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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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König immer erbitterter, "wenn du lieben mußt!" Und
schon hieß er die Diener sie ergreifen, als Ismene, die
vom Loos ihrer Schwester vernommen hatte, herbeige¬
stürmt kam. Sie schien ihre weibliche Schwäche und
ihre Menschenfurcht ganz abgeschüttelt zu haben. Mu¬
thig trat sie vor den grausamen Oheim, bekannte sich als
Mitwisserin und verlangte mit der Schwester in den Tod
zu gehen. Zugleich erinnerte sie den König daran, daß
Antigone nicht nur seiner Schwester Tochter, daß sie
auch die verlobte Braut seines eigenen Sohnes Hämon
sey, und er durch ihren Tod seinem eigenen Sprößling
die Ehe wegmorde. Statt aller Antwort ließ Kreon auch
die Schwester ergreifen und beide durch seine Schergen
in das Innere des Pallastes führen.


Hämon und Antigone .

Als Kreon seinen Sohn herbeieilen sah, glaubte er
nicht anders, als das über seine Braut gefällte Urtheil
müße diesen gegen den Vater empört haben. Hämon
setzte jedoch seinen verdächtigenden Fragen Worte voll
kindlichen Gehorsams entgegen, und erst, nachdem er
den Vater von seiner frommen Anhänglichkeit überzeugt
hatte, wagte er es, für seine geliebte Braut Fürbitte zu
thun. "Du weißest nicht, Vater," sprach er, "was das
Volk spricht, was es zu tadeln findet. Dein Auge schreckt
jeden Bürgersmann zurück, irgend etwas zu sprechen,
das deinem Ohre nicht willkommen ist; mir hingegen
wird es möglich, auch derlei Dinge im Dunkel zu hören.
Und so laß mich dir denn sagen, daß diese Jungfrau von

König immer erbitterter, „wenn du lieben mußt!“ Und
ſchon hieß er die Diener ſie ergreifen, als Iſmene, die
vom Loos ihrer Schweſter vernommen hatte, herbeige¬
ſtürmt kam. Sie ſchien ihre weibliche Schwäche und
ihre Menſchenfurcht ganz abgeſchüttelt zu haben. Mu¬
thig trat ſie vor den grauſamen Oheim, bekannte ſich als
Mitwiſſerin und verlangte mit der Schweſter in den Tod
zu gehen. Zugleich erinnerte ſie den König daran, daß
Antigone nicht nur ſeiner Schweſter Tochter, daß ſie
auch die verlobte Braut ſeines eigenen Sohnes Hämon
ſey, und er durch ihren Tod ſeinem eigenen Sprößling
die Ehe wegmorde. Statt aller Antwort ließ Kreon auch
die Schweſter ergreifen und beide durch ſeine Schergen
in das Innere des Pallaſtes führen.


Hämon und Antigone .

Als Kreon ſeinen Sohn herbeieilen ſah, glaubte er
nicht anders, als das über ſeine Braut gefällte Urtheil
müße dieſen gegen den Vater empört haben. Hämon
ſetzte jedoch ſeinen verdächtigenden Fragen Worte voll
kindlichen Gehorſams entgegen, und erſt, nachdem er
den Vater von ſeiner frommen Anhänglichkeit überzeugt
hatte, wagte er es, für ſeine geliebte Braut Fürbitte zu
thun. „Du weißeſt nicht, Vater,“ ſprach er, „was das
Volk ſpricht, was es zu tadeln findet. Dein Auge ſchreckt
jeden Bürgersmann zurück, irgend etwas zu ſprechen,
das deinem Ohre nicht willkommen iſt; mir hingegen
wird es möglich, auch derlei Dinge im Dunkel zu hören.
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[372/0398] König immer erbitterter, „wenn du lieben mußt!“ Und ſchon hieß er die Diener ſie ergreifen, als Iſmene, die vom Loos ihrer Schweſter vernommen hatte, herbeige¬ ſtürmt kam. Sie ſchien ihre weibliche Schwäche und ihre Menſchenfurcht ganz abgeſchüttelt zu haben. Mu¬ thig trat ſie vor den grauſamen Oheim, bekannte ſich als Mitwiſſerin und verlangte mit der Schweſter in den Tod zu gehen. Zugleich erinnerte ſie den König daran, daß Antigone nicht nur ſeiner Schweſter Tochter, daß ſie auch die verlobte Braut ſeines eigenen Sohnes Hämon ſey, und er durch ihren Tod ſeinem eigenen Sprößling die Ehe wegmorde. Statt aller Antwort ließ Kreon auch die Schweſter ergreifen und beide durch ſeine Schergen in das Innere des Pallaſtes führen. Hämon und Antigone . Als Kreon ſeinen Sohn herbeieilen ſah, glaubte er nicht anders, als das über ſeine Braut gefällte Urtheil müße dieſen gegen den Vater empört haben. Hämon ſetzte jedoch ſeinen verdächtigenden Fragen Worte voll kindlichen Gehorſams entgegen, und erſt, nachdem er den Vater von ſeiner frommen Anhänglichkeit überzeugt hatte, wagte er es, für ſeine geliebte Braut Fürbitte zu thun. „Du weißeſt nicht, Vater,“ ſprach er, „was das Volk ſpricht, was es zu tadeln findet. Dein Auge ſchreckt jeden Bürgersmann zurück, irgend etwas zu ſprechen, das deinem Ohre nicht willkommen iſt; mir hingegen wird es möglich, auch derlei Dinge im Dunkel zu hören. Und ſo laß mich dir denn ſagen, daß dieſe Jungfrau von

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/398>, abgerufen am 23.11.2024.