Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

faßte Hektor das Steuer-Ende des schönen Schiffes, das
den Protesilaus gen Troja geführt hatte, aber nicht wie¬
der heimbringen sollte, weil er der erste war, der nach
der Landung im Gefechte gegen die Trojaner gefallen
war. Um dieses Schiff kämpften und mordeten jetzt Da¬
naer und Troer; da war keine Rede mehr von Bogen¬
schuß oder auch nur von Speerwurf: zusammengedrängt
schwangen alle nur scharfe Beile, Aexte und Schwerter
gegeneinander und führten Lanzen zum Stich. Manches
gute Schwert stürzte dort aus der Hand in den Staub,
oder von den Schultern der Streitenden herab, und der
Boden schwamm in Blut. Hektor aber, nachdem er ein¬
mal das Schiff gefaßt, umklammerte es fest und rief:
"Jetzt Feuer her und den Schlachtruf erhoben! Jetzt schickt
uns Jupiter den Tag, der uns für alle andern schadlos
hält! Jetzo die Schiffe erobert, welche uns so viel Jam¬
mer gebracht haben! Jetzt wird kein Aeltester uns hin¬
dern, den Sieg zu benützen, Jupiter selbst ermahnt und
befiehlt uns jetzt!"

Auch Ajax vermochte Hektor's Andrange nun nicht
mehr zu widerstehen, die Geschosse drängten ihn zu sehr,
er wich ein wenig vom Verdecke des Schiffs und schwang
sich auf die Bank des Steuermanns. Aber auch von hier
aus spähte er umher, wo abzuwehren sey, und richtete
seine Lanze gegen die mit Feuerbränden eindringenden
Trojaner; zugleich donnerte er seine Volksgenossen an:
"Freunde, jetzt seyd Männer! oder wähnet ihr, hinter den
Schiffen stehen euch noch andere Helfer, noch ein stärkerer
Wall, der euch schirmen könnte? Ihr habt keine Stadt,
hinter deren Mauern ihr euch flüchten könntet, wie die
Trojaner; auf Feindesboden, fern vom Lande der Väter,

faßte Hektor das Steuer-Ende des ſchönen Schiffes, das
den Proteſilaus gen Troja geführt hatte, aber nicht wie¬
der heimbringen ſollte, weil er der erſte war, der nach
der Landung im Gefechte gegen die Trojaner gefallen
war. Um dieſes Schiff kämpften und mordeten jetzt Da¬
naer und Troer; da war keine Rede mehr von Bogen¬
ſchuß oder auch nur von Speerwurf: zuſammengedrängt
ſchwangen alle nur ſcharfe Beile, Aexte und Schwerter
gegeneinander und führten Lanzen zum Stich. Manches
gute Schwert ſtürzte dort aus der Hand in den Staub,
oder von den Schultern der Streitenden herab, und der
Boden ſchwamm in Blut. Hektor aber, nachdem er ein¬
mal das Schiff gefaßt, umklammerte es feſt und rief:
„Jetzt Feuer her und den Schlachtruf erhoben! Jetzt ſchickt
uns Jupiter den Tag, der uns für alle andern ſchadlos
hält! Jetzo die Schiffe erobert, welche uns ſo viel Jam¬
mer gebracht haben! Jetzt wird kein Aelteſter uns hin¬
dern, den Sieg zu benützen, Jupiter ſelbſt ermahnt und
befiehlt uns jetzt!“

