sie selbst von dem verhaßten Ehebund zu erlösen und mit Hülfe der Bürger, die er für sein gutes Recht zu ge¬ winnen hoffte, den Thron des Vaters zu besteigen. Er verabredete hierauf gemeinschaftlich mit der Mutter und dem alten Diener des Hauses die Maßregeln, die zu er¬ greifen wären, um sich an dem verhaßten und verruch¬ ten Polyphontes zu rächen. Merope legte Trauerkleider an, trat vor ihren Gatten und erzählte ihm, wie sie so eben die Trauerbotschaft von dem Tode ihres einzigen, noch übrigen Sohnes erhalten habe. Fortan sey sie be¬ reit, im Frieden mit ihrem Gatten zu leben, und des vo¬ rigen Leides nicht zu gedenken. Der Tyrann ging in die Schlinge, die ihm gelegt war. Er wurde vergnügt, weil ihm die schwerste Sorge vom Herzen genommen war, und erklärte den Göttern ein Dankopfer bringen zu wollen, dafür daß alle seine Feinde jetzt aus der Welt verschwunden seyen. Als nun die ganze Bürgerschaft auf öffentlichem Markte, aber mit widerwilligem Herzen, erschie¬ nen war -- denn das gemeine Volk hatte es immer mit dem liebreichen Könige Kresphontes gehalten, und betrauerte auch jetzt seinen Sohn Aepytus, in welchem es die letzte Hoffnung verloren glaubte --; da überfiel Aepytus den opfernden König und stieß ihm den Stahl ins Herz. Jetzt eilte Merope mit dem Diener herbei, und beide zeigten dem Volke in dem Fremdling Aepytus den todt¬ geglaubten rechtmäßigen Erben des Thrones. Dieses be¬ grüßte ihn jubelnd, und noch an demselben Tage nahm der Jüngling den erledigten Thron seines Vaters Kre¬ sphontes ein, und bezog an der Seite seiner Mutter die Königsburg. Er bestrafte jetzt die Mörder seines Vaters und seiner Brüder, wie die Mitanstifter des Mordes. Im
ſie ſelbſt von dem verhaßten Ehebund zu erlöſen und mit Hülfe der Bürger, die er für ſein gutes Recht zu ge¬ winnen hoffte, den Thron des Vaters zu beſteigen. Er verabredete hierauf gemeinſchaftlich mit der Mutter und dem alten Diener des Hauſes die Maßregeln, die zu er¬ greifen wären, um ſich an dem verhaßten und verruch¬ ten Polyphontes zu rächen. Merope legte Trauerkleider an, trat vor ihren Gatten und erzählte ihm, wie ſie ſo eben die Trauerbotſchaft von dem Tode ihres einzigen, noch übrigen Sohnes erhalten habe. Fortan ſey ſie be¬ reit, im Frieden mit ihrem Gatten zu leben, und des vo¬ rigen Leides nicht zu gedenken. Der Tyrann ging in die Schlinge, die ihm gelegt war. Er wurde vergnügt, weil ihm die ſchwerſte Sorge vom Herzen genommen war, und erklärte den Göttern ein Dankopfer bringen zu wollen, dafür daß alle ſeine Feinde jetzt aus der Welt verſchwunden ſeyen. Als nun die ganze Bürgerſchaft auf öffentlichem Markte, aber mit widerwilligem Herzen, erſchie¬ nen war — denn das gemeine Volk hatte es immer mit dem liebreichen Könige Kreſphontes gehalten, und betrauerte auch jetzt ſeinen Sohn Aepytus, in welchem es die letzte Hoffnung verloren glaubte —; da überfiel Aepytus den opfernden König und ſtieß ihm den Stahl ins Herz. Jetzt eilte Merope mit dem Diener herbei, und beide zeigten dem Volke in dem Fremdling Aepytus den todt¬ geglaubten rechtmäßigen Erben des Thrones. Dieſes be¬ grüßte ihn jubelnd, und noch an demſelben Tage nahm der Jüngling den erledigten Thron ſeines Vaters Kre¬ ſphontes ein, und bezog an der Seite ſeiner Mutter die Königsburg. Er beſtrafte jetzt die Mörder ſeines Vaters und ſeiner Brüder, wie die Mitanſtifter des Mordes. Im
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ſie ſelbſt von dem verhaßten Ehebund zu erlöſen und mit
Hülfe der Bürger, die er für ſein gutes Recht zu ge¬
winnen hoffte, den Thron des Vaters zu beſteigen. Er
verabredete hierauf gemeinſchaftlich mit der Mutter und
dem alten Diener des Hauſes die Maßregeln, die zu er¬
greifen wären, um ſich an dem verhaßten und verruch¬
ten Polyphontes zu rächen. Merope legte Trauerkleider
an, trat vor ihren Gatten und erzählte ihm, wie ſie ſo
eben die Trauerbotſchaft von dem Tode ihres einzigen,
noch übrigen Sohnes erhalten habe. Fortan ſey ſie be¬
reit, im Frieden mit ihrem Gatten zu leben, und des vo¬
rigen Leides nicht zu gedenken. Der Tyrann ging in
die Schlinge, die ihm gelegt war. Er wurde vergnügt,
weil ihm die ſchwerſte Sorge vom Herzen genommen
war, und erklärte den Göttern ein Dankopfer bringen zu
wollen, dafür daß alle ſeine Feinde jetzt aus der Welt
verſchwunden ſeyen. Als nun die ganze Bürgerſchaft auf
öffentlichem Markte, aber mit widerwilligem Herzen, erſchie¬
nen war — denn das gemeine Volk hatte es immer mit dem
liebreichen Könige Kreſphontes gehalten, und betrauerte
auch jetzt ſeinen Sohn Aepytus, in welchem es die letzte
Hoffnung verloren glaubte —; da überfiel Aepytus den
opfernden König und ſtieß ihm den Stahl ins Herz.
Jetzt eilte Merope mit dem Diener herbei, und beide
zeigten dem Volke in dem Fremdling Aepytus den todt¬
geglaubten rechtmäßigen Erben des Thrones. Dieſes be¬
grüßte ihn jubelnd, und noch an demſelben Tage nahm
der Jüngling den erledigten Thron ſeines Vaters Kre¬
ſphontes ein, und bezog an der Seite ſeiner Mutter die
Königsburg. Er beſtrafte jetzt die Mörder ſeines Vaters
und ſeiner Brüder, wie die Mitanſtifter des Mordes. Im
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/437>, abgerufen am 22.11.2024.
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