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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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schauen," sprach er zu Juno. "Nicht eher soll der gewal¬
tige Hektor vom Streite ruhen, bis die Griechen in schreck¬
licher Bedrängniß, um die Steuerruder ihrer Schiffe zu¬
sammengedrängt, kämpfen, und der zürnende Achilles sich
wieder in seinem Zelt erhebt. So ist es der Wille des
Verhängnisses." Juno ward traurig und verstummte.

Bei den Schiffen hatte die Nacht dem Kampf ein
Ziel gesetzt. Hektor berief seine Krieger, seitwärts von
den Schiffen, bei den Wirbeln des Skamander, zu einer
Rathsversammlung, und sprach: "Hätte uns die Nacht
nicht ereilt, so wären die Feinde jetzt vertilgt. Aber auch
so lasset uns nicht in die Stadt zurückkehren, sondern
führet eilig aus derselben Hornvieh und Schafe herbei, auch
Wein und Brod werde uns reichlich aus den Häusern
herbeigeschafft; Wachtfeuer sollen uns rings vor einem
Ueberfall der Feinde schützen, während wir des Mahles
oder der Wunden pflegen. Mit Anbruch des Morgens
erneuern wir den Angriff auf die Schiffe, dann will ich
sehen, ob Diomedes mich zur Mauer hinwegdrängt, oder
ich ihm selbst die Rüstung vom Leichnam abziehe!" Die
Trojaner rauschten ihm Beifall zu; es geschah nach seinem
Rathe, die ganze Nacht über rasteten sie, im Schutze von
tausend Wachtfeuern, je fünfzig und fünfzig, bei Schmaus
und Wein; ihre Rosse standen beim Geschirr und labten
sich an Spelt und Gerste.


ſchauen,“ ſprach er zu Juno. „Nicht eher ſoll der gewal¬
tige Hektor vom Streite ruhen, bis die Griechen in ſchreck¬
licher Bedrängniß, um die Steuerruder ihrer Schiffe zu¬
ſammengedrängt, kämpfen, und der zürnende Achilles ſich
wieder in ſeinem Zelt erhebt. So iſt es der Wille des
Verhängniſſes.“ Juno ward traurig und verſtummte.

Bei den Schiffen hatte die Nacht dem Kampf ein
Ziel geſetzt. Hektor berief ſeine Krieger, ſeitwärts von
den Schiffen, bei den Wirbeln des Skamander, zu einer
Rathsverſammlung, und ſprach: „Hätte uns die Nacht
nicht ereilt, ſo wären die Feinde jetzt vertilgt. Aber auch
ſo laſſet uns nicht in die Stadt zurückkehren, ſondern
führet eilig aus derſelben Hornvieh und Schafe herbei, auch
Wein und Brod werde uns reichlich aus den Häuſern
herbeigeſchafft; Wachtfeuer ſollen uns rings vor einem
Ueberfall der Feinde ſchützen, während wir des Mahles
oder der Wunden pflegen. Mit Anbruch des Morgens
erneuern wir den Angriff auf die Schiffe, dann will ich
ſehen, ob Diomedes mich zur Mauer hinwegdrängt, oder
ich ihm ſelbſt die Rüſtung vom Leichnam abziehe!“ Die
Trojaner rauſchten ihm Beifall zu; es geſchah nach ſeinem
Rathe, die ganze Nacht über raſteten ſie, im Schutze von
tauſend Wachtfeuern, je fünfzig und fünfzig, bei Schmaus
und Wein; ihre Roſſe ſtanden beim Geſchirr und labten
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[159/0181] ſchauen,“ ſprach er zu Juno. „Nicht eher ſoll der gewal¬ tige Hektor vom Streite ruhen, bis die Griechen in ſchreck¬ licher Bedrängniß, um die Steuerruder ihrer Schiffe zu¬ ſammengedrängt, kämpfen, und der zürnende Achilles ſich wieder in ſeinem Zelt erhebt. So iſt es der Wille des Verhängniſſes.“ Juno ward traurig und verſtummte. Bei den Schiffen hatte die Nacht dem Kampf ein Ziel geſetzt. Hektor berief ſeine Krieger, ſeitwärts von den Schiffen, bei den Wirbeln des Skamander, zu einer Rathsverſammlung, und ſprach: „Hätte uns die Nacht nicht ereilt, ſo wären die Feinde jetzt vertilgt. Aber auch ſo laſſet uns nicht in die Stadt zurückkehren, ſondern führet eilig aus derſelben Hornvieh und Schafe herbei, auch Wein und Brod werde uns reichlich aus den Häuſern herbeigeſchafft; Wachtfeuer ſollen uns rings vor einem Ueberfall der Feinde ſchützen, während wir des Mahles oder der Wunden pflegen. Mit Anbruch des Morgens erneuern wir den Angriff auf die Schiffe, dann will ich ſehen, ob Diomedes mich zur Mauer hinwegdrängt, oder ich ihm ſelbſt die Rüſtung vom Leichnam abziehe!“ Die Trojaner rauſchten ihm Beifall zu; es geſchah nach ſeinem Rathe, die ganze Nacht über raſteten ſie, im Schutze von tauſend Wachtfeuern, je fünfzig und fünfzig, bei Schmaus und Wein; ihre Roſſe ſtanden beim Geſchirr und labten ſich an Spelt und Gerſte.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/181>, abgerufen am 28.03.2024.