.
Aber Phöbus Apollo, der vom Olymp herab den
unermeßlichen Haufen Erſchlagener überſchaute, fing an
ihm unerbittlich zu zürnen. Wie ein reißendes Thier ſtieg
er vom Götterſitze hernieder, den Köcher mit den unheil¬
bar tödtenden Pfeilen auf dem Rücken. So trat er dem
Peliden entgegen; Köcher und Pfeile klirrten, ſein Auge
flammte, unter dem Wandelnden erbebte der Boden. Und
nun, dem Helden im Rücken, ließ er ſeine furchtbare Stimme
erſchallen: „Laß von den Dardanern ab, o Pelide, wüthe
nicht ſo raſend! Hüte dich, daß nicht einer der Unſterb¬
lichen dich verderbe!“ Achilles kannte die Stimme des
Gottes wohl; aber er ließ ſich nicht einſchüchtern, und
ohne die Warnung zu beachten, rief er ihm laut entgegen:
„Was willſt du mich reizen, mit Göttern zu kämpfen,
indem du immerdar die Frevler, die Trojaner, begünſtigſt?
Schon einmal haſt du mich in Zorn gebracht, als du mir
zum erſtenmal Hektorn entriſſeſt. Nun rathe ich dir, ent¬
weiche fern zu den andern Göttern, daß dich mein Speer
nicht treffe, obwohl du unſterblich biſt!“
Mit ſolchen Worten wandte er ſich von Apollo ab
den Feinden wieder zu. Der zürnende Phöbus aber ver¬
hüllte ſich in ein ſchwarzes Gewölk, legte einen Pfeil auf
ſeinen Bogen und ſchoß aus dem Nebel den Peliden in
die verwundliche Ferſe. Ein ſtechender Schmerz durchfuhr
auf der Stelle den Achilles bis ans Herz hinan, und wie
ein unterhöhlter Thurm ſtürzte er plötzlich zu Boden.
Liegend ſpähte er rings um ſich her und ſchrie mit
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/365>, abgerufen am 23.11.2024.
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