Auch Ajax vermochte Hektor's Andrange nun nicht
mehr zu widerſtehen, die Geſchoſſe drängten ihn zu ſehr,
er wich ein wenig vom Verdecke des Schiffs und ſchwang
ſich auf die Bank des Steuermanns. Aber auch von hier
aus ſpähte er umher, wo abzuwehren ſey, und richtete
ſeine Lanze gegen die mit Feuerbränden eindringenden
Trojaner; zugleich donnerte er ſeine Volksgenoſſen an:
„Freunde, jetzt ſeyd Männer! oder wähnet ihr, hinter den
Schiffen ſtehen euch noch andere Helfer, noch ein ſtärkerer
Wall, der euch ſchirmen könnte? Ihr habt keine Stadt,
hinter deren Mauern ihr euch flüchten könntet, wie die
Trojaner; auf Feindesboden, fern vom Lande der Väter,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0236" n="214"/>
faßte Hektor das Steuer-Ende des &#x017F;chönen Schiffes, das<lb/>
den Prote&#x017F;ilaus gen Troja geführt hatte, aber nicht wie¬<lb/>
der heimbringen &#x017F;ollte, weil er der er&#x017F;te war, der nach<lb/>
der Landung im Gefechte gegen die Trojaner gefallen<lb/>
war. Um die&#x017F;es Schiff kämpften und mordeten jetzt Da¬<lb/>
naer und Troer; da war keine Rede mehr von Bogen¬<lb/>
&#x017F;chuß oder auch nur von Speerwurf: zu&#x017F;ammengedrängt<lb/>
&#x017F;chwangen alle nur &#x017F;charfe Beile, Aexte und Schwerter<lb/>
gegeneinander und führten Lanzen zum Stich. Manches<lb/>
gute Schwert &#x017F;türzte dort aus der Hand in den Staub,<lb/>
oder von den Schultern der Streitenden herab, und der<lb/>
Boden &#x017F;chwamm in Blut. Hektor aber, nachdem er ein¬<lb/>
mal das Schiff gefaßt, umklammerte es fe&#x017F;t und rief:<lb/>
&#x201E;Jetzt Feuer her und den Schlachtruf erhoben! Jetzt &#x017F;chickt<lb/>
uns Jupiter den Tag, der uns für alle andern &#x017F;chadlos<lb/>
hält! Jetzo die Schiffe erobert, welche uns &#x017F;o viel Jam¬<lb/>
mer gebracht haben! Jetzt wird kein Aelte&#x017F;ter uns hin¬<lb/>
dern, den Sieg zu benützen, Jupiter &#x017F;elb&#x017F;t ermahnt und<lb/>
befiehlt uns jetzt!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Auch Ajax vermochte Hektor's Andrange nun nicht<lb/>
mehr zu wider&#x017F;tehen, die Ge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;e drängten ihn zu &#x017F;ehr,<lb/>
er wich ein wenig vom Verdecke des Schiffs und &#x017F;chwang<lb/>
&#x017F;ich auf die Bank des Steuermanns. Aber auch von hier<lb/>
aus &#x017F;pähte er umher, wo abzuwehren &#x017F;ey, und richtete<lb/>
&#x017F;eine Lanze gegen die mit Feuerbränden eindringenden<lb/>
Trojaner; zugleich donnerte er &#x017F;eine Volksgeno&#x017F;&#x017F;en an:<lb/>
&#x201E;Freunde, jetzt &#x017F;eyd Männer! oder wähnet ihr, hinter den<lb/>
Schiffen &#x017F;tehen euch noch andere Helfer, noch ein &#x017F;tärkerer<lb/>
Wall, der euch &#x017F;chirmen könnte? Ihr habt keine Stadt,<lb/>
hinter deren Mauern ihr euch flüchten könntet, wie die<lb/>
Trojaner; auf Feindesboden, fern vom Lande der Väter,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[214/0236] faßte Hektor das Steuer-Ende des ſchönen Schiffes, das den Proteſilaus gen Troja geführt hatte, aber nicht wie¬ der heimbringen ſollte, weil er der erſte war, der nach der Landung im Gefechte gegen die Trojaner gefallen war. Um dieſes Schiff kämpften und mordeten jetzt Da¬ naer und Troer; da war keine Rede mehr von Bogen¬ ſchuß oder auch nur von Speerwurf: zuſammengedrängt ſchwangen alle nur ſcharfe Beile, Aexte und Schwerter gegeneinander und führten Lanzen zum Stich. Manches gute Schwert ſtürzte dort aus der Hand in den Staub, oder von den Schultern der Streitenden herab, und der Boden ſchwamm in Blut. Hektor aber, nachdem er ein¬ mal das Schiff gefaßt, umklammerte es feſt und rief: „Jetzt Feuer her und den Schlachtruf erhoben! Jetzt ſchickt uns Jupiter den Tag, der uns für alle andern ſchadlos hält! Jetzo die Schiffe erobert, welche uns ſo viel Jam¬ mer gebracht haben! Jetzt wird kein Aelteſter uns hin¬ dern, den Sieg zu benützen, Jupiter ſelbſt ermahnt und befiehlt uns jetzt!“ Auch Ajax vermochte Hektor's Andrange nun nicht mehr zu widerſtehen, die Geſchoſſe drängten ihn zu ſehr, er wich ein wenig vom Verdecke des Schiffs und ſchwang ſich auf die Bank des Steuermanns. Aber auch von hier aus ſpähte er umher, wo abzuwehren ſey, und richtete ſeine Lanze gegen die mit Feuerbränden eindringenden Trojaner; zugleich donnerte er ſeine Volksgenoſſen an: „Freunde, jetzt ſeyd Männer! oder wähnet ihr, hinter den Schiffen ſtehen euch noch andere Helfer, noch ein ſtärkerer Wall, der euch ſchirmen könnte? Ihr habt keine Stadt, hinter deren Mauern ihr euch flüchten könntet, wie die Trojaner; auf Feindesboden, fern vom Lande der Väter,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/236
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/236>, abgerufen am 16.04.2024.