nicht haben, im Meere schwanken, so machte der Wagen Sprünge in der Luft, ward hoch empor gestoßen und rollte dahin, als wäre er leer. Als das Rossegespann dieß merkte, rannte es, die gebahnten Räume verlassend, und lief nicht mehr in der vorigen Ordnung. Phaethon fing an zu erbeben, er wußte nicht, wohin die Zügel lenken, wußte den Weg nicht, wußte nicht, wie er die wilden Rosse bändigen sollte. Als nun der Unglückliche hoch vom Himmel abwärts sah, auf die tief, tief unter ihm sich hinstreckenden Länder, wurde er blaß und seine Kniee zitterten von plötzlichem Schrecken. Er sah rück¬ wärts; schon lag viel Himmel hinter ihm, aber mehr noch vor seinen Augen. Beides ermaß er in seinem Geiste. Unwissend, was beginnen, starrte er in die Weite, ließ die Zügel nicht nach, zog sie auch nicht weiter an; er wollte den Rossen rufen, aber er kannte ihre Namen nicht. Mit Grauen sah er die mannigfaltigen Stern¬ bilder an, die in abentheuerlichen Gestalten am Himmel herumhingen. Da ließ er, von kaltem Entsetzen gefaßt, die Zügel fahren, und wie diese herabschlotternd den Rücken der Pferde berührten, so verließen die Rosse ihre Spur, schweiften seitwärts in fremde Luftgebiete, gingen bald hoch empor, bald tief hernieder, jetzt stießen sie an den Fixsternen an, jetzt wurden sie auf abschüssigem Pfade in die Nachbarschaft der Erde herabgerissen. Schon berühr¬ ten sie die erste Wolkenschichte, die bald entzündet auf¬ dampfte. Immer tiefer stürzte der Wagen, und unver¬ sehens war er einem Hochgebirge nahe gekommen. Da lechzte vor Hitze der Boden, spaltete sich, und weil plötz¬ lich alle Säfte austrockneten, fing er an zu glimmen; das Haidegras wurde weißgelb und welkte hinweg; wei¬
Schwab, das klass. Altherthum. I. 3
nicht haben, im Meere ſchwanken, ſo machte der Wagen Sprünge in der Luft, ward hoch empor geſtoßen und rollte dahin, als wäre er leer. Als das Roſſegeſpann dieß merkte, rannte es, die gebahnten Räume verlaſſend, und lief nicht mehr in der vorigen Ordnung. Phaethon fing an zu erbeben, er wußte nicht, wohin die Zügel lenken, wußte den Weg nicht, wußte nicht, wie er die wilden Roſſe bändigen ſollte. Als nun der Unglückliche hoch vom Himmel abwärts ſah, auf die tief, tief unter ihm ſich hinſtreckenden Länder, wurde er blaß und ſeine Kniee zitterten von plötzlichem Schrecken. Er ſah rück¬ wärts; ſchon lag viel Himmel hinter ihm, aber mehr noch vor ſeinen Augen. Beides ermaß er in ſeinem Geiſte. Unwiſſend, was beginnen, ſtarrte er in die Weite, ließ die Zügel nicht nach, zog ſie auch nicht weiter an; er wollte den Roſſen rufen, aber er kannte ihre Namen nicht. Mit Grauen ſah er die mannigfaltigen Stern¬ bilder an, die in abentheuerlichen Geſtalten am Himmel herumhingen. Da ließ er, von kaltem Entſetzen gefaßt, die Zügel fahren, und wie dieſe herabſchlotternd den Rücken der Pferde berührten, ſo verließen die Roſſe ihre Spur, ſchweiften ſeitwärts in fremde Luftgebiete, gingen bald hoch empor, bald tief hernieder, jetzt ſtießen ſie an den Fixſternen an, jetzt wurden ſie auf abſchüſſigem Pfade in die Nachbarſchaft der Erde herabgeriſſen. Schon berühr¬ ten ſie die erſte Wolkenſchichte, die bald entzündet auf¬ dampfte. Immer tiefer ſtürzte der Wagen, und unver¬ ſehens war er einem Hochgebirge nahe gekommen. Da lechzte vor Hitze der Boden, ſpaltete ſich, und weil plötz¬ lich alle Säfte austrockneten, fing er an zu glimmen; das Haidegras wurde weißgelb und welkte hinweg; wei¬
Schwab, das klaſſ. Altherthum. I. 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0059"n="33"/>
nicht haben, im Meere ſchwanken, ſo machte der Wagen<lb/>
Sprünge in der Luft, ward hoch empor geſtoßen und<lb/>
rollte dahin, als wäre er leer. Als das Roſſegeſpann<lb/>
