weigere mich nicht zu sterben. Nur soviel sey mir ver¬ gönnt zu meiner Rechtfertigung zu sagen, daß nicht ich es gewesen bin, der freiwillig dem Herkules als Wider¬ sacher entgegengetreten. Juno, die Göttin war es, die mir auftrug, diesen Kampf zu bestehen. Alles, was ich gethan habe, ist in ihrem Auftrage geschehen. Da ich mir nun aber einmal wider Willen den mächtigen Mann und Halbgott zum Feinde gemacht, wie hätte ich nicht darauf bedacht seyn sollen, allem aufzubieten, was mich vor seinem Zorne sicher stellen konnte? Wie hätte ich nicht nach seinem Tode sein Geschlecht verfolgen sol¬ len, aus welchem lauter Feinde und Rächer ihres Vaters mir entgegen wuchsen? Thue nun mit mir, was du willst; ich verlange nicht nach dem Tode; aber es schmerzt mich auch nicht, wenn ich das Leben verlassen soll." So sprach Eurystheus und schien mit Ruhe sein Schicksal zu erwar¬ ten. Hyllus selbst sprach für seinen Gefangenen und die Bürger Athens riefen auch die milde Sitte ihrer Stadt an, die den überwundenen Verbrecher zu begnadigen pflegte. Aber Alkmene blieb unerbittlich, sie gedachte aller Leiden, die ihr unsterblicher Sohn auf Erden zu dulden hatte, so lange er ein Knecht des grausamen Königs war; ihr schwebte der Tod der geliebten Enkelin vor Augen, die sie hierher begleitet hatte und freiwillig in den Tod ge¬ gangen war, um dem mit übergewaltiger Heeresmacht drohenden Eurystheus den Sieg zu entreißen; sie malte sich mit grausen Farben aus, welch Schicksal ihr selbst und allen ihren Enkeln zu Theil geworden wäre, wenn Eurystheus als Sieger und nicht als Gefangener jetzt vor ihr stände: "Nein, er soll sterben," rief sie, "kein Sterblicher soll diesen Verbrecher mir entreißen!" Da
weigere mich nicht zu ſterben. Nur ſoviel ſey mir ver¬ gönnt zu meiner Rechtfertigung zu ſagen, daß nicht ich es geweſen bin, der freiwillig dem Herkules als Wider¬ ſacher entgegengetreten. Juno, die Göttin war es, die mir auftrug, dieſen Kampf zu beſtehen. Alles, was ich gethan habe, iſt in ihrem Auftrage geſchehen. Da ich mir nun aber einmal wider Willen den mächtigen Mann und Halbgott zum Feinde gemacht, wie hätte ich nicht darauf bedacht ſeyn ſollen, allem aufzubieten, was mich vor ſeinem Zorne ſicher ſtellen konnte? Wie hätte ich nicht nach ſeinem Tode ſein Geſchlecht verfolgen ſol¬ len, aus welchem lauter Feinde und Rächer ihres Vaters mir entgegen wuchſen? Thue nun mit mir, was du willſt; ich verlange nicht nach dem Tode; aber es ſchmerzt mich auch nicht, wenn ich das Leben verlaſſen ſoll.“ So ſprach Euryſtheus und ſchien mit Ruhe ſein Schickſal zu erwar¬ ten. Hyllus ſelbſt ſprach für ſeinen Gefangenen und die Bürger Athens riefen auch die milde Sitte ihrer Stadt an, die den überwundenen Verbrecher zu begnadigen pflegte. Aber Alkmene blieb unerbittlich, ſie gedachte aller Leiden, die ihr unſterblicher Sohn auf Erden zu dulden hatte, ſo lange er ein Knecht des grauſamen Königs war; ihr ſchwebte der Tod der geliebten Enkelin vor Augen, die ſie hierher begleitet hatte und freiwillig in den Tod ge¬ gangen war, um dem mit übergewaltiger Heeresmacht drohenden Euryſtheus den Sieg zu entreißen; ſie malte ſich mit grauſen Farben aus, welch Schickſal ihr ſelbſt und allen ihren Enkeln zu Theil geworden wäre, wenn Euryſtheus als Sieger und nicht als Gefangener jetzt vor ihr ſtände: „Nein, er ſoll ſterben,“ rief ſie, „kein Sterblicher ſoll dieſen Verbrecher mir entreißen!“ Da
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weigere mich nicht zu ſterben. Nur ſoviel ſey mir ver¬
gönnt zu meiner Rechtfertigung zu ſagen, daß nicht ich
es geweſen bin, der freiwillig dem Herkules als Wider¬
ſacher entgegengetreten. Juno, die Göttin war es, die
mir auftrug, dieſen Kampf zu beſtehen. Alles, was ich
gethan habe, iſt in ihrem Auftrage geſchehen. Da ich
mir nun aber einmal wider Willen den mächtigen
Mann und Halbgott zum Feinde gemacht, wie hätte ich
nicht darauf bedacht ſeyn ſollen, allem aufzubieten, was
mich vor ſeinem Zorne ſicher ſtellen konnte? Wie hätte
ich nicht nach ſeinem Tode ſein Geſchlecht verfolgen ſol¬
len, aus welchem lauter Feinde und Rächer ihres Vaters
mir entgegen wuchſen? Thue nun mit mir, was du willſt;
ich verlange nicht nach dem Tode; aber es ſchmerzt mich
auch nicht, wenn ich das Leben verlaſſen ſoll.“ So ſprach
Euryſtheus und ſchien mit Ruhe ſein Schickſal zu erwar¬
ten. Hyllus ſelbſt ſprach für ſeinen Gefangenen und die
Bürger Athens riefen auch die milde Sitte ihrer Stadt
an, die den überwundenen Verbrecher zu begnadigen pflegte.
Aber Alkmene blieb unerbittlich, ſie gedachte aller Leiden,
die ihr unſterblicher Sohn auf Erden zu dulden hatte,
ſo lange er ein Knecht des grauſamen Königs war; ihr
ſchwebte der Tod der geliebten Enkelin vor Augen, die
ſie hierher begleitet hatte und freiwillig in den Tod ge¬
gangen war, um dem mit übergewaltiger Heeresmacht
drohenden Euryſtheus den Sieg zu entreißen; ſie malte
ſich mit grauſen Farben aus, welch Schickſal ihr
ſelbſt und allen ihren Enkeln zu Theil geworden wäre,
wenn Euryſtheus als Sieger und nicht als Gefangener
jetzt vor ihr ſtände: „Nein, er ſoll ſterben,“ rief ſie, „kein
Sterblicher ſoll dieſen Verbrecher mir entreißen!“ Da
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/426>, abgerufen am 25.11.2024.
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