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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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Hektor in Troja.

Hektor hatte unterdessen die Buche Jupiters und das
Skäische Thor erreicht. Hier umringten ihn die Weiber
und Töchter der Trojaner und forschten ängstlich nach
Gemahlen, Söhnen, Brüdern und Verwandten. Nicht
Allen wußte er Bescheid zu geben, er ermahnte nur Alle,
die Götter anzuflehen. Doch Viele hatten seine Nachrich¬
ten in Weh und Jammer versenkt. Jetzt war er am
Pallaste seines Vaters angekommen. Dieser war ein
herrliches Gebäude, ringsum mit weithin sich dehnenden
Säulenhallen geschmückt, im Innern waren fünfzig Ge¬
mächer aus glattem Marmor, eins ans andere nachbarlich
angebaut. Hier wohnten die Söhne des Königes mit
ihren Gemahlinnen. Auf der andern Seite des inneren
Hofes reihten sich zwölf Marmorsäle an einander, wo die
Eidame des Königes mit seinen Töchtern hausten. Das
Ganze war mit einer hohen Mauer umschlossen und bil¬
dete für sich allein eine stattliche Burg. Hier begegnete
Hektor seiner guten Mutter Hekuba, die eben zu ihrer
liebsten und anmuthigsten Tochter Laodice zu gehen im
Begriffe war. Die Mutter eilte auf Hektor zu, faßte ihm
die Hand und sprach voll Sorgen und Liebe: "Sohn, wie
kommst du zu uns aus der wüthenden Schlacht? Die
entsetzlichen Männer müssen uns wohl hart bedrängen, und
du kommst gewiß, die Hände zu Jupiter zu erheben. So
verziehe denn, bis ich dir vom lieblichen Wein bringe,
daß du dem Vater Zeus und den andern Göttern ein
Trankopfer darbringen kannst, und darauf dich selbst mit

Hektor in Troja.

Hektor hatte unterdeſſen die Buche Jupiters und das
Skäiſche Thor erreicht. Hier umringten ihn die Weiber
und Töchter der Trojaner und forſchten ängſtlich nach
Gemahlen, Söhnen, Brüdern und Verwandten. Nicht
Allen wußte er Beſcheid zu geben, er ermahnte nur Alle,
die Götter anzuflehen. Doch Viele hatten ſeine Nachrich¬
ten in Weh und Jammer verſenkt. Jetzt war er am
Pallaſte ſeines Vaters angekommen. Dieſer war ein
herrliches Gebäude, ringsum mit weithin ſich dehnenden
Säulenhallen geſchmückt, im Innern waren fünfzig Ge¬
mächer aus glattem Marmor, eins ans andere nachbarlich
angebaut. Hier wohnten die Söhne des Königes mit
ihren Gemahlinnen. Auf der andern Seite des inneren
Hofes reihten ſich zwölf Marmorſäle an einander, wo die
Eidame des Königes mit ſeinen Töchtern hausten. Das
Ganze war mit einer hohen Mauer umſchloſſen und bil¬
dete für ſich allein eine ſtattliche Burg. Hier begegnete
Hektor ſeiner guten Mutter Hekuba, die eben zu ihrer
liebſten und anmuthigſten Tochter Laodice zu gehen im
Begriffe war. Die Mutter eilte auf Hektor zu, faßte ihm
die Hand und ſprach voll Sorgen und Liebe: „Sohn, wie
kommſt du zu uns aus der wüthenden Schlacht? Die
entſetzlichen Männer müſſen uns wohl hart bedrängen, und
du kommſt gewiß, die Hände zu Jupiter zu erheben. So
verziehe denn, bis ich dir vom lieblichen Wein bringe,
daß du dem Vater Zeus und den andern Göttern ein
Trankopfer darbringen kannſt, und darauf dich ſelbſt mit

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[137/0159] Hektor in Troja. Hektor hatte unterdeſſen die Buche Jupiters und das Skäiſche Thor erreicht. Hier umringten ihn die Weiber und Töchter der Trojaner und forſchten ängſtlich nach Gemahlen, Söhnen, Brüdern und Verwandten. Nicht Allen wußte er Beſcheid zu geben, er ermahnte nur Alle, die Götter anzuflehen. Doch Viele hatten ſeine Nachrich¬ ten in Weh und Jammer verſenkt. Jetzt war er am Pallaſte ſeines Vaters angekommen. Dieſer war ein herrliches Gebäude, ringsum mit weithin ſich dehnenden Säulenhallen geſchmückt, im Innern waren fünfzig Ge¬ mächer aus glattem Marmor, eins ans andere nachbarlich angebaut. Hier wohnten die Söhne des Königes mit ihren Gemahlinnen. Auf der andern Seite des inneren Hofes reihten ſich zwölf Marmorſäle an einander, wo die Eidame des Königes mit ſeinen Töchtern hausten. Das Ganze war mit einer hohen Mauer umſchloſſen und bil¬ dete für ſich allein eine ſtattliche Burg. Hier begegnete Hektor ſeiner guten Mutter Hekuba, die eben zu ihrer liebſten und anmuthigſten Tochter Laodice zu gehen im Begriffe war. Die Mutter eilte auf Hektor zu, faßte ihm die Hand und ſprach voll Sorgen und Liebe: „Sohn, wie kommſt du zu uns aus der wüthenden Schlacht? Die entſetzlichen Männer müſſen uns wohl hart bedrängen, und du kommſt gewiß, die Hände zu Jupiter zu erheben. So verziehe denn, bis ich dir vom lieblichen Wein bringe, daß du dem Vater Zeus und den andern Göttern ein Trankopfer darbringen kannſt, und darauf dich ſelbſt mit

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/159>, abgerufen am 23.11.2024.