dieß merkte, rannte es, die gebahnten Räume verlaſſend,<lb/>
und lief nicht mehr in der vorigen Ordnung. Phaethon<lb/>
fing an zu erbeben, er wußte nicht, wohin die Zügel<lb/>
lenken, wußte den Weg nicht, wußte nicht, wie er die<lb/>
wilden Roſſe bändigen ſollte. Als nun der Unglückliche<lb/>
hoch vom Himmel abwärts ſah, auf die tief, tief unter<lb/>
ihm ſich hinſtreckenden Länder, wurde er blaß und ſeine<lb/>
Kniee zitterten von plötzlichem Schrecken. Er ſah rück¬<lb/>
wärts; ſchon lag viel Himmel hinter ihm, aber mehr noch<lb/>
vor ſeinen Augen. Beides ermaß er in ſeinem Geiſte.<lb/>
Unwiſſend, was beginnen, ſtarrte er in die Weite, ließ<lb/>
die Zügel nicht nach, zog ſie auch nicht weiter an; er<lb/>
wollte den Roſſen rufen, aber er kannte ihre Namen<lb/>
nicht. Mit Grauen ſah er die mannigfaltigen Stern¬<lb/>
bilder an, die in abentheuerlichen Geſtalten am Himmel<lb/>
herumhingen. Da ließ er, von kaltem Entſetzen gefaßt,<lb/>
die Zügel fahren, und wie dieſe herabſchlotternd den<lb/>
Rücken der Pferde berührten, ſo verließen die Roſſe ihre<lb/>
Spur, ſchweiften ſeitwärts in fremde Luftgebiete, gingen<lb/>
bald hoch empor, bald tief hernieder, jetzt ſtießen ſie an den<lb/>
Fixſternen an, jetzt wurden ſie auf abſchüſſigem Pfade in<lb/>
die Nachbarſchaft der Erde herabgeriſſen. Schon berühr¬<lb/>
ten ſie die erſte Wolkenſchichte, die bald entzündet auf¬<lb/>
dampfte. Immer tiefer ſtürzte der Wagen, und unver¬<lb/>ſehens war er einem Hochgebirge nahe gekommen. Da<lb/>
lechzte vor Hitze der Boden, ſpaltete ſich, und weil plötz¬<lb/>
lich alle Säfte austrockneten, fing er an zu glimmen;<lb/>
das Haidegras wurde weißgelb und welkte hinweg; wei¬<lb/><fwtype="sig"place="bottom">Schwab, das klaſſ. Altherthum. <hirendition="#aq">I</hi>. 3<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[33/0059]
nicht haben, im Meere ſchwanken, ſo machte der Wagen
Sprünge in der Luft, ward hoch empor geſtoßen und
rollte dahin, als wäre er leer. Als das Roſſegeſpann
dieß merkte, rannte es, die gebahnten Räume verlaſſend,
und lief nicht mehr in der vorigen Ordnung. Phaethon
fing an zu erbeben, er wußte nicht, wohin die Zügel
lenken, wußte den Weg nicht, wußte nicht, wie er die
wilden Roſſe bändigen ſollte. Als nun der Unglückliche
hoch vom Himmel abwärts ſah, auf die tief, tief unter
ihm ſich hinſtreckenden Länder, wurde er blaß und ſeine
Kniee zitterten von plötzlichem Schrecken. Er ſah rück¬
wärts; ſchon lag viel Himmel hinter ihm, aber mehr noch
vor ſeinen Augen. Beides ermaß er in ſeinem Geiſte.
Unwiſſend, was beginnen, ſtarrte er in die Weite, ließ
die Zügel nicht nach, zog ſie auch nicht weiter an; er
wollte den Roſſen rufen, aber er kannte ihre Namen
nicht. Mit Grauen ſah er die mannigfaltigen Stern¬
bilder an, die in abentheuerlichen Geſtalten am Himmel
herumhingen. Da ließ er, von kaltem Entſetzen gefaßt,
die Zügel fahren, und wie dieſe herabſchlotternd den
Rücken der Pferde berührten, ſo verließen die Roſſe ihre
Spur, ſchweiften ſeitwärts in fremde Luftgebiete, gingen
bald hoch empor, bald tief hernieder, jetzt ſtießen ſie an den
Fixſternen an, jetzt wurden ſie auf abſchüſſigem Pfade in
die Nachbarſchaft der Erde herabgeriſſen. Schon berühr¬
ten ſie die erſte Wolkenſchichte, die bald entzündet auf¬
dampfte. Immer tiefer ſtürzte der Wagen, und unver¬
ſehens war er einem Hochgebirge nahe gekommen. Da
lechzte vor Hitze der Boden, ſpaltete ſich, und weil plötz¬
lich alle Säfte austrockneten, fing er an zu glimmen;
das Haidegras wurde weißgelb und welkte hinweg; wei¬
Schwab, das klaſſ. Altherthum. I. 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/59>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.