Cypselus nach Arkadien, wo der Knabe heimlich erzogen wurde. In Messenien hatte sich indessen Polyphontes, ebenfalls ein Heraklide, des Thrones bemächtigt, und die Wittwe des ermordeten Königes gezwungen, ihm ihre Hand zu reichen. Da wurde es ruchtbar, daß noch ein Thronerbe des Kresphontes am Leben sey, und Polyphon¬ tes, der neue Herrscher setzte einen großen Preis auf seinen Kopf. Aber Niemand war, der ihn verdienen wollte, oder auch nur konnte. Denn die Sage ging nur dunkel, und man wußte nicht, wo der Geächtete zu su¬ chen wäre. Mittlerweile wuchs Aepytus zum Jünglinge heran, verließ heimlich den Pallast seines Großvaters, und, ohne daß Jemand es ahnte, traf er zu Messene ein. Der Jüngling hatte von dem Preise gehört, der auf den Kopf des unglücklichen Aepytus gesetzt sey. Da faßte er sich ein Herz, kam als ein Fremdling, von Niemand gekannt, selbst von der eigenen Mutter nicht, an den Hof des Königes Polyphontes, trat vor ihn und sprach in Ge¬ genwart der Königin Merope: "Ich bin erbötig, o Herr¬ scher, den Preis zu verdienen, den du auf das Haupt des Fürsten gesetzt hast, der, als Sohn des Kresphontes, deinem Throne so furchtbar ist. Ich kenne ihn so genau wie mich selber, und will ihn dir in die Hände liefern."
Die Mutter erblaßte, als sie dieses hörte; schnell sandte sie nach einem alten vertrauten Diener, der schon bei der Rettung des kleinen Aepytus thätig gewesen war und jetzt, aus Furcht vor dem neuen Könige, fern vom Hof und der Königsburg lebte. Diesen schickte sie heim¬ lich nach Arkadien, um ihren Sohn vor Nachstellung zu sichern, vielleicht auch, ihn herbeizurufen, damit er sich an die Spitze der Bürger stelle, denen sich Polyphontes
Cypſelus nach Arkadien, wo der Knabe heimlich erzogen wurde. In Meſſenien hatte ſich indeſſen Polyphontes, ebenfalls ein Heraklide, des Thrones bemächtigt, und die Wittwe des ermordeten Königes gezwungen, ihm ihre Hand zu reichen. Da wurde es ruchtbar, daß noch ein Thronerbe des Kreſphontes am Leben ſey, und Polyphon¬ tes, der neue Herrſcher ſetzte einen großen Preis auf ſeinen Kopf. Aber Niemand war, der ihn verdienen wollte, oder auch nur konnte. Denn die Sage ging nur dunkel, und man wußte nicht, wo der Geächtete zu ſu¬ chen wäre. Mittlerweile wuchs Aepytus zum Jünglinge heran, verließ heimlich den Pallaſt ſeines Großvaters, und, ohne daß Jemand es ahnte, traf er zu Meſſene ein. Der Jüngling hatte von dem Preiſe gehört, der auf den Kopf des unglücklichen Aepytus geſetzt ſey. Da faßte er ſich ein Herz, kam als ein Fremdling, von Niemand gekannt, ſelbſt von der eigenen Mutter nicht, an den Hof des Königes Polyphontes, trat vor ihn und ſprach in Ge¬ genwart der Königin Merope: „Ich bin erbötig, o Herr¬ ſcher, den Preis zu verdienen, den du auf das Haupt des Fürſten geſetzt haſt, der, als Sohn des Kreſphontes, deinem Throne ſo furchtbar iſt. Ich kenne ihn ſo genau wie mich ſelber, und will ihn dir in die Hände liefern.“
Die Mutter erblaßte, als ſie dieſes hörte; ſchnell ſandte ſie nach einem alten vertrauten Diener, der ſchon bei der Rettung des kleinen Aepytus thätig geweſen war und jetzt, aus Furcht vor dem neuen Könige, fern vom Hof und der Königsburg lebte. Dieſen ſchickte ſie heim¬ lich nach Arkadien, um ihren Sohn vor Nachſtellung zu ſichern, vielleicht auch, ihn herbeizurufen, damit er ſich an die Spitze der Bürger ſtelle, denen ſich Polyphontes
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Cypſelus nach Arkadien, wo der Knabe heimlich erzogen
wurde. In Meſſenien hatte ſich indeſſen Polyphontes,
ebenfalls ein Heraklide, des Thrones bemächtigt, und die
Wittwe des ermordeten Königes gezwungen, ihm ihre
Hand zu reichen. Da wurde es ruchtbar, daß noch ein
Thronerbe des Kreſphontes am Leben ſey, und Polyphon¬
tes, der neue Herrſcher ſetzte einen großen Preis auf
ſeinen Kopf. Aber Niemand war, der ihn verdienen
wollte, oder auch nur konnte. Denn die Sage ging nur
dunkel, und man wußte nicht, wo der Geächtete zu ſu¬
chen wäre. Mittlerweile wuchs Aepytus zum Jünglinge
heran, verließ heimlich den Pallaſt ſeines Großvaters,
und, ohne daß Jemand es ahnte, traf er zu Meſſene ein.
Der Jüngling hatte von dem Preiſe gehört, der auf den
Kopf des unglücklichen Aepytus geſetzt ſey. Da faßte er
ſich ein Herz, kam als ein Fremdling, von Niemand gekannt,
ſelbſt von der eigenen Mutter nicht, an den Hof des
Königes Polyphontes, trat vor ihn und ſprach in Ge¬
genwart der Königin Merope: „Ich bin erbötig, o Herr¬
ſcher, den Preis zu verdienen, den du auf das Haupt
des Fürſten geſetzt haſt, der, als Sohn des Kreſphontes,
deinem Throne ſo furchtbar iſt. Ich kenne ihn ſo genau
wie mich ſelber, und will ihn dir in die Hände liefern.“
Die Mutter erblaßte, als ſie dieſes hörte; ſchnell
ſandte ſie nach einem alten vertrauten Diener, der ſchon
bei der Rettung des kleinen Aepytus thätig geweſen war
und jetzt, aus Furcht vor dem neuen Könige, fern vom
Hof und der Königsburg lebte. Dieſen ſchickte ſie heim¬
lich nach Arkadien, um ihren Sohn vor Nachſtellung zu
ſichern, vielleicht auch, ihn herbeizurufen, damit er ſich
an die Spitze der Bürger ſtelle, denen ſich Polyphontes
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/435>, abgerufen am 23.11.2024.
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