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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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that? Nicht Perseus raubt dir die Geliebte; sie wurde dir
schon damals entrissen, als wir sie dem Tode preisgaben,
als du zusahest, wie sie gefesselt wurde, und weder als
Oheim noch als Geliebter ihr deinen Beistand liehest.
Warum hast du nicht selbst dir den Preis von dem Fel¬
sen geholt, an den er geschmiedet war? So laß wenig¬
stens den, der ihn sich errungen hat, der mein Alter durch
die Rettung meiner Tochter getröstet, in Ruhe!"

Phineus antwortete ihm nichts, er betrachtete nur
abwechselnd mit grimmigen Blicken bald seinen Bruder,
bald seinen Nebenbuhler, als besänne er sich, auf wen
er zuerst zielen sollte. Endlich nach kurzem Verzuge
schwang er mit aller Kraft, die der Zorn ihm gab, den
Speer gegen Perseus; aber er that einen Fehlwurf und
die Waffe blieb im Polster hängen. Jetzt fuhr Perseus
vom Lager empor und schleuderte seinen Spieß nach der
Thüre, durch welche Phineus eingedrungen war, und er
würde die Brust seines Todfeinds durchbohrt haben, wenn
dieser sich nicht mit einem Sprunge hinter den Hausaltar
geflüchtet hätte. Das Geschoß hatte die Stirne eines sei¬
ner Begleiter getroffen und jetzt kam das Gefolge des
Eingedrungenen mit den längst von der Tafel aufgestör¬
ten Gästen ins Handgemenge. Lang und mörderisch war
der Kampf; aber der Eingebrochenen war die Mehrzahl.
Zuletzt wurde Perseus, an dessen Seite sich umsonst die
Schwiegereltern und die Braut schutzflehend stellten, von
Phineus und seinen Tausenden umringt. Die Pfeile flo¬
gen an ihnen von allen Seiten vorbei, wie Hagelkörner
im Sturme. Perseus hatte die Schultern an einen Pfei¬
ler gelehnt und sich so den Rücken gedeckt. Von da
zur Heerschaar der Feinde gewendet, hielt er den Anlauf

that? Nicht Perſeus raubt dir die Geliebte; ſie wurde dir
ſchon damals entriſſen, als wir ſie dem Tode preisgaben,
als du zuſaheſt, wie ſie gefeſſelt wurde, und weder als
Oheim noch als Geliebter ihr deinen Beiſtand lieheſt.
Warum haſt du nicht ſelbſt dir den Preis von dem Fel¬
ſen geholt, an den er geſchmiedet war? So laß wenig¬
ſtens den, der ihn ſich errungen hat, der mein Alter durch
die Rettung meiner Tochter getröſtet, in Ruhe!“

Phineus antwortete ihm nichts, er betrachtete nur
abwechſelnd mit grimmigen Blicken bald ſeinen Bruder,
bald ſeinen Nebenbuhler, als beſänne er ſich, auf wen
er zuerſt zielen ſollte. Endlich nach kurzem Verzuge
ſchwang er mit aller Kraft, die der Zorn ihm gab, den
Speer gegen Perſeus; aber er that einen Fehlwurf und
die Waffe blieb im Polſter hängen. Jetzt fuhr Perſeus
vom Lager empor und ſchleuderte ſeinen Spieß nach der
Thüre, durch welche Phineus eingedrungen war, und er
würde die Bruſt ſeines Todfeinds durchbohrt haben, wenn
dieſer ſich nicht mit einem Sprunge hinter den Hausaltar
geflüchtet hätte. Das Geſchoß hatte die Stirne eines ſei¬
ner Begleiter getroffen und jetzt kam das Gefolge des
Eingedrungenen mit den längſt von der Tafel aufgeſtör¬
ten Gäſten ins Handgemenge. Lang und mörderiſch war
der Kampf; aber der Eingebrochenen war die Mehrzahl.
Zuletzt wurde Perſeus, an deſſen Seite ſich umſonſt die
Schwiegereltern und die Braut ſchutzflehend ſtellten, von
Phineus und ſeinen Tauſenden umringt. Die Pfeile flo¬
gen an ihnen von allen Seiten vorbei, wie Hagelkörner
im Sturme. Perſeus hatte die Schultern an einen Pfei¬
ler gelehnt und ſich ſo den Rücken gedeckt. Von da
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[64/0090] that? Nicht Perſeus raubt dir die Geliebte; ſie wurde dir ſchon damals entriſſen, als wir ſie dem Tode preisgaben, als du zuſaheſt, wie ſie gefeſſelt wurde, und weder als Oheim noch als Geliebter ihr deinen Beiſtand lieheſt. Warum haſt du nicht ſelbſt dir den Preis von dem Fel¬ ſen geholt, an den er geſchmiedet war? So laß wenig¬ ſtens den, der ihn ſich errungen hat, der mein Alter durch die Rettung meiner Tochter getröſtet, in Ruhe!“ Phineus antwortete ihm nichts, er betrachtete nur abwechſelnd mit grimmigen Blicken bald ſeinen Bruder, bald ſeinen Nebenbuhler, als beſänne er ſich, auf wen er zuerſt zielen ſollte. Endlich nach kurzem Verzuge ſchwang er mit aller Kraft, die der Zorn ihm gab, den Speer gegen Perſeus; aber er that einen Fehlwurf und die Waffe blieb im Polſter hängen. Jetzt fuhr Perſeus vom Lager empor und ſchleuderte ſeinen Spieß nach der Thüre, durch welche Phineus eingedrungen war, und er würde die Bruſt ſeines Todfeinds durchbohrt haben, wenn dieſer ſich nicht mit einem Sprunge hinter den Hausaltar geflüchtet hätte. Das Geſchoß hatte die Stirne eines ſei¬ ner Begleiter getroffen und jetzt kam das Gefolge des Eingedrungenen mit den längſt von der Tafel aufgeſtör¬ ten Gäſten ins Handgemenge. Lang und mörderiſch war der Kampf; aber der Eingebrochenen war die Mehrzahl. Zuletzt wurde Perſeus, an deſſen Seite ſich umſonſt die Schwiegereltern und die Braut ſchutzflehend ſtellten, von Phineus und ſeinen Tauſenden umringt. Die Pfeile flo¬ gen an ihnen von allen Seiten vorbei, wie Hagelkörner im Sturme. Perſeus hatte die Schultern an einen Pfei¬ ler gelehnt und ſich ſo den Rücken gedeckt. Von da zur Heerſchaar der Feinde gewendet, hielt er den Anlauf

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/90>, abgerufen am 23.11.2